Die Digitalisierung der Arbeitswelt lässt auch die betriebliche Mitbestimmung nicht unberührt. Nachdem bereits lange darüber diskutiert wurde, ob das deutsche Betriebsverfassungsgesetz noch zeitgemäß ist, hat der Gesetzgeber im April 2021 überraschend das „Betriebsrätemodernisierungsgesetz“ verabschiedet, das am 18. Juni 2021 in Kraft getreten ist. Neben Neuregelungen zu einer Vereinfachung der Betriebsratswahl und einem erweiterten Kündigungsschutz anlässlich der Betriebsratswahl, die indes weniger mit der Digitalisierung der Arbeitswelt zu tun haben, haben mit dem Inkrafttreten des Gesetzes insbesondere Regelungen zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz („KI“) Einzug in das Betriebsverfassungsgesetz gefunden.

Blogserie: Arbeitswelt 4.0

Unsere Arbeitswelt hat sich in den vergangenen Jahren so rasant verändert wie noch nie zuvor. Was bedeutet dies aber für die Verantwortung der Unternehmen und ihrer Entscheider?

Autoren dieses Beitrags

Thomas
Niklas

Dr. Tim
Wißmann


I.

Hinzuziehung von Sachverständigen beim Einsatz von KI

Nach § 80 Abs. 3 Satz 2 BetrVG gilt die Hinzuziehung eines Sachverständigen durch den Betriebsrat bei dem Einsatz von KI nunmehr automatisch als erforderlich, sofern der Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben die Einführung oder Anwendung von KI beurteilen muss. Eine Erforderlichkeitsprüfung im Einzelfall findet dann nicht statt.
Ein sachlicher Grund für diese Neuregelung ist nicht ersichtlich, zumal insbesondere bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen einschließlich von KI vielfach sachkundige Arbeitnehmer des Betriebs bzw. Unternehmens als Sachverständige für beide Seiten fungieren, ohne dass die Hinzuziehung externen Sachverstands notwendig wäre. Insoweit gilt bei dem Einsatz von KI nichts anderes als bei sonstigen technischen Einrichtungen.
Für Arbeitgeber bedeutet dies ein schwer abzuschätzendes zusätzliches Kostenrisiko. Dies gilt umso mehr, als selbst „einfache“ Schreib- und Verwaltungsprogramme über kurz oder lang maßgeblich von KI – zumindest im Hintergrund – gesteuert werden. Zudem wird es häufig bereits auf der Ebene der Kostentragung zu schwer auflösbaren Diskussionen darüber kommen, ob KI zum Einsatz kommt oder nicht.

II.

Ausgestaltung mobiler Arbeit

Bekanntlich wurde ferner ein neuer Mitbestimmungstatbestand im Hinblick auf mobile Arbeit eingeführt. Danach hat der Betriebsrat bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit, die mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird, nunmehr ein zwingendes Mitbestimmungsrecht. Wichtig ist, dass dieses nicht das „ob“, sondern allein das „wie“ mobiler Arbeit betrifft. Die Einführung mobiler Arbeit kann der Betriebsrat dementsprechend auch weiterhin weder verhindern noch erzwingen. Umso umfassender sind die Mitbestimmungsrechte bei deren Ausgestaltung; hierzu gehören zum Beispiel Regelungen
über den zeitlichen Umfang mobiler Arbeit,
über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit in Bezug auf mobile Arbeit,
über den Ort, von welchem aus mobil gearbeitet werden kann und darf,
zu konkreten Anwesenheitspflichten in der Betriebsstätte des Arbeitgebers,
zur Erreichbarkeit,
zum Umgang mit Arbeitsmitteln der mobilen Arbeit sowie
über einzuhaltende Sicherheitsaspekte getroffen werden.
Bereits bestehende Mitbestimmungsrechte bleiben hiervon unberührt. In Betracht kommen insoweit insbesondere die Mitbestimmungstatbestände gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG (Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage), § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG (Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt, d.h. nach der Rechtsprechung zumindest geeignet sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen) und § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG (Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften).

III.

Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufe

Weiter hat der Arbeitgeber den Betriebsrat gemäß § 90 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG rechtzeitig unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen über die Planung von Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen zu unterrichten und die vorgesehenen Maßnahmen und ihre Auswirkungen auf die Arbeitnehmer zu beraten. Mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz wurde klarstellend aufgenommen, dass zu den Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen auch der geplante Einsatz von KI gehört.

IV.

Auswahlrichtlinien

Nach § 95 BetrVG hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Aufstellung von Auswahlrichtlinien für Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen.
In größeren Betrieben mit mehr als 500 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern kann der Betriebsrat die Aufstellung von Richtlinien über die bei solchen Maßnahmen zu beachtenden fachlichen und persönlichen Voraussetzungen sowie die sozialen Gesichtspunkte verlangen. Mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz wurde wiederum klarstellend aufgenommen, dass diese Rechte gleichermaßen gelten, wenn bei der Aufstellung der Auswahlrichtlinien KI zum Einsatz kommt. Nach der Gesetzesbegründung kann dies etwa dann der Fall sein, wenn eine KI-Anwendung eigenständig oder innerhalb eines von einem Dritten vorgegebenen Rahmens Auswahlrichtlinien aufstellt.

V.

Digitale Betriebsratssitzungen

Anlässlich der Corona-Pandemie hatte der Gesetzgeber vorübergehend in einem neuen § 129 BetrVG die Möglichkeit eröffnet, Betriebsratssitzungen digital durchzuführen, also mittels Telefon- oder Videokonferenz.
Diese Möglichkeit wurde nunmehr in § 30 Abs. 2 BetrVG unbefristet festgeschrieben und gilt nicht nur für die Sitzungen des Betriebsrats, sondern gleichermaßen auch für die Sitzungen der sonstigen Vertretungen nach dem Betriebsverfassungsgesetz (insbesondere des Gesamt- und Konzernbetriebsrats sowie des Wirtschaftsausschusses). Auch Beschlüsse können insoweit digital getroffen werden. Wenngleich Präsenzsitzungen nach § 30 Abs. 1 Satz 5 BetrVG zwar grundsätzlich weiterhin Vorrang haben, kann die Teilnahme an einer Betriebsratssitzung mittels Video- und Telefonkonferenz danach erfolgen, wenn
die Voraussetzungen für eine solche Teilnahme in der Geschäftsordnung unter Sicherung des Vorrangs der Präsenzsitzung festgelegt sind,
nicht mindestens ein Viertel der Betriebsratsmitglieder binnen einer von der bzw. dem Vorsitzenden zu bestimmenden Frist widerspricht und
sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können.
Sind die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt, können die Betriebsratssitzungen sowohl ausschließlich als Video- oder Telefonkonferenz mit den teilnahmeberechtigten Personen durchgeführt werden als auch durch die Zuschaltung einzelner teilnahmeberechtigter Personen. Ob und inwieweit die Möglichkeit der Video- und Telefonkonferenz genutzt wird, steht jedoch in der alleinigen Entscheidungsbefugnis des Betriebsrats. Der Arbeitgeber hat keine Möglichkeit, den Betriebsrat zur Durchführung mittels Video- und Telefonkonferenz zu verpflichten.

VI.

Digitaler Abschluss von Betriebsvereinbarungen

Schließlich können sowohl Betriebsvereinbarungen als auch Beschlüsse der Einigungsstelle nunmehr digital unterzeichnet werden.
Mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz wird insoweit geregelt, dass die jeweils geltende Schriftform durch die elektronische Form nach § 126a Abs. 1 BGB ersetzt werden kann. Im Hinblick auf Betriebsvereinbarungen gilt allerdings die Einschränkung, dass die Betriebsparteien dasselbe Dokument elektronisch signieren müssen. Die Möglichkeit zur Unterzeichnung auf der für den anderen Vertragsteil vorgesehen Ausfertigung nach § 126 Abs. 2 Satz 2 BGB in Verbindung mit § 126a Abs. 2 BGB ist in diesem Fall ausgeschlossen.

VII.

Fazit

Mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz wurden einige Regelungen geschaffen, welche der digitalen Arbeitswelt Rechnung tragen und durchaus in die richtige Richtung zeigen. Den gewählten Namen verdient das Gesetz aber nicht.
Schließlich enthielt nicht nur der zwischenzeitlich geltende § 129 BetrVG schon weitergehende Regelungen, welche nunmehr fehlen (Möglichkeit digitaler Sitzungen der Einigungsstelle). Vielmehr hat der Gesetzgeber manch andere „heiße Eisen“ gar nicht erst angefasst. Beispielhaft sei etwa die Durchführung der Betriebsratswahl genannt, welche weiterhin „analog“ durchzuführen ist und allenfalls Briefwahl für Ortsabwesende vorsieht. Mehr noch: Dass dem Arbeitgeber nach dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz nun sogar ausdrücklich auch noch die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch den Betriebsrat zugewiesen wird, soweit die Verarbeitung durch den Betriebsrat zur Erfüllung der in seiner Zuständigkeit liegenden Aufgaben erfolgt, ist weder praxistauglich noch interessengerecht. Schließlich hat der Arbeitgeber gar nicht die Möglichkeit, die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Anforderungen durch den Betriebsrat sicherzustellen. Nach alledem wird die moderne Arbeitswelt auch weiterhin mit einer Betriebsverfassung auskommen müssen, die nur teilweise den Namen „Digitale Betriebsverfassung“ verdient. Maßgebliche Herausforderungen einer Modernisierung auch außerhalb der Digitalisierung bleiben.

Küttner Blogserie Arbeitswelt 4.0

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