I. Einleitung

Am vergangenen Dienstag, 6. November 2018, standen in Luxemburg beim EuGH gleich mehrere Entscheidungen zum deutschen Urlaubsrecht an. Dabei hat sich erneut gezeigt, dass der EuGH in Urlaubsfragen eine deutlich arbeitnehmerfreundliche Position einnimmt, die mit dem deutschen Urlaubsrecht nicht immer ganz vereinbar ist.

II. Worum geht es?

Der EuGH hatte sich mit zwei Themenkomplexen zu befassen. Zum einen ging es um die Frage, ob den Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers ein Zahlungsanspruch auf Urlaubsabgeltung für die Urlaubstage zusteht, die der Verstorbene aufgrund seines Dahinscheidens nicht mehr nehmen konnte (EuGH v. 6. November 2018 – C-569/16, C-570/16). Zum anderen mussten die Richter in Luxemburg darüber entscheiden, ob das Fehlen eines Urlaubsantrages im jeweiligen Urlaubsjahr den Verfall des Urlaubsanspruches bzw. des Abgeltungsanspruchs zur Folge haben kann (EuGH v. 6. November 2018 – C-684/16). In allen Fällen entschied der EuGH erwartungsgemäß zugunsten der Arbeitnehmer.

1. Vererbbarkeit von Urlaubsansprüchen

Geklagt hatten zwei Witwen aus Deutschland, deren Ehemänner jeweils vor ihrem Tod nicht alle Urlaubstage ihres bezahlten Jahresurlaubes genommen hatten. Die jeweiligen Alleinerbinnen begehrten eine finanzielle Vergütung für diese Urlaubstage, welche die jeweiligen Arbeitgeber – sowohl aus der Privatwirtschaft als auch des öffentlichen Dienstes – ablehnten.

Bereits in der sog. Bollacke-Entscheidung (C- 118/13) hatte der EuGH entschieden, dass es nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wenn nationale Rechtsvorschriften zur Folge haben, dass ein Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ohne Begründung eines Abgeltungsanspruches untergeht, weil das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet. Während die bisherige Rechtsprechung des BAG sich auf den mit dem Erholungszweck verbundenen höchstpersönlichen Charakter von Urlaubsansprüchen fokussierte, stellt der EuGH daneben auf den finanziellen Aspekt der geschuldeten Bezahlung während des Urlaubes ab. Dieser dürfe dem Arbeitnehmer bzw. seinen Erben nicht durch ein unbeherrschbares Ereignis entzogen werden.

Diese Rechtsprechung hat der EuGH nun bestätigt. Das BAG hatte die Fragestellung erneut den Richtern in Luxemburg vorgelegt, da nach deutschem Recht der Urlaubsanspruch als Anspruch auf bezahlte Freistellung derart an die Person des Arbeitnehmers gebunden ist, dass dieser nicht sinnvoll auf einen Dritten, den Erben, übertragen werden kann und mithin nicht Bestandteil der Erbmasse wird. Erst wenn sich der Urlaubsanspruch noch zu Lebzeiten in einen finanziellen Abgeltungsanspruch gewandelt hat, ist er nach deutschem Recht vererbbar. Diesem Verständnis hat der EuGH indes erneut eine Abfuhr erteilt. Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gehe nicht mit dem Tod des Arbeitnehmers unter, vielmehr könnten die Erben dessen finanzielle Abgeltung verlangen. Entgegenstehende nationale Rechtsvorschriften müssten unangewendet bleiben. Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass der Arbeitnehmer durch seinen Tod die durch den Urlaub bezweckten Entspannungs- und Erholungszeiten nicht mehr wahrnehmen könne. Denn der ebenfalls in dem Urlaubsanspruch verwurzelte Anspruch auf Bezahlung im Urlaub sowie der damit eng verbundene finanzielle Abgeltungsanspruch von nicht genommenen Urlaubstagen im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei rein vermögensrechtlicher Natur und dürfe dem Arbeitnehmer bzw. dessen Erben nicht entzogen werden.

2. Urlaub verfällt nicht aufgrund fehlenden Urlaubsantrags

Weiter hatte sich der Europäische Gerichtshof mit zwei Fallkonstellationen auseinanderzusetzen, bei denen es um die Frage ging, ob ein Urlaubsabgeltungsanspruch von der Stellung eines Urlaubsantrages abhängig gemacht werden kann, was der EuGH einheitlich verneinte (vgl. EuGH, Urteil vom 6. November 2018 – C-619/16, C-684/16). In dem einen Fall ging es um einen Arbeitnehmer, der im Zeitpunkt der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses nicht alle Urlaubstage genommen hatte und hierfür eine finanzielle Abgeltung forderte. Die Anzahl der eingeforderten Urlaubstage – insgesamt 51 – umfasste Urlaubstage aus mehreren Kalenderjahren, die der Arbeitnehmer mangels gestellten Urlaubsantrages nicht genommen hatte. Zwei Monate vor Beendigung seines Arbeitsverhältnisses hatte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer gebeten, seinen Resturlaub zu nehmen. Dieser nahm daraufhin lediglich zwei Tage Urlaub.

Nach nationalem Recht setzt die Entstehung eines Urlaubsabgeltungsanspruches voraus, dass der Urlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden konnte, § 7 Abs. 4 BUrlG. Voraussetzung ist mithin zum einen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses als auch ein bestehender Urlaubsanspruch. Gemäß § 7 Abs. 3 BurlG muss der Jahresurlaub grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr – oder im Falle eines Übertragungstatbestandes bis zum 31. März des Folgejahres – gewährt und genommen werden, andernfalls verfällt er. Dieser Verfall tritt nicht ein, wenn der Arbeitgeber trotz eines rechtzeitigen Urlaubsantrages des Arbeitnehmers den Urlaub nicht gewährt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch verliert, wenn er keinen Urlaubsantrag gestellt hat. Mithin sind die in den vergangenen Bezugszeiträumen nicht genommenen Urlaubstage bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht abzugelten.

Dieser Vorgehensweise hat der EuGH nunmehr einen Riegel vorgeschoben, da ein solcher Verlust des Urlaubsanspruches nicht mit Unionsrecht vereinbar sei. Ein solcher Verlust von Urlaubsansprüchen sei nur dann möglich, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, den Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Hierbei setzt der EuGH strenge Maßstäbe an. Im Wesentlichen geht das Gericht davon aus, dass der Arbeitnehmer die schwächere Partei des Arbeitsvertrages sei. Diese schwächere Position könne zur Folge haben, dass der Arbeitnehmer abgeschreckt werde, seine Rechte gegenüber dem Arbeitgeber – etwa in der Form eines Urlaubsantrags – ausdrücklich geltend zu machen, da ihn die Einforderung seiner Rechte nachteiligen Maßnahmen des Arbeitgebers aussetzen könnte. Unter diesen Umständen sei eine Situation zu vermeiden, in der es allein beim Arbeitnehmer liege, für die Wahrnehmung seines Urlaubsanspruches – mittels eines Urlaubsantrages – Sorge zu tragen. Vielmehr müsse der Arbeitgeber darlegen und beweisen, dass er den Arbeitnehmer in die Lage versetzt habe, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Dies ginge zwar nicht so weit, dass er den Arbeitnehmer zur Urlaubsnahme zwingen müsse, aber es sei erforderlich, dass er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordere, seinen Urlaub zu nehmen und ihm klar und rechtzeitig mitteile, dass der Urlaub andernfalls am Ende des Bezugszeitraums verfalle. Lediglich wenn erwiesen sei, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Konsequenzen darauf verzichtet habe, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, nachdem er in die Lage versetzt worden sei, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen, stünden dem Verfall von Urlaub keine unionsrechtlichen Vorschriften entgegen

III. Auswirkungen für die Praxis

Während die Vererbbarkeit von Urlaubsansprüchen bereits seit der Bollacke-Entscheidung (C- 118/13) bekannt ist, hat die Entscheidung im Hinblick auf die Voraussetzungen für den Verfall von Urlaubsansprüchen durchaus Sprengkraft für die betriebliche Praxis. Sie verlagert das Risiko der Urlaubsgewährung im laufenden Kalenderjahr nahezu vollständig von dem Arbeitnehmer auf den Arbeitgeber. Denn der Arbeitnehmer muss sich nunmehr nicht mehr im Rahmen eines Urlaubsantrags um die Gewährung von Urlaub bemühen. Vielmehr liegt es nun am Arbeitgeber, diese proaktiv voranzutreiben. Denn nur wenn es der Arbeitgeber beweisen kann, dass der Arbeitnehmer bewusst und willentlich auf seinen Urlaub verzichtet hat, obwohl ihm die Urlaubsnahme unproblematisch möglich war, verfällt der Urlaubsanspruch und damit auch ein dahingehender Abgeltungsanspruch des Arbeitnehmers bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Unklar ist, welche Anforderung an diese Darlegungs- und Beweislast gestellt wird. Zwar weist der EuGH ausdrücklich darauf hin, dass diese Rechtsprechung nicht die gezielte Erhöhung der Vergütung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer zur Folge haben dürfe. Dennoch geht hieraus nicht hervor, wie dezidiert die Bemühungen und Nachweise des Arbeitgebers ausgestaltet sein müssen. Vor diesem Hintergrund ist es dem Arbeitgeber dringend anzuraten, die Arbeitnehmer mindestens förmlich zur Urlaubsnahme aufzufordern. Diese Aufforderung sollte eine detaillierte Erläuterung der Konsequenz eines ansonsten drohenden Verfalls des Urlaubsanspruchs beinhalten und von dem Arbeitnehmer unterzeichnet werden. Will man zur Verhinderung wachsender Urlaubs- und ggf. Abgeltungsansprüche ganz auf Nummer sicher gehen, sollte der Urlaubsanspruch eines urlaubsunwilligen Arbeitnehmers durch die Anordnung von Urlaub erfüllt werden. Mit Blick auf das nahende Jahresende besteht insoweit kurzfristig Handlungsbedarf!

Im Hinblick auf die Vertragsgestaltung gilt es zu beachten, dass die vorgenannte Rechtsprechung lediglich für den gesetzlichen Mindesturlaub von vier Wochen im Jahr gilt. Soweit dem Arbeitnehmer arbeitsvertraglich darüber hinaus weiterer Urlaub zugesagt wird, gelten die gesetzlichen Grundsätze auch für diesen Mehrurlaub, es sei denn, es ist arbeitsvertraglich etwas Abweichendes vereinbart. Von dieser Möglichkeit wird jedoch in der Praxis nach wie vor nur selten Gebrauch gemacht. Vor dem Hintergrund der starken arbeitnehmerfreundlichen Prägung der unionsrechtlichen Rechtsprechung, welche in Zukunft noch eine weitere Stärkung der Arbeitnehmerrechte erwarten lässt, sollte diese Gestaltungsoption arbeitgeberseitig aber unbedingt verstärkt ins Blickfeld genommen werden.