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From Coffee to Court: Wenn der Weg zur Kaffeemaschine zum Bundessozialgericht führt
Der Fall klingt kurios: Ein Ausrutscher auf dem täglichen Weg zur Kaffeemaschine endete für eine Verwaltungsfachangestellte des Finanzamtes in einem Rechtsstreit, der bis zum Bundessozialgericht nach Kassel führte.
Auslöser war die Frage, ob es sich bei dem Unfall um einen Arbeitsunfall handelt. Die Vorinstanzen waren sich bei der Beurteilung uneins, sodass final das Bundessozialgericht entscheiden musste. Die Entscheidung gibt Anlass die generellen Leitlinien der Rechtsprechung aufzuzeigen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer*innen gleichermaßen kennen sollten.
I.
Weg zur Kaffeemaschine kann Arbeitsunfall darstellen
Der Fall ist schnell erzählt: Die Arbeitnehmerin begab sich wie gewohnt in den Sozialraum des Finanzamtes, um sich an einem Münzautomaten einen Kaffee zu holen.
An jenem Tag war der Raum kurz zuvor frisch gewischt worden. Obwohl ein Warnschild aufgestellt war, rutschte die Arbeitnehmerin auf dem nassen Boden aus und zog sich einen Bruch des dritten Lendenwirbels zu. In der Folge kam es zum Streit, ob es sich hierbei um einen Arbeitsunfall handelte.
Das Sozialgericht Fulda lehnte dies in erster Instanz mit der Begründung ab, dass Kaffeetrinken eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit darstelle, die nicht von der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst sei. Das Landessozialgericht Hessen sah dies in der Berufung jedoch anders: Die Nahrungsaufnahme diene der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit. Außerdem falle der Sozialraum räumlich in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung. Damit bejahte das Gericht das Vorliegen eines Arbeitsunfalls.
Das Bundessozialgericht bestätigte diese Entscheidung am 24. September 2025 (Az.: B 2 U 11/23 R) und bejahte das Vorliegen eines Arbeitsunfalls – jedoch mit abweichender Begründung: Zwar sei der Gang zur Kaffeemaschine grundsätzlich eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit und damit nicht versichert. In konkreten Fall sei jedoch eine besondere betriebliche Gefahr im Sozialraum gegeben gewesen, weil der Arbeitgeber dort ausdrücklich die Getränkeversorgung eingerichtet und auch die Reinigung zu verantworten hatte. Das Ausrutschen auf dem nassen Boden sei daher Folge des betrieblichen Risikos und nicht eines privaten Lebensvorgangs. Deshalb sei ein Arbeitsunfall gegeben.
II.
Unterscheidung zwischen Nahrungsaufnahme und Genussmitteln
Es lässt sich trefflich darüber streiten, ob der Weg zur Kaffeemaschine und das Kaffeetrinken selbst nicht doch der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit dienen. Die Unterscheidung zwischen Nahrungsaufnahme und Genussmitteln im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen entspricht allerdings langjähriger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.
1) Nahrungsaufnahme
Bei der Nahrungsaufnahme differenziert die Rechtsprechung danach, ob sich der Unfall auf dem Weg zur Nahrungsaufnahme oder bei der eigentlichen Nahrungsaufnahme selbst ereignet.
a) Weg zur Nahrungsaufnahme
Der Weg zur Nahrungsaufnahme gilt als versichert, sofern dieser vom Betrieb ausgeht und dorthin zurückführt, um dort betriebliche Tätigkeiten zu verrichten und der Sicherung der Arbeitskraft während der Arbeitszeit dient.
Praxishinweis:
Das gilt sowohl für den Fall, dass Arbeitnehmer*innen die Kantine auf dem Betriebsgelände aufsuchen, als auch für den Fall, dass das Betriebsgelände verlassen wird, um z.B. eine Gaststätte aufzusuchen oder in einem Supermarkt Lebensmittel zum alsbaldigen Verzehr zu erwerben. Dieser bestehende Versicherungsschutz endet jedoch an der Außentür der Gaststätte oder des Supermarktes. Der Aufenthalt in der Gaststätte oder dem Supermarkt ist also nicht von der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst.
b) Nahrungsaufnahme selbst
Die Nahrungsaufnahme selbst sowie die damit verbundenen Vorbereitungshandlungen (z.B. das Öffnen von Flaschen) sind nach Auffassung der Rechtsprechung private Tätigkeiten und daher grundsätzlich nicht versichert. Unfälle, die während der Nahrungsaufnahme selbst (z.B. Verschlucken, Abbrechen eines Zahnes, Verbrennen) oder einer etwaigen Vorbereitungshandlung eintreten, sind daher grundsätzlich keine Arbeitsunfälle.
Praxishinweis:
In der Rechtsprechung sind aber Ausnahmen anerkannt, bei denen ein innerer Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit angenommen wird, sodass auch Unfälle, die sich während der Nahrungsaufnahme selbst ereignen, einen versicherten Arbeitsunfall darstellen können. Dies gilt etwa wenn,
- die Nahrungsaufnahme zur Erhaltung der Arbeitskraft erforderlich ist,
- z.B. Arbeit unter Staubeinwirkung in großer Hitze, wo ständige Flüssigkeitszufuhr notwendig ist
- betriebliche Zwänge Arbeitnehmer*innen dazu veranlassen, ihre Mahlzeit an einem besonderen Ort oder in einer besonderen Form einzunehmen
- z.B.: Grillen eines LKW-Fahrers, der seinen Lastwagen nicht unbeaufsichtigt lassen kann, auf einem Rastplatz
- die Nahrungsaufnahme ausnahmsweise Teil der „eigentlichen Arbeit“ ist
- z.B. Teilnahme an einem Geschäftsessen, gemeinsames Essen mit Klienten
Anmerkung: Auch im Homeoffice gilt: Der Weg zur Nahrungsaufnahme ist versichert, die Nahrungsaufnahme selbst nicht.
2) Genussmittel (zB. Kaffee, Tabakwaren)
Anders als bei Nahrungsmitteln unterscheidet das Bundessozialgericht bei Genussmitteln nicht zwischen dem Weg zur Beschaffung und dem Verzehr des Genussmittels selbst: Beides ist in der Regel nicht versichert, weil der Konsum von Genussmitteln überwiegend persönlichen Gewohnheiten entspringt und in keinem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht. Das Kaffeetrinken verordnet das Bundessozialgericht deshalb ebenso hier.
Ein innerer Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit soll sich nur aus besonderen Umständen ergeben, etwa wenn der Konsum von Tabakwaren für einen nikotinabhängigen Arbeitnehmer für den Erhalt der Arbeitskraft maßgeblich ist, wobei die Grenzen hier schwammig sind und zu Recht kritisiert werden.
III.
Key Takeaways und Fazit
Entscheidend bei der Einstufung als Arbeitsunfall ist stets, ob ein innerer Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit besteht.
Das Bundessozialgericht differenziert und orientiert sich an der Abgrenzung zwischen privater/eigenwirtschaftlicher Tätigkeit und betrieblicher Tätigkeit. Für die Differenzierung entscheidend ist, ob es sich um Nahrungs- oder Genussmittel handelt.
Auch wenn der Unfall im Zusammenhang mit der Ausübung einer privaten/eigenwirtschaftlichen Tätigkeit steht, kann gleichwohl ein Arbeitsunfall vorliegen, sofern sich der Unfall in der betrieblichen Risikosphäre des Arbeitgebers ereignet, wodurch der innere Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit hergestellt wird (etwa das Bereitstellen einer Kaffeemaschine im Sozialraum).
Die Differenzierung des Bundessozialgerichts mag in der Theorie einleuchten, in der Praxis werden sich aber vielfach Beweisfragen stellen. Mitarbeitende die auf ihrem Gang zur Kaffeemaschine auch gleichzeitig Wasser holen, dürften versichert sein, während der Gang allein zur Kaffeemaschine nicht versichert ist. Diese Herausforderung verdeutlicht, wie wichtig eine sorgfältige und objektive Sachverhaltsaufklärung in solchen Fällen ist.
Dieser Beitrag ist mit freundlicher Unterstützung unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Johanna Roos entstanden.
About the author
Dr. Michel Hoffmann ist seit Anfang 2019 als Rechtsanwalt für die Sozietät Küttner tätig. Dort berät und vertritt er seine Mandanten in allen Belangen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählen die Gestaltung komplexer arbeitsrechtlicher Regelungen, Beendigungsstreitigkeiten sowie sämtliche Fragen des Betriebsverfassungsrechts.