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Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) – Rückkehr ermöglichen, Risiken vermeiden

baum
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) stellt eine wichtige Maßnahme dar, um den Krankenstand zu reduzieren und Kündigungen zu vermeiden. Nach § 167 Abs. 2 SGB IX sind Arbeitgeber verpflichtet, ein BEM durchzuführen, wenn die beschäftigte Person innerhalb eines Jahres (365 Tage) länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig war. Die Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung eines BEM besteht unabhängig von der Betriebsgröße für alle Beschäftigten.

I.

Ziele des BEM

Das BEM verfolgt das zentrale Ziel, die bestehende Arbeitsunfähigkeit zu überwinden und eine erneute Arbeitsunfähigkeit zu vermeiden.
Auf diese Weise soll das Arbeitsverhältnis erhalten und möglichst dauerhaft fortgesetzt werden, indem einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses frühzeitig begegnet wird. Dabei geht es nicht um den Erhalt des konkreten Arbeitsplatzes an sich, sodass gegebenenfalls auch eine anderweitige Beschäftigung im Betrieb vereinbart werden kann.


II.

Ablauf des BEM-Verfahrens

Als verlaufs- und ergebnisoffener Vorgang folgt das BEM keinem festen Ablauf. Vielmehr ist das Verfahren an die individuellen Bedürfnisse der BEM-berechtigten Person anzupassen.
Notwendiger Ausgangspunkt ist stets die Feststellung der mindestens sechswöchigen Arbeitsunfähigkeit durch den Arbeitgeber. Diese muss nicht ununterbrochen vorliegen, sondern kann aufgrund von mehrerer (unterschiedlicher) Kurzerkrankungen bestehen.
Der Arbeitgeber kommt seiner Initiativpflicht aus § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX in einem ersten Schritt nach, indem er der betroffenen Person mit einem Einladungsschreiben die Durchführung des BEM anbietet. Die betroffene Person muss durch das Einladungsschreiben in die Lage versetzt werden, selbstbestimmt und freiwillig zu entscheiden, ob sie der Durchführung zustimmt. Dazu muss das Schreiben auf die Freiwilligkeit und jederzeitige Widerruflichkeit des Verfahrens hinweisen, die Ziele des BEM und die möglichen zu beteiligenden Stellen benennen sowie Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten angeben. Eine bestimmte Form ist nicht vorgeschrieben; aus Beweisgründen ist jedoch zu empfehlen, das Einladungsschreiben mindestens in Textform zu verfassen.
Zudem muss ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen werden, eine Vertrauensperson eigener Wahl hinzuziehen.

Praxishinweis:

Die Möglichkeit der Hinzuziehung einer Vertrauensperson eigener Wahl folgt aus § 167 Abs. 2 S. 2 SGB IX, der im Jahr 2021 ins Gesetz aufgenommen wurde. Viele ältere Muster enthalten diesen Zusatz noch nicht; daher sollten bestehende Vorlagen unbedingt auf ihre Aktualität hin geprüft und bei Bedarf angepasst werden.
Für die betroffene Person muss zum Ausdruck gebracht werden, dass es um die Grundlage der Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll.
Kern des BEM-Verfahrens ist die Durchführung von BEM-Gesprächen. Sie basieren auf einer qualifizierten Analyse der konkreten Situation der arbeitnehmenden Person. Im Rahmen der Gespräche sollen geeignete Maßnahmen identifiziert werden, um eine Wiederaufnahme des Arbeitsverhältnisses zu ermöglichen und das Arbeitsverhältnis dauerhaft zu erhalten.

Praxishinweis:

Die betroffenen Personen sind im Rahmen des BEM nie dazu verpflichtet, über ihre Erkrankungen zu sprechen. Dies kann zwar unter Umständen sinnvoll sein, um geeignete Maßnahmen zu finden, steht jedoch stets im Ermessen der BEM-Berechtigten.
Nach Abschluss der Gespräche sind die als geeignet erachteten Maßnahmen umzusetzen. Die Durchführung muss den Beteiligten zumutbar sein.


III.

Ende des BEM-Verfahrens

Das BEM-Verfahren ist beendet, wenn sich der Arbeitgeber und die betroffene Person einig sind, dass der Suchprozess abgeschlossen ist oder nicht weiter durchgeführt werden soll. Widerruft die betroffene Person ihre Zustimmung zum BEM-Verfahren, kommt es zu einer einseitigen Beendigung des BEM. Im Gegensatz dazu kann der Arbeitgeber das BEM-Verfahren nicht einseitig beenden.

Praxishinweis:

Liegt nach Abschluss eines BEM eine erneute Arbeitsunfähigkeit von mehr als sechs Wochen vor, muss ein neuerliches BEM durchgeführt werden. Dies gilt auch, wenn die arbeitnehmende Person weiterhin ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt ist. Ein einmal durchgeführtes BEM-Verfahren hat kein „Mindesthaltbarkeitsdatum“.


IV.

Rechtliche Relevanz im Kündigungsschutzprozess

Die Durchführung eines BEM ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung. Dennoch hat die (Nicht-)Durchführung Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast in einem Kündigungsschutzprozess.
Können im Rahmen des BEM keine geeigneten Maßnahmen zur Überwindung bzw. Vermeidung der Arbeitsunfähigkeit gefunden werden (= BEM mit negativem Ergebnis), kann sich der Arbeitgeber im Kündigungsschutzverfahren auf dieses Ergebnis berufen. Die Behauptung, dass keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten bestünden, genügt. Der Arbeitnehmende muss insoweit darlegen, dass eine weitere Beschäftigung möglich wäre. Dabei kann nur auf solche Möglichkeiten verwiesen werden, die sich erst nach Abschluss des BEM ergeben haben.
Konnten geeignete Maßnahmen gefunden werden (= BEM mit positivem Ergebnis), stellt die Umsetzung dieser Maßnahmen ein milderes Mittel gegenüber einer Kündigung dar. Unterlässt der Arbeitgeber die Umsetzung, muss er darlegen, warum die Maßnahme undurchführbar oder die Arbeitsunfähigkeit unüberwindbar war.
Wurde ein BEM schließlich gar nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt, muss der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess darlegen, warum eine Anpassung des Arbeitsplatzes oder eine alternative Beschäftigung ausscheidet. Zudem trifft ihn die Darlegungs- und Beweislast für die objektive Nutzlosigkeit des BEM im konkreten Fall.


V.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die erfolgreiche Durchführung eines BEM-Verfahrens dazu beitragen kann, Mitarbeitenden den Wiedereinstieg am Arbeitsplatz zu ermöglichen, die Arbeitsunfähigkeit zu überwinden und das Arbeitsverhältnis dauerhaft aufrechtzuerhalten.
Vor dem Hintergrund der fehlenden gesetzlichen Detailvorgaben können sich für Arbeitgeber Herausforderungen im Hinblick auf die Ausgestaltung des Verfahrens ergeben. Hier empfiehlt es sich, einen strukturierten Ablaufplan mit klaren Zuständigkeiten erarbeiten. Besteht eine Interessenvertretung, bietet es sich möglicherweise an, den Verfahrensrahmen für das BEM in einer Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung zu regeln. Sind die Rahmenbedingungen geschaffen, bietet das BEM-Verfahren Raum für individuelle Anpassungen an die jeweiligen Bedürfnisse der betroffenen Personen und somit die Chance auf einen erfolgreichen Wiedereinstieg in den Arbeitsalltag.

Dieser Beitrag ist mit freundlicher Unterstützung unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Bianca Gaebel entstanden.

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