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Virtuelle Mitarbeiterbeteiligung: Regelungen zum Verfall bei vorzeitigem Ausscheiden auf dem Prüfstand
Viele Unternehmen und Konzerne setzen bei der langfristigen Incentivierung von Führungskräften auf virtuelle Beteiligungsprogramme. Um eine langfristige Bindung zu erzielen, sehen diese zumeist einen Verfall bei einem vorzeitigen Ausscheiden vor.
Dies insbesondere dann, wenn die Führungskraft selbst kündigt oder als sog. „Bad Leaver“ ausscheidet. Doch dürfen bei vorzeitigem Ausscheiden Ansprüche verfallen? Das Bundesarbeitsgericht hat am 19. März 2025 klargestellt: Regelungen, nach der gevestete virtuelle Aktienoptionen aufgrund einer Eigenkündigung verfallen, benachteiligen unangemessen. Die Entscheidung stellt derartige Verfallklauseln und auch Bad und Good Leaver-Regelungen insgesamt auf den Prüfstand.
Autoren dieses Beitrags

Dr. Tim
Wißmann, LL.M.
Wißmann, LL.M.

Dr. Severin
Kunisch
Kunisch
Inhalt dieses Beitrags
I.
Ausgangslage: Lange galt der Verfall als zulässig
Lange Zeit war die Rechtslage scheinbar klar: Echte Aktienoptionen wurden üblicherweise an den Bestand des ungekündigten Arbeitsverhältnisses geknüpft.
Nach einer älteren Rechtsprechung des BAG aus dem Jahre 2008 war dies zulässig. Das BAG leitete die Zulässigkeit insbesondere aus aktienrechtlichen Regelungen und dem spekulativen Charakter von Aktienoptionen ab. An dieser Ansicht wurde kritisiert, dass Aktienoptionen zumeist auch Vergütungscharakter haben und auch eine Gegenleistung für erbrachte Arbeit darstellen. Erdiente Vergütungsbestandteile aber könnten nicht von der Art und Weise des Ausscheidens abhängig gemacht werden (siehe Wißmann/Kunisch in: Festschrift für Henssler, 2023, Seite 735). Das BAG folgt dieser Kritik nun mit einer neuen Entscheidung aus dem Jahr 2025 (10 AZR 67/24).
Die geänderte Rechtsprechung bedeutet tiefgreifenden Anpassungsbedarf von Beteiligungsplänen deutscher Unternehmen. Dies gilt für virtuelle sowie echte Aktienoptionspläne gleichermaßen.
II.
Der Fall: Virtuelle Aktienoptionen und vorzeitiges Ausscheiden
Im Zentrum der Entscheidung steht ein verbreitetes Modell: Beschäftigte erhalten virtuelle Aktienoptionen, deren Auszahlung – oft nach mehreren Jahren – vom Bestand des Arbeitsverhältnisses abhängt.
Im entschiedenen Fall war die Teilnahme an einem solchen Programm davon abhängig, dass das Arbeitsverhältnis über den gesamten Bemessungszeitraum ungekündigt fortbesteht. Bei früherem Ausscheiden drohte der vollständige Verlust. Dies galt insbesondere für den Fall einer Eigenkündigung des bezugsberechtigten Arbeitnehmers. Der klagende Arbeitnehmer hatte bereits mehrere Jahre im Unternehmen gearbeitet und argumentierte, zumindest einen zeitanteiligen Anspruch auf Auszahlung erworben zu haben. Da er das Arbeitsverhältnis allerdings gekündigt hatte, war der beklagte Arbeitgeber der Ansicht, dass die virtuellen Optionen verfallen waren. Dies sah der zugrundeliegende Aktienplan auch so vor.
III.
Die Entscheidung: Kein vollständiger Verfall bei erbrachter Leistung
Das BAG hat sich nun erstmals zur Wirksamkeit solcher Verfallregelungen bei virtuellen Beteiligungsprogrammen geäußert und einen klaren Maßstab gesetzt:
1. Virtuelle Aktien sind (auch) Vergütung
Auch virtuelle Optionen sind arbeitsrechtlich als Gegenleistung für geleistete Arbeit zu bewerten. Sie haben Entgeltcharakter und zählen daher zum geschützten Vergütungsanspruch. Ein vollständiger Verfall von gevesteten, also ausübungsfähigen Optionen, bei vorzeitigem Ausscheiden widerspricht diesem Grundsatz.
2. Zeitanteilig verdiente Ansprüche dürfen nicht entzogen werden
Entsprechend der Rechtsprechung zu Boni und Sonderzahlungen hat das BAG klargestellt: Sobald durch Arbeitsleistung ein Anteil „verdient“ ist, steht dieser den Bezugsberechtigten auch zu. Verfallklauseln, die das nicht berücksichtigen, benachteiligen unangemessen und halten einer AGB-Kontrolle nicht stand. Insbesondere sind Regelungen unwirksam, die den Verfall im Falle der Eigenkündigung des Arbeitnehmers vorsehen. Solche Regeln unterscheiden nicht, aus welchen Gründen der Arbeitnehmer eine Eigenkündigung ausgesprochen hat. Sie erfassen nach dem Wortlaut auch Fälle, in denen der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis aufgrund vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers kündigen „muss“. Ein Verfall in solchen Situationen ist aber nicht gerechtfertigt.
3. Abkehr von der früheren Rechtsprechung
Interessant ist die ausdrückliche Abkehr von der früheren BAG-Entscheidung zu echten Aktienoptionen aus dem Jahr 2008 (10 AZR 351/07), die noch großzügigere Verfallregelungen zuließ. Diese Sichtweise war in der Literatur zunehmend kritisch hinterfragt worden – auch in dem zuvor genannten Beitrag, den Küttner-Anwälte im Jahr 2023 veröffentlicht hatten.
Praxishinweis
Verfallregelungen in virtuellen Beteiligungsprogrammen müssen so gestaltet sein, dass bereits anteilig erarbeitete Ansprüche gewahrt bleiben. Ein vollständiger Anspruchsverlust bei vorzeitigem Ausscheiden ist unzulässig – unabhängig davon, ob es sich um echte Aktienoptionen oder virtuelle Anteile handelt. Das BAG eröffnet indes ausdrücklich die Möglichkeit, dass gevestete Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter bestimmten Voraussetzungen einem Verfall unterliegen können. Damit solche Regelungen zulässig sind, ist allerdings eine „wasserdichte“ Klausel notwendig, die den neuen Anforderungen genügt.
IV.
Fazit: Unternehmen sollten ihre (virtuellen) Aktienpläne kritisch durchleuchten
Das Urteil des BAG schafft neue Klarheit und stärkt die Rechte von Beschäftigten in langfristigen, aktienbasierten Vergütungsmodellen.
Für Unternehmen bedeutet das umgekehrt: Bestehende Regelungen zu virtuellen und echten Beteiligungen sollten überprüft und ggf. angepasst werden. Eine rechtssichere Gestaltung ist weiterhin möglich – sie muss aber dem Grundsatz Rechnung tragen, dass bereits erbrachte Leistungen nicht ungerechtfertigt entwertet werden dürfen. Wer weiterhin mit virtuellen Incentives binden und motivieren will, kommt an diesem differenzierten Maßstab nicht vorbei. Es ist zudem damit zu rechnen, dass Beschäftigten, deren Aktienoptionen (vermeintlich) verfallen sind, Ansprüche gegen ihre ehemaligen Arbeitgeber geltend machen werden. Solche Ansprüche sollten genau geprüft werden.
Über den Autor
Dieser Beitrag wurde von mehreren Autoren verfasst. Informationen zu den Autoren finden Sie am Ende des Beitrags.