Allgemeinverbindlichkeitserklärungen der Tarifverträge im Baugewerbe sind wirksam
Mit Beschluss vom 21. März 2018 hat das BAG entschieden, dass die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen vom 6. Juli 2015 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV), des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe (BRTV), des Tarifvertrages über die Berufsbildung im Baugewerbe (BBTV) und des Tarifvertrags über eine zusätzliche Altersversorgung im Baugewerbe (TZA Bau) rechtwirksam sind. Damit darf die Sozialkasse-Bau auch von nicht tarifgebundenen Arbeitgebern der Branche Beiträge verlangen. (BAG, Beschluss vom 21. März 2018 – 10 ABR 62/16, Pressemitteilung Nr. 16/18).
I. Hintergrund: Was ist die Soka-Bau?
Bei den Sozialkassen des Baugewerbes handelt es sich um gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Die Soka-Bau finanziert Urlaubsgelder, Bezuschussungen der Berufsausbildung, betriebliche Altersversorgung und kontrolliert die Mindestlöhne. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer erhalten Leistungen von den Sozialkassen. Finanziert werden die Leistungen der Sozialkassen durch Beiträge der Arbeitgeber, die diese auf Grundlage des Tarifvertrages des Baugewerbes erbringen. Dieser wurde und wird jedes Jahr neu auf Antrag der Tarifpartner durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) für allgemeinverbindlich erklärt. Dadurch sind alle Arbeitgeber der Branche, ob tarifgebunden oder nicht, verpflichtet, die tariflichen Arbeitsbedingungen einzuhalten und insbesondere Beiträge an die Sozialkassen zu leisten.
Während das BAG noch in den vergangenen Jahren entschied, dass die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen des BMAS aus den Jahren 2008 bis 2014 unwirksam sind (vgl. BAG, Beschluss vom 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 und BAG, Beschluss vom 25. Januar 2017 – 10 ABR 34/15), ging die Entscheidung nunmehr zu Gunsten der Tarifpartner aus. Grund hierfür ist insbesondere die Neufassung des § 5 TVG in der seit dem 16. August 2014 geltenden Fassung. Dieser senkt im Vergleich zu seiner Vorgängerregelung die Hürden für die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärungen erheblich. Während die Vorgängerregelung noch den Nachweis verlangte, dass mehr als 50 % der Arbeitnehmer in einem tarifgebundenen Betrieb arbeiten, reicht nunmehr ein öffentliches Interesse aus.
II. Beschluss des BAG
Im Fall des BAG wandten sich nicht tarifgebundene Arbeitgeber gegen ihre Beitragspflicht gegenüber der SoKa-Bau. Die Antragsteller, die nur auf Grundlage der Allgemeinverbindlichkeitserklärung zu Beitragszahlungen herangezogen wurden, sind der Auffassung, § 5 TVG in seiner Neufassung sei verfassungswidrig. Weiter seien die Tarifverträge mangels Tariffähigkeit und/oder Tarifzuständigkeit der Tarifpartner im Baugewerbe unwirksam. Auch hätten die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass der Allgemeinverbindlichkeitserklärungen nach § 5 TVG nicht vorgelegen, insbesondere habe kein öffentliches Interesse an den Allgemeinverbindlichkeitserklärungen bestanden.
Die klagenden Arbeitgeber hatten vor dem BAG – wie schon vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg – keinen Erfolg. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von 2015 des VTV, des BRTV, des BBTV und des TZA Bau sind wirksam. Es bestünden weder verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 5 TVG in seiner Neufassung noch vernünftige Zweifel an der Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit der Tarifvertragsparteien. Insbesondere hätten die gesetzlichen Voraussetzungen des § 5 Abs. 1a TVG vorgelegen. Das BMAS habe annehmen dürfen, dass der Erlass der angegriffenen Allgemeinverbindlichkeitserklärungen im öffentlichen Interesse geboten erschien.
III. Praxishinweis
Der große Paukenschlag für die Soka-Bau ist ausgeblieben. Es ist das erste Mal, dass das BAG über Allgemeinverbindlichkeitserklärungen befindet, die nach Inkrafttreten des Tarifautonomiestärkungsgesetzes im Jahr 2014 ergangen sind. Bau-Betriebe, die Mitarbeiter beschäftigen, müssen unabhängig von einer etwaigen Tarifbindung Beiträge an die Sozialkassen zahlen. Der Beitragssatz liegt je nach Bundesland zwischen 17,2 und 26,55 Prozent der Bruttolohnsumme und ist – bei 12 % Verzugszinsen – bis zu vier Jahre rückwirkend zahlbar.
Die Entscheidung stellt insoweit ein wichtiges Signal für die Zukunft der Sozialkassenverfahren dar. Die zuvor ergangenen Beschlüsse des BAG über die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärungen der Sozialkassenverfahren für den Zeitraum 1. Oktober 2007 bis 31. Dezember 2014 (vgl. BAG, Beschluss vom 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 und BAG, Beschluss vom 25. Januar 2017 – 10 ABR 34/15) führten insbesondere mit Blick auf etwaige Rückabwicklungsansprüche zu erheblicher Unsicherheit in der Praxis. Der Gesetzgeber sah sich veranlasst – noch bevor die Folgen dieser Rechtsprechung ausdiskutiert waren – das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe durch das Sozialkassenverfahrensgesetz (SoKaSig1) sowie das Sozialkassenverfahren in anderen Branchen durch das SoKaSig2 rückwirkend auf eine neue Grundlage zu stellen. Folge sind zahlreiche Streitigkeiten über die Verfassungsmäßigkeit des SoKaSig 1 und 2.
Ähnliche Problem- und Fragestellungen sind mit Blick auf die neue Entscheidung des BAG nunmehr nicht mehr zu erwarten, da das BAG die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen des BMAS unter der Neuregelung des § 5 Abs. 1 a TVG als wirksam erachtet. Die genaue Begründung des Beschlusses des BAG, der bislang nur als Pressemitteilung verfügbar ist, steht noch aus. Insbesondere die Ausführungen des BAG zu § 5 Abs. 1 a TVG hinsichtlich der Vereinbarkeit mit der Verfassung sowie hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzung „öffentliches Interesse" sind mit Spannung zu erwarten, da insoweit damit zu rechnen ist, dass sich diese auch auf etwaig weitere Allgemeinverbindlichkeitserklärungen des BMAS über Tarifverträge über die Sozialkassen in anderen Branchen auswirken werden.