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Agiles Arbeiten und Arbeitsrecht – ein Widerspruch?

scrum
Kaum ein Begriff ist so zentral mit der Arbeitswelt 4.0 verknüpft wie die Agilität. Ursprünglich aus dem Bereich der Softwareentwicklung kommend, hat agiles Arbeiten mittlerweile in nahezu sämtlichen Branchen Einzug gehalten und ist in der Projektentwicklung kaum noch wegzudenken. Da „klassisches“, d.h. hierarchisches und weisungsgebundenes Arbeiten in festen Strukturen abgelöst werden soll, kommt es zwangsläufig zu Reibungspunkten mit arbeitsrechtlichen Vorgaben. Oftmals werden in der Praxis die bestehenden vertraglichen und gesetzlichen Regelungen als Hemmnis für innovative Entwicklung verstanden. Arbeitsrecht und agile Arbeitsmethoden schließlich sich aber nicht aus. Mit den richtigen Vereinbarungen sind durchaus flexible, eigenständige und in hohem Maße von der Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeitenden geprägte agile Arbeitsformen möglich.

Blogserie: Arbeitswelt 4.0

Unsere Arbeitswelt hat sich in den vergangenen Jahren so rasant verändert wie noch nie zuvor. Was bedeutet dies aber für die Verantwortung der Unternehmen und ihrer Entscheider?

Autoren dieses Beitrags

Thomas
Niklas

Dr. Michel
Hoffmann


I.

Was bedeutet agile Arbeit?

Hauptmerkmale der agilen Arbeit sind kurze, zeitlich befristete Arbeitsprozesse, ein regelmäßiger Austausch und feste Feedbackrunden, um flexibel auf geänderte Wünsche und Anpassungen reagieren sowie den Prozess insgesamt effizienter gestalten zu können.
Ebenso maßgebend sind die fehlenden Hierarchien, da alle auf Augenhöhe gemeinsam im Team arbeiten und maximal Rollen für Moderatoren oder Projektverantwortliche bestehen. Gearbeitet wird in kleinen, selbstorganisierten Teams, die in ständigem Dialog zueinanderstehen. Ziel dieser Arbeitsweise ist die Leistungssteigerung im Rahmen von Projekten und deren schnellere und effizientere Umsetzung. Als klassischer Gegenbegriff fungiert die Methode der Wasserfallmodelle, in der ein Projekt in jeder Phase einen vordefinierten Start- und Endpunkt hat. Agile Arbeit wird durch verschiedene Ansätze wie Scrum, Kanban, Crowdworking, Design Thinking oder Event Storming in Unternehmen umgesetzt.

II.

Die prominentesten Frameworks – Scrum und Kanban

Für die Projektentwicklung hat sich „Scrum“ fest in vielen Unternehmen etabliert und bildet auch methodisch einen klar vorgegebenen Ansatz. Kanban hingegen ist eine Methode, die stark auf Visualisierung setzt und durchaus auch innerhalb eines Scrum-Projekts zum Einsatz kommen kann.

Scrum sieht dabei vier Grundwerte vor:

  • 1. Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge.
  • 2. Funktionierende Software ist wichtiger als umfassende Dokumentation.
  • 3. Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als Vertragsverhandlungen.
  • 4. Reagieren auf Veränderung ist wichtiger als das Befolgen eines Plans.
Auch und insbesondere bei Scrum stehen also eine ständige Rücksprache, kurze, intensive Arbeitsprozesse, hohe Anpassungsfähigkeit an Veränderungen und flache Hierarchien im Mittelpunkt. Gleichwohl sieht Scrum drei feste Rollen vor, die eingenommen werden müssen: Der Project- oder auch Product-Owner, der die Anforderungen an das Produkt zusammenstellt, welche sodann in einzelne Aufgabenbereiche („tasks“) mit unterschiedlicher Priorität gegliedert werden (sogenannter „Product Backlog“), einem Scrum-Master, der im Wesentlichen als Moderator fungiert, und dem Entwicklungsteam. Die Arbeitszeiten werden in kurze Zeit- oder Inhaltseinheiten aufgeteilt, welche „Sprints“ genannt werden. Diese dauern maximal vier Wochen. Durch die Daily Scrums findet ein täglicher Austausch über den aktuellen Stand im Entwicklungsteam statt. Das Ergebnis eines jeden Sprints wird in einem „Review-Gespräch“ mit dem Product-Owner diskutiert. Unter Umständen kommt es auch zur Rückmeldung an den Auftraggeber, um notwendige Anpassungen unmittelbar zu erörtern und ggf. vorzunehmen. Ziel der Methodik ist es, Fehler fortlaufend zu identifizieren, um diese dann im nächsten Sprint beheben zu können. Am Ende soll ein auf den Auftraggeber zugeschnittenes Endprodukt entstehen, ohne dass der Weg und die Ziele dorthin vorab definiert werden.

Im Gegensatz zu Scrum gibt es bei Kanban keine festen Rollen. Ziel von Kanban ist auch nicht primär die Entwicklung des gewünschten Produktes, sondern eine (generelle) Optimierung des Prozessablaufs.

Folgende vier Grundprinzipien sind für Kanban entscheidend:

  • 1. Beginne mit dem, was du gerade tust.
  • 2. Inkrementelle, evolutionäre Veränderungen verfolgen.
  • 3. Respektiere initial bestehende Prozesse/Rollen/Verantwortlichkeiten.
  • 4. Ermutige dazu, Führung auf jeder Ebene der Organisation zu zeigen.
Der Fokus liegt also primär in der Visualisierung der Aufgaben. Dabei können die einzelnen Schritte des Prozesses etwa auf einem Whiteboard festgehalten werden, wobei die einzelnen Anforderungen auf den bekannten bunten Heftzetteln (Tickets) niedergeschrieben werden. Die Anzahl an parallel zu erledigenden Aufgaben wird zudem limitiert. Damit sollen Überforderungen verhindert und zugleich garantiert werden, dass die Aufgaben tatsächlich und auch schneller beendet werden.
Die Erledigung der Aufgaben muss auf eine vereinbarte Weise gekennzeichnet werden. Ein regelmäßiger Feedbackaustausch, der nicht zwingend so starren Vorgaben wie im Bereich von Scrum folgt, ermöglicht auch hier eine Analyse der Erfolge und erlaubt ggf. Anpassungen. Anders als bei der Methode Scrum ist die Arbeit im Team jedoch kein Muss; auch die individuelle Steigerung der Leistungsfähigkeit kann hiermit erreicht werden und das Ziel sein.

III.

Rechtliche Herausforderungen agiler Arbeitsmethoden

Die neuen, agilen Arbeitsformen stoßen an zwei entscheidenden Stellen auf arbeitsrechtlichen Widerstand:
Naheliegend sind zunächst individualarbeitsrechtliche Fragen, da der weisungsabhängige Mitarbeitende schon für die arbeitsrechtliche Einordnung in Abgrenzung zur freien Mitarbeit entscheidend ist. Auch die generelle Ausübung des Weisungsrechts durch das Unternehmen (§ 106 GewO) ist jedenfalls dort stark eingeschränkt, wo der Mitarbeitende Teil eines Scrumteams ist. Wer Scrum erfolgreich einsetzen will, sollte nicht in laufende Projekte oder gar Sprints eingreifen und Personen unter Ausübung des Weisungsrechts anderweitige Aufgaben zuteilen. Gleichzeitig verschwimmen feste Tätigkeitszuordnungen, da unterschiedliche Rollenzuweisungen und Aufgabengebiete feste Bestandteile der agilen Arbeitsmethode sind. Der Mitarbeitende wird vermehrt für die Tätigkeit im Unternehmen oder einem Projekt, nicht aber für die Tätigkeit auf einer bestimmten Stelle eingestellt. Was reizvoll klingen mag, kann mit einer bösen Überraschung im Falle einer Trennung enden. Bei einer solchen variablen Zuordnung wird sich der Mitarbeitende nämlich etwa im Rahmen der Sozialauswahl plötzlich auf sehr vielen ungeahnten Tätigkeitsfeldern sehen, um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung zu bestreiten.
Auch ohne eine solche worst-case-Betrachtung stellt die fehlende Zuordnung zu einer festen Tätigkeit Personalabteilung, Führungskräfte und Mitarbeitende gleichermaßen vor eine andere zentrale Fragestellung: Welche Vergütung ist für welchen Aufwand und welchen Sprint angemessen? Wenig motivierend wird es für die Mitarbeitenden sein, wenn die Vergütung unabhängig von Einsatz, gewonnen Ideen und Feedback des Kunden gezahlt wird. Ebenso sind in einem gleichberechtigten Team erhebliche Vergütungsdifferenzen bei gleicher Leistung schwerlich zu erklären. Feste Vergütungsstrukturen und Stufenaufstiege allein aufgrund von Unternehmenszugehörigkeit oder gar Alter passen ohnehin längst nicht mehr zum Verständnis der neuen Arbeitswelt. Unternehmen können hier aber arbeitsvertraglich gegensteuern und Flexibilität ermöglichen, solange nicht zwingende Vorgaben (etwa in Form von Tarifverträgen) entgegenstehen.
Häufiger übersehen werden die umfangreichen Beteiligungsrechte der Betriebsräte, die zugleich aber auch erhebliche Chancen bieten, die digitale Transformation gemeinsam und mit hoher Akzeptanz in der Belegschaft umzusetzen. So stellt jede Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet oder mit einer erheblichen Änderung der Umstände einhergeht, eine zustimmungspflichtige Versetzung dar. Ist der Betriebsrat bei der Einführung von agilen Arbeitsformen und der Struktur des täglichen Ablaufs nicht von vornherein mit im Boot, drohen – je nach Ausgestaltung der Arbeitsverträge und der vereinbarten Tätigkeitsinhalte – insoweit zeitaufwändige Zustimmungsersetzungsverfahren. Zwingende Mitbestimmungsrechte bestehen ferner bei der agilen Gruppenarbeit und der Einführung von Softwarelösungen, die agiles Arbeiten möglich machen. Wer als Unternehmen erstmals mit dem Gedanken spielt, agile Arbeitsmethoden einzuführen, wird schließlich unter Umständen interessenausgleichspflichtigen Betriebsänderung gegenüberstehen.
Vor diesem Hintergrund kann agiles Arbeiten und Mitbestimmung nur dann funktionieren, wenn der Betriebsrat von Anfang an vertrauensvoll mit eingebunden wird und die wesentlichen Parameter in einer Rahmen-Betriebsvereinbarung erfasst werden, die genügend Freiraum und Flexibilität im agilen Alltag lässt.

IV.

Fazit

Agiles Arbeiten und Arbeitsrecht müssen kein Widerspruch sein. Fluide Netzwerke können in arbeitsrechtlichem Kontext funktionieren, wenn das Spannungsverhältnis zwischen beiden aufgelöst wird. Unbestritten gibt es eine Reihe von arbeitsrechtlichen Herausforderungen sowohl auf individual- als auch kollektivrechtlicher Ebene, die im Vorfeld der Einführung analysiert, besprochen und angegangen werden müssen. Unter Einbeziehung eines möglicherweise bestehenden Betriebsrats kann agiles Arbeiten allerdings rechtssicher implementiert werden.

Küttner Blogserie Arbeitswelt 4.0

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