Corona-Virus – Überblick über wichtige arbeitsrechtliche Handlungsempfehlungen
1. Sollte der Arbeitgeber Schutzmaßnahmen ergreifen und welche kommen in Betracht?
Der Arbeitgeber sollte – unabhängig von konkreten Infektionen im Unternehmen – Maßnahmen einleiten, um das Infektions- und Erkrankungsrisiko einzudämmen. Zugleich kann und muss er nicht für einen absoluten Schutz sorgen. Folgende konkrete Maßnahmen kommen in Betracht:
- Einrichtung einer zentralen Stelle, die nachfolgende Maßnahmen koordiniert und als Ansprechpartner für Arbeitnehmer und Behörden dient („Krisenstab");
- Ermittlung von Risikogruppen, insbesondere von Arbeitnehmern, die kürzlich in gefährdete Regionen verreist sind oder möglichen Kontakt zu infizierten Personen hatten. Insofern steht Ihnen ein Auskunftsanspruch zu;
- Aufklärung über die typischen Krankheitssymptome (Hinweise dazu existieren auf der Website des Robert-Koch-Instituts);
- Hinweise auf die Einhaltung von Hygienevorschiften (keine Begrüßung mittels Handschlags);
- Anordnung des Tragens von Handschuhen oder einer Mund-Nase-Schutzmaske; häufiges Desinfizieren und Waschen der Hände, Husten- und Nieß-Etikette;
- Vermeidung eines unnötig engen Kontaktes von Arbeitnehmern, insbesondere Vermeidung großer Besprechungen bzw. Betriebsversammlungen oder Umstellung auf Video-Konferenzen;
- Freistellung oder vorübergehende Anordnung von Home-Office bei Arbeitnehmern, bei denen ein Krankheitsverdacht besteht (siehe dazu unter 5. und 6.).
2. Wie sollte sich der Arbeitgeber im Fall einer Infektion oder eines Infektionsverdachts verhalten?
Kommt es zu einer Infektion eines Arbeitnehmers oder besteht zumindest ein konkreter Verdacht, so treffen Sie gesteigerte Schutzpflichten für die übrige Belegschaft. Zudem ist eine enge Zusammenarbeit mit den zuständigen Gesundheitsbehörden erforderlich.
Bei einer Infektion oder im Falle eines konkreten Verdachts kommen folgende Maßnahmen in Betracht:
- Frühzeitige Einbindung und enge Abstimmung mit den zuständigen Gesundheitsbehörden.
- Sämtliche Arbeitnehmer, die (potenziell) mit dem infizierten Kollegen in Kontakt gekommen sind, sollten aufgefordert werden, sich ärztlich untersuchen zu lassen. Bis die Untersuchungsergebnisse vorliegen, sollten die Arbeitnehmer freigestellt werden oder im Home-Office arbeiten.
- Neben dem Gesundheitsschutz sollten Sie ein Konzept erarbeiten, ob und wie die betrieblichen Abläufe aufrechterhalten werden können. Können Sie den gesunden Arbeitnehmern keine Tätigkeit anbieten, bleiben Sie grundsätzlich zur Zahlung der Vergütung verpflichtet (§ 615 S. 3 BGB).
- Wenn die Produktion wegen Engpässen bei wichtigen Zulieferern oder Ausfällen eigener Arbeitnehmer zu stoppen droht, kommt die Einführung von Kurzarbeit in Betracht. Die Bundesagentur für Arbeit hat klargestellt, dass die Beantragung und Zahlung von Kurzarbeitergeld im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Corona-Virus möglich ist (https://www.arbeitsagentur.de/news/kurzarbeit-wegen-corona-virus).
- Spiegelbildlich dazu können bei einem hohen Arbeitsausfall der eigenen Belegschaft für die übrigen, noch einsatzfähigen Arbeitnehmer vorübergehend Überstunden angeordnet werden.
3. Besteht im Falle behördlicher Anordnung von Tätigkeitsverboten oder Quarantäne ein Anspruch auf Zahlung von Arbeitsentgelt?
Die Gesundheitsbehörden können zur Verhinderung einer Ausbreitung des Virus weitreichende Maßnahmen ergreifen. Dazu gehören unter anderem die Verhängung beruflicher Tätigkeitsverbote und die Anordnung von Quarantänemaßnahmen (§§ 30, 31 Infektionsschutzgesetz, IFSG).
Werden solche behördlichen Maßnahmen ergriffen, sieht § 56 Abs. 1-3 IFSG grundsätzlich einen Entschädigungsanspruch für die betroffenen Arbeitnehmer vor. Die Entschädigung bemisst sich in den ersten sechs Wochen nach dem Verdienstausfall, anschließend nach dem Krankengeld. Dabei haben Sie als Arbeitgeber diese Entschädigung für die Dauer von sechs Wochen anstelle der Behörde an die betroffenen Arbeitnehmer auszubezahlen. Ihnen steht aber – vor allem, wenn es sich um eine längere behördliche Maßnahme handelt – unter Umständen ein Regressanspruch gemäß § 56 Abs. 5 IFSG gegen die zuständige Behörde zu.
Voraussetzung dieses Regressanspruchs ist, dass der Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht aus anderen Gründen, insbesondere gemäß § 616 BGB aufrechterhalten bleibt. Dies ist der Fall, wenn der betroffene Arbeitnehmer für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Arbeitsleistung gehindert ist. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 1979 bei einem behördlich angeordneten Tätigkeitsverbot im Zusammenhang mit einem Salmonellen-Verdacht eine Zeitspanne von sechs Wochen als noch vorübergehend angesehen und deshalb einen Entschädigungsanspruch abgelehnt (BGH, Urteil vom 30. November 1978 - III ZR 43/77). Dies ist zwar ein ungewöhnlich langer Zeitraum, allerdings existieren bislang keine abweichenden Entscheidungen. Im Falle einer Schließung des gesamten Betriebs aufgrund einer entsprechenden behördlichen Anordnung sprechen jedoch gute Argumente dafür, dass § 616 BGB nicht einschlägig ist und damit ein Regressanspruch des Arbeitgebers besteht, weil in einer solchen Situation keine in der Person des einzelnen Arbeitnehmers liegenden Gründe vorliegen. Der vom BGH entschiedene Fall betraf keine behördlich angeordnete Betriebsschließung, sondern individuelle Tätigkeitsverbote gegen einzelne Arbeitnehmer.
Abgesehen vom Fall einer behördlich angeordneten Betriebsschließung kommt ein Erstattungsanspruch des Arbeitgebers gegen die zuständige Behörde nach § 56 IFSG im Ergebnis vor allem dann in Betracht, wenn bei Erteilung beruflicher Tätigkeitsverbote oder Anordnung von Quarantänemaßnahmen von vornherein abzusehen ist, dass diese einen Zeitraum von sechs Wochen übersteigen. Gleiches dürfte gelten, wenn im Arbeitsvertrag oder anwendbaren Tarifvertrag die Geltung von § 616 BGB für das Arbeitsverhältnis abbedungen wurde.
4. Besteht ein Leistungsverweigerungsrecht der Arbeitnehmer aufgrund einer Infektionsgefahr?
Nein, ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers besteht alleine wegen eines Infektionsrisikos nicht. Dazu wäre es erforderlich, dass dem Arbeitnehmer die Erbringung der Arbeitsleistung unzumutbar ist (§ 275 Abs. 3 BGB). Dies ist regelmäßig erst dann der Fall, wenn die Arbeitsleistung nur unter einer erheblichen Gefahr für die Gesundheit erbracht werden kann.
Arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer haben einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz und sind natürlich nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet.
5. Besteht ein Anspruch auf (bezahlte) Freistellung, wenn Kindergärten oder Schulen schließen oder das Kind erkrankt ist?
Es sind zwei Fragen zu unterscheiden, nämlich zum einen, ob der Arbeitnehmer die Leistung verweigern darf und zum anderen, ob der Arbeitgeber Entgelt zahlen muss.
- Leistungsverweigerungsrecht: Es besteht ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers, wenn ihm die Erbringung der Arbeitsleistung unter Abwägung seiner entgegenstehenden Interessen unzumutbar ist (§ 275 Abs. 3 BGB). Das wird etwa bei der Erkrankung des Kindes angenommen, soweit dieses nicht anderweitig versorgt werden kann. Entsprechendes wird auch dann gelten, wenn das Kind zwar gesund ist, aber wegen einer Schließung der Betreuungseinrichtung nicht anderweitig versorgt werden kann.
- Entgeltfortzahlung: Obwohl keine Arbeitsleistung erbracht wird, besteht ein Anspruch auf Entgelt, wenn der Arbeitnehmer aufgrund eines in seiner Person liegenden Grundes die Arbeitsleistung für eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit" nicht erbringen kann (§ 616 BGB). Die Schließung von Betreuungseinrichtungen kann ebenso wie die Krankheit des Kindes unter diese Regelung fallen. Allerdings nur, wenn sie für eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit", also nur vorübergehend besteht. Im Fall der Erkrankung des Kindes wird ein Zeitraum von fünf Tagen als vorübergehend angesehen. Bei längerer Erkrankung des Kindes besteht ein Anspruch auf Kinderkrankengeld (§ 45 SGB V). Ob diese 5-Tages-Frist auch für die Schließung von Betreuungseinrichtungen wegen einer Infektionsgefahr gilt, ist bislang – soweit ersichtlich – nicht abschließend geklärt. Jedenfalls bei einer mehrere Wochen dauernden Schließung dürfte die Norm nicht greifen, mit der Folge, dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bereits ab dem ersten Tag nicht besteht.
Hinzu kommt, dass die Anwendung des § 616 BGB durch Tarif- oder Arbeitsvertrag ausgeschlossen werden kann. Sie sollten also die Entgeltfortzahlung in diesen Fällen nicht zu einem Automatismus werden lassen, sondern den jeweiligen Einzelfall genau prüfen.
6. Können einzelne Arbeitnehmer bei einem Infektionsverdacht einseitig freigestellt werden und besteht ein Vergütungsanspruch?
Erneut ist die Frage der Freistellung von der Frage der Zahlung der Vergütung zu trennen:
- Freistellung: Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Beschäftigung. Sie können eine Freistellung ohne oder gegen den Willen des Arbeitnehmers nur erklären, wenn Ihr Freistellungsinteresse das Interesse des Arbeitnehmers an einer vertragsgemäßen Beschäftigung überwiegt. Das dürfte jedenfalls dann der Fall sein, wenn ein konkreter Verdacht einer Infektion mit einer ansteckenden Krankheit wie dem Corona-Virus vorliegt. Gleiches gilt, wenn sich der Arbeitnehmer an einem Ort mit einem deutlich erhöhten Ansteckungsrisiko aufgehalten hat oder direkten Kontakt zu infizierten Personen hatte und somit auch eine Gefahr für die Gesundheit der Kollegen darstellt.
- Entgeltfortzahlung: Werden Arbeitnehmer bei einem Infektionsverdacht (d.h. ohne gleichzeitige behördliche Anordnung von Tätigkeitsverboten und/oder Quarantäne-Maßnahmen und ohne ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit) vom Arbeitgeber freigestellt, dürfte der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Entgeltzahlung auch dann behalten, wenn diese Freistellung längerfristig erfolgt.
7. Besteht ein Anspruch auf Home-Office oder kann es angeordnet werden?
8. Was gilt bei einer Schließung des gesamten Betriebes?
Wenn Sie zur Vermeidung eines Infektionsrisikos alle Arbeitnehmer vorübergehend freistellen und den gesamten Betrieb schließen, bleiben Sie grundsätzlich zur Fortzahlung des Entgelts verpflichtet. Sie tragen hier das Betriebsrisiko (§ 615 S. 3 BGB). Es wird zwar teilweise angenommen, dass der Fall einer Pandemie als Realisierung eines die ganze Volkswirtschaft treffenden außergewöhnlichen Risikos nicht unter diese Vorschrift fällt. Eine gerichtliche Klärung ist hierzu jedoch bislang noch nicht erfolgt.
Wenn aufgrund des Corona-Virus Lieferungen ausbleiben und dadurch die Arbeitszeit verringert werden muss oder staatliche Schutzmaßnahmen dafür sorgen, dass der Betrieb vorübergehend geschlossen wird, kommt die Einführung von Kurzarbeit in Betracht. Durch die Zahlung von Kurzarbeitergeld kann die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers deutlich abgefedert werden (vgl. oben unter 2.). Existiert ein Betriebsrat, ist bei Anordnung von Kurzarbeit das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG zu beachten.
Im Falle einer Schließung des Betriebs aufgrund behördlicher Anordnung sollten neben der Beantragung von Kurzarbeitergeld stets auch ein möglicher Regressanspruch nach § 56 Abs. 5 IFSG und die für dessen Geltendmachung maßgeblichen kurzen Fristen im Auge behalten werden.