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4 Minuten Lesezeit (847 Worte)

Entgelttransparenzrichtlinie – der Countdown läuft

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Gleiche Bezahlung für gleiche oder gleichwertige Arbeit ist seit vielen Jahren ein zentrales gesellschaftspolitisches Ziel – in der Praxis aber nach wie vor eine Herausforderung. Mit der EU-Entgelttransparenzrichtlinie (ETRL) soll dieses Ziel nun wirksamer durchgesetzt werden.
Für Unternehmen bedeutet das: mehr Transparenz, mehr Pflichten – und erheblichen Handlungsbedarf. Unser Expertenteam für Entgelttransparenz beleuchtet in einer mehrteiligen Blogreihe die Hintergründe, Anforderungen und Umsetzungsfragen der ETRL. Im ersten Teil geben wir einen Überblick über die Zielsetzung und die wichtigsten Inhalte der Richtlinie.

Blogserie: Equal Pay und Entgelttransparenz

Lohngleichheit ist nicht länger nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern wird zur gesetzlichen Pflicht. Mit der EU-Entgelttransparenzrichtlinie kommen neue Anforderungen auf Unternehmen zu – von Berichtspflichten bis zu transparenten Vergütungsstrukturen. In unserer Blogreihe zeigen wir, was jetzt zu beachten ist und wie Sie Entgeltgerechtigkeit rechtssicher und strategisch umsetzen können.

I.

Der Hintergrund: Entgeltgerechtigkeit als europäisches Prinzip

Entgeltgerechtigkeit gehört zu den Grundwerten der Europäischen Union – verankert in Verträgen, der Grundrechtecharta und bestätigt durch zahlreiche Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs. Dennoch bestehen in der Realität weiterhin erhebliche Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen.
Der sogenannte unbereinigte Gender Pay Gap ist zwar umstritten, gibt aber einen ersten Hinweis auf strukturelle Unterschiede: In Deutschland lag er 2023 bei 18 %, in Luxemburg dagegen bei -0,9 % – dort verdienen Frauen im Schnitt sogar etwas mehr als Männer. Die Ursachen für diese Unterschiede sind vielfältig: von gesellschaftspolitischen Problemen, unzureichende Betreuungsangebote über fehlende Transparenz bis hin zu (unbewussten) Vorurteilen. Das deutsche Entgelttransparenzgesetz aus dem Jahr 2017 konnte hier nur begrenzt Wirkung entfalten – auch wenn das Thema zunehmend öffentliche Aufmerksamkeit erfährt.
Mit der ETRL stellt die EU nun ein weiteres, deutlich wirkungsvolleres Instrument zur Verfügung, um das Recht auf gleiche Bezahlung durchzusetzen. Die Richtlinie ist bis zum 7. Juni 2026 in deutsches Recht umzusetzen, wirft aber längst Ihren Schatten voraus und erzeugt bereits heute Handlungsbedarf.


II.

Das Ziel: diskriminierungsfreie und „faire“ Vergütungssysteme

Vergütungssysteme sind in vielen Unternehmen historisch gewachsen oder orientieren sich an individuellen Einschätzungen.
Vor allem in kleineren Betrieben fehlt es oft an klaren, objektive Kriterien zur Festlegung der Vergütung. Tarifverträge geben hingegen meist eine nachvollziehbarere – nicht unbedingt „gerechte“ – Struktur vor und definieren transparente Bemessungsfaktoren wie Berufserfahrung, Qualifikation oder Betriebszugehörigkeit.
Die ETRL fordert nun verbindlich: Vergütung muss auf objektiven, geschlechtsneutralen und nachvollziehbaren Kriterien beruhen. Dazu gehören insbesondere:
  • Kompetenzen
  • Belastungen
  • Verantwortung
  • Arbeitsbedingungen
Mehr zu diesen Kriterien lesen Sie bereits in unserem Blog.


III.

Was bedeutet die ETRL für Unternehmen?

1. Überprüfung und Anpassung bestehender Vergütungssysteme

Zentrale Aufgabe ist einen systematische Analyse bestehender Vergütungsstrukturen – unabhängig davon, ob ein formales Vergütungssystem bisher existiert oder nicht. Die ETRL verpflichtet Unternehmen dazu, Strukturen zu schaffen, die eine geschlechtsneutrale Entgeltgleichheit sicherstellen. Ohne solche Strukturen werden Unternehmen künftige Berichtspflichten nicht erfüllen und sich gegen Forderungen und Klagen nicht erfolgreich verteidigen können. Auch tarifgebundene und tarifanwendende Unternehmen sollten ihre Eingruppierungen überprüfen – ebenso die Gehaltsfestsetzung im außertariflichen Bereich. Dies kann Abstimmungen mit vielen Stakeholdern (Gewerkschaften, Betriebsrat) auslösen und ist daher zeitnah anzugehen.

Praxishinweis:

Eine interne „Due Diligence“ zur Entgeltstruktur ist unverzichtbar, um Handlungsbedarf und Zeitplan zu bestimmen. Details dazu folgen in einem späteren Beitrag unserer Reihe.

2. Vorbereitung auf rechtliche Anforderungen

Die ETRL enthält umfangreiche neue Regelungen zur Herstellung von Entgelttransparenz – darunter:

Transparenz vor der Beschäftigung:

Informationen über das Einstiegsgehalt oder die Gehaltsspanne vor der Beschäftigung.

Transparenz bei Festlegung des Entgelt:

Informationen über Kriterien, die für die Festlegung des Entgelts, die Entgelthöhen und die Entgeltentwicklung herangezogen werden

Auskunftsanspruch und Informationspflichten:

Arbeitnehmer*innen können künftig Informationen über die Durchschnittsvergütung ihrer Vergleichsgruppe einholen. Darüber muss der Arbeitgeber jährlich informieren.

Berichtspflichten:

Umfangreiche Berichtspflichten über das Entgeltgefälle bereits für Unternehmen ab 100 Beschäftigten. Für Unternehmen ab 250 Beschäftige gilt dies erstmals für das Jahr 2026, für kleinere Unternehmen später. Bis dahin sollte also weitgehende „Entgeltgerechtigkeit“ hergestellt sein.

Gemeinsame Entgeltbewertung:

Bei einem ungerechtfertigte Lohnunterschiede von mehr als 5% müssen berichtspflichtige Unternehmen eine gemeinsame Entgeltbewertung mit den Arbeitnehmervertretungen vornehmen.

Umfangreiche Sanktionen und Beweislastumkehr:

Neben der Möglichkeit von Prozessstandschaft und Verbandsklage sind umfangreiche Sanktionsmechanismen und vor allem erhebliche Beweiserleichterung im Fall von Verstößen gegen Pflichten aus der ETRL vorgesehen.

Erfahren Sie mehr über die konkreten Anforderungen in den kommenden Beiträgen unserer Blogreihe.


IV.

Umsetzung in Deutschland

Die Umsetzung der ETRL in Deutschland ist infolge der Neuwahlen ins Stocken geraten. Zuständig war in der vergangenen Legislaturperiode das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Im aktuellen Sondierungspapier von SPD und CDU/CSU findet die Thematik bislang keine Erwähnung. Dennoch ist davon auszugehen, dass im Laufe des Jahres 2025 zumindest ein erster Gesetzentwurf vorgelegt wird.


V.

Herausforderungen bei der Umsetzung – der Countdown läuft

Die Umsetzung der ETRL wird kein Selbstläufer: Unternehmen müssen interne Strukturen und Prozesse analysieren, neu gestalten und dokumentieren. Das erfordert Zeit, Ressourcen und vor allem frühzeitige Planung.
Sie haben Fragen zur ETRL oder zu Ihrer unternehmensinternen Entgeltstruktur?
In den kommenden Wochen werden wir Best-Practice-Beispiele aus unserer Beratungspraxis vorstellen und zeigen, wie Unternehmen sich praxisnah und rechtssicher aufstellen können.
Unser Expertenteam steht Ihnen jederzeit zur Verfügung.

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