Der Fluch der guten Taten – Untreue-Anklage wegen Betriebsratsbegünstigung
Wie heute bekannt wurde, hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig Anklage gegen aktuelle und frühere Manager von Volkswagen erhoben. Sie wirft ihnen Untreue durch Begünstigung von Betriebsratsmitgliedern vor. Wenngleich die Hintergründe der nunmehr im Raum stehenden Vorwürfe bislang noch nicht bekannt sind, zeigt dieser Fall einmal mehr, dass eine allzu großzügige Behandlung von Betriebsratsmitgliedern erhebliche Risiken birgt. Ausgehend hiervon sollen nachfolgend in aller Kürze die Grundsätze dargestellt werden, die hinsichtlich der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern zu berücksichtigen sind.
Der Grundsatz: Vergütung vergleichbarer Arbeitnehmer
Nach § 37 Abs. 4 BetrVG hat jedes Betriebsratsmitglied Anspruch auf eine Vergütung in der Höhe, wie sie vergleichbare Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung erhalten. Das Entgelt eines Betriebsratsmitglieds darf also nicht geringer bemessen sein als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Dies gilt nicht nur für das feste Gehalt, sondern auch für sonstige Zuwendungen des Arbeitgebers (z. B. Bonuszahlungen).
Die Vorschrift verfolgt den Zweck, das Betriebsratsmitglied vor finanziellen Nachteilen wegen der Ausübung des Betriebsratsamtes zu schützen, indem es hinsichtlich seiner Vergütung so gestellt wird, wie es stehen würde, wenn es das Betriebsratsamt nicht übernommen hätte. Um die „richtige Vergütung" des Betriebsratsmitglieds zu berechnen, ist daher eine hypothetische Betrachtung anzustellen, die sich am Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung zu orientieren hat.
Der Teufel steckt im Detail
So stringent und sinnvoll dies klingt, so schwierig stellt sich die rechtssichere Umsetzung für den Arbeitgeber in der Praxis dar, wenn er die Betriebsratsmitglieder – wie vom Gesetz verlangt – weder bevorzugen noch benachteiligen will.
Bildung der Vergleichsgruppe
Dies beginnt mit der Identifizierung der richtigen „Vergleichsarbeitnehmer". Nach § 37 Abs. 4 BetrVG sind vergleichbar die Arbeitnehmer desselben Betriebs, die im Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamts ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten wie das Betriebsratsmitglied ausgeübt haben und dafür in ähnlicher Art und Weise wie das Betriebsratsmitglied fachlich und persönlich qualifiziert waren. Dabei sind außergewöhnlich gute Leistungen ebenso zu berücksichtigen wie unterdurchschnittliche Leistungen. Ist ein Betriebsratsmitglied z. B. besonders hoch qualifiziert und in seiner beruflichen Tätigkeit überdurchschnittlich gewesen, so kommt als vergleichbarer Arbeitnehmer nur ein Kollege mit ähnlicher Qualifikation und überdurchschnittlicher Leistung in Betracht. Entsprechendes gilt allerdings auch im umgekehrten Fall eines eher schlecht qualifizierten bzw. unterdurchschnittlich guten Betriebsratsmitglieds.
Maßgebender Zeitpunkt für die Feststellung der Vergleichbarkeit ist dabei für die regulären Betriebsratsmitglieder (für nachrückende Ersatzmitglieder gilt anderes) der Zeitpunkt der Wahl des Betriebsratsmitglieds, d.h. der Zeitpunkt, in dem sich das Betriebsratsmitglied noch – ohne das Amt eines Betriebsratsmitglieds innezuhaben – ausschließlich seiner beruflichen Tätigkeit gewidmet hat. Es ist folglich auf die letzte tatsächlich ausgeübte Tätigkeit abzustellen.
In der Praxis kann dies dazu führen, dass schon die Definition der Vergleichsgruppe Schwierigkeiten bereitet oder diese aus nur wenigen bzw. sogar nur einem einzigen vergleichbaren Arbeitnehmer besteht. In letzterem Fall kommt grundsätzlich nur dieser Kollege als Vergleichsperson in Betracht, sodass sich die Einkommen von Betriebsratsmitglied und Vergleichsperson „im Gleichschritt" entwickeln müssen. Die Orientierung an der mehr oder weniger großen Vergleichsgruppe bedeutet allerdings nicht, dass dem Betriebsratsmitglied eine der Höhe nach absolut gleiche Vergütung garantiert wäre, wie dem oder den Vergleichsarbeitnehmern. Das Betriebsratsmitglied soll lediglich davor geschützt werden, aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit finanzielle Nachteile zu erleiden. Daher hat das Betriebsratsmitglied Anspruch auf die gleiche prozentuale Erhöhung seines Gehalts, wenn die Vergütung innerhalb seiner Vergleichsgruppe um einen bestimmten Prozentsatz angehoben wird – stets unterstellt, die Entwicklung in der Vergleichsgruppe ist betriebsüblich und liegt nicht an über- oder unterdurchschnittlichen Leistungen, für die beim Betriebsratsmitglied keine Anhaltspunkte bestehen (s.u.).
Betriebsübliche berufliche Entwicklung
Bei der Bemessung der dem Betriebsratsmitglied zu zahlenden Vergütung ist ferner nur die betriebsübliche berufliche Entwicklung des oder der vergleichbaren Arbeitnehmer zugrunde zu legen. Verläuft die berufliche Entwicklung innerhalb der Vergleichsgruppe nicht betriebsüblich, kann eine solche Entwicklung daher nicht als Maßstab herangezogen werden, es sei denn, in der Person des Betriebsratsmitglieds liegen Gründe vor, die dafür sprechen, dass das Betriebsratsmitglied eine ebensolche atypische berufliche Entwicklung durchlaufen hätte.
Unter einer betriebsüblichen beruflichen Entwicklung ist die Entwicklung zu verstehen, die bei objektiv vergleichbarer Tätigkeit Arbeitnehmer mit vergleichbarer fachlicher und persönlicher Qualifikation unter Berücksichtigung der normalen betrieblichen und personellen Entwicklung nehmen. Die Betriebsüblichkeit entsteht insofern aufgrund gleichförmigen Verhaltens des Arbeitgebers, d.h. ein bestimmter „Karrieretrack" muss so typisch sein, dass zumindest in der überwiegenden Anzahl der vergleichbaren Fälle mit dieser Entwicklung gerechnet werden kann. Eine Beförderung beispielsweise ist daher nur dann betriebsüblich, wenn jedenfalls die Mehrheit der vergleichbaren Arbeitnehmer des Betriebs einen derartigen Aufstieg erreicht oder wenn das Betriebsratsmitglied ohne seine Betriebsratstätigkeit nach den betrieblichen Gepflogenheiten für eine Beförderung angestanden hätte. Kein ausreichender Grund für die Beförderung eines Betriebsratsmitglieds ist es hingegen, wenn die Besserstellung eines oder mehrerer vergleichbarer Arbeitnehmer allein auf individuellen Gründen beruht. Solche außergewöhnlichen bzw. atypischen Entwicklungen haben vielmehr außer Betracht zu bleiben, denn der Begriff der betriebsüblichen Entwicklung bezeichnet den Normalfall und nicht den Ausnahmefall.
Vor dem Hintergrund dieser vielen Stellschrauben und Unsicherheiten ist es für den Arbeitgeber in der Praxis regelmäßig schwierig, die „richtige" Vergütungshöhe festzulegen. Kommt es darüber mit dem Betriebsratsmitglied zum Streit, ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet, dass er die richtige Vergleichsgruppe herangezogen und sich an der betriebsüblichen beruflichen Entwicklung orientiert hat. In Anbetracht dieser praktischen Schwierigkeiten und da aus Sicht des Arbeitgebers mitunter ein Interesse daran besteht, sich die Betriebsratsmitglieder gewogen zu halten, kommt es immer wieder zu erstaunlich „großzügigen" Bemessungen der Vergütung. Davon kann nur abgeraten werden. Eine Begünstigung von Betriebsratsmitgliedern ist nicht nur nach § 78 Satz 2 BetrVG unzulässig. Die nicht anhand der Maßstäbe des § 37 Abs. 4 BetrVG gerechtfertigte Vergütungszahlung stellt auch eine Untreue zulasten des Unternehmens bzw. seiner Aktionäre dar. Wie die aktuellen Vorgänge aus Wolfsburg zeigen, nehmen die Staatsanwaltschaften das Thema zunehmend ins Visier. Für die auf Arbeitgeberseite handelnden Personen und Geschäftsführer ist insofern höchste Vorsicht geboten, wenn sie Strafbarkeitsrisiken vermeiden wollen.
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