Videoaufnahmen als Beweismittel – Keine Pflicht zur unverzüglichen Auswertung
Arbeitswelt 4.0 und „Big-Data" – im Zeitalter der Digitalisierung wird die Bedeutung von Beschäftigtendaten für Unternehmen immer größer. Das Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und zahlreiche Entscheidungen zum Thema Beschäftigtendatenschutz unterstreichen diese Entwicklung und betonen zugleich die Notwendigkeit geeigneter Schutzmaßnahmen. Nach der „Keylogger"-Entscheidung befasste sich der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) innerhalb kürzester Zeit erneut mit der Frage der prozessualen Verwertung von Videoaufzeichnungen am Arbeitsplatz – diesmal jedoch mit einem anderen Ausgang.
I. Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm vom 20. Dezember 2017 – 2 Sa 192/17 als Vorinstanz
Der Beklagte betrieb im zugrundeliegenden Sachverhalt einen Tabak- und Zeitschriftenhandel, in dem die Klägerin beschäftigt war. Nachdem ein Warenschwund bei Tabakwaren festgestellt wurde, veranlasste der Beklagte im August 2016 die Auswertung des im Ladenlokal offen installierten Videogerätes. Die Videoaufzeichnungen vom Februar 2016 ließen nach Ansicht des Beklagten erkennen, dass die Klägerin an zwei Tagen im Februar 2016 vereinnahmte Gelder nicht in die Registrierkasse gelegt, sondern an sich genommen habe. Der Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos wegen begangener Straftaten. Gegen diese Kündigung wehrt sich die Klägerin.
Das LAG Hamm gab der Kündigungsschutzklage statt, da ein umfassendes Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der Videosequenzen bestehe. Ein solches komme in Betracht, wenn dies aufgrund einer verfassungsrechtlich geschützten Position der Klägerin zwingend geboten sei. Unabhängig davon, ob die dauerhafte offene Videoüberwachung zulässig sei, seien die erhobenen Daten nach § 6b Abs. 5 BDSG aF (§ 4 Abs. 5 BDSG nF) unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich seien. Eine solche Löschung – so das LAG Hamm weiter – sei innerhalb einer Frist von ein bis zwei Arbeitstagen nach Wegfall der Erforderlichkeit vorzunehmen. Die von dem Beklagten im August 2016 vorgenommene Auswertung von Videoaufnahmen hinsichtlich der Vorfälle Anfang Februar 2016 verstoße gegen diese Löschungspflicht. Das Interesse des Arbeitgebers an einer Überwachung habe der Gesetzgeber in zeitlicher Hinsicht aus Gründen des Datenschutzes der überwachten Personen begrenzt. Die Klägerin sei wegen der Kamera im Ladenlokal einer lückenlosen Überwachung ausgesetzt, weshalb der Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht besonders schwer wiege. Bereits wegen des Verstoßes gegen die Löschungspflicht sei ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen.
II. Entscheidung des BAG vom 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 laut Pressemitteilung
Auf die Revision des Beklagten hat das BAG das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das LAG Hamm zurückverwiesen. Sollte es sich um eine rechtmäßige offene Videoüberwachung gehandelt haben, hätte keine Pflicht zur sofortigen Auswertung des Materials und damit auch kein Verwertungsverbot bestanden. Die Verarbeitung und Nutzung der Bildsequenzen wäre dann nach § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG aF (§ 26 Abs. 1 S. 1 BDSG nF) zulässig gewesen. Der Beklagte dürfe mit der Auswertung solange warten, bis er dafür einen berechtigten Anlass sehe. Jedenfalls bei vorsätzlichen Handlungen zulasten des Eigentums des Arbeitgebers sei eine Auswertung solange möglich, wie die Ahndung der Pflichtverletzung arbeitsrechtlich zulässig sei. Zudem verweist das BAG bereits in der Pressemitteilung darauf, dass diese Grundsätze auch unter Geltung der DSGVO anwendbar blieben.
Da aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht über die Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung entschieden werden konnte, wurde die Sache an das LAG zurückverwiesen.
III. Bewertung der Entscheidung – zeitlich unbegrenzte Auswertungsmöglichkeit?
Auch wenn zahlreiche Entscheidungen zu Verwertungsverboten bereits vor Inkrafttreten der DSGVO ergingen, lassen sich die aufgestellten Grundsätze auf die aktuelle Rechtslage (BDSG nF) übertragen.
In seiner „Keylogger"-Entscheidung hat das BAG ein Verwertungsverbot angenommen, da sich die Aufzeichnung und Speicherung der Eingaben am Dienst-PC mittels „Keylogger" als unrechtmäßige Datenerhebung erwiesen habe (BAG v. 27. Juli 2017 – 2 AZR 681/16). Der Senat hat stets betont, dass auch bei einem Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorgaben ein Verwertungsverbot nur in Betracht komme, wenn dies aufgrund einer verfassungsrechtlich geschützten Position einer Partei zwingend geboten sei. Davon wird grundsätzlich bei einer unrechtmäßigen Datenerhebung auszugehen sein, da dann in der Regel ein nicht gerechtfertigter Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vorliegt.
In der aktuellen Entscheidung stellt das BAG klar, dass eine unverzügliche Auswertung der Videoaufnahmen nicht notwendig sei. Dabei deutet der Senat an, dass er im Fall der offenen Videoüberwachung im Arbeitsverhältnis nicht auf die allgemeine Regelung des § 6 BDSG aF (§ 4 BDSG nF) abstellt und damit gar kein Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorgaben gegebenen sei. Damit verbunden wäre zugleich die Feststellung, dass die dort geregelten strengen Löschungspflichten, auf die das LAG Hamm noch ausführlich eingegangen ist, keine umfassende Geltung beanspruchen. Bereits in einem Urteil aus dem Jahr 2016 hatte der 2. Senat klargestellt, dass die Vorschrift des § 6b BDSG aF nicht uneingeschränkt im Arbeitsverhältnis anwendbar sei (BAG v. 22. September 2016 – 2 AZR 848/15). Dies wird sich auf die Vorschrift des § 4 BDSG nF übertragen lassen. Unklarheiten bestehen bei der Frage, bis wann eine Auswertung zu erfolgen hat. Der vom Senat angesprochene berechtigte Anlass sorgt für wenig Rechtssicherheit. Bei vorsätzlichen Handlungen sei eine Auswertung solange möglich, wie die Ahndung der Pflichtverletzung arbeitsrechtlich zulässig sei. Auch dies wird im Einzelfall Fragen aufwerfen. Es bleibt insofern abzuwarten, ob die Entscheidungsgründe weitere Konkretisierungen bereithalten. Eine zeitlich unbegrenzte Auswertungsmöglichkeit wird man jedenfalls nicht annehmen können.
IV. Folgen für die Praxis – Nicht unnötig abwarten!
Auch deshalb sollte mit einer Auswertung nicht unnötig lange abgewartet werden. Zum einen ist fraglich, ob die für den Datenschutz zuständigen Aufsichtsbehörden die Meinung des BAG teilen, zum anderen wird es auch im Interesse des Arbeitgebers liegen, möglichst zügig für Klarheit zu sorgen.
Für die Frage des Bestehens eines Beweisverwertungsverbotes wird es auch in Zukunft auf eine umfassende Interessenabwägung ankommen. Jedenfalls beim Fehlen einer Rechtsgrundlage für die Datenerhebung, wird regelmäßig von einem Verwertungsverbot auszugehen sein. Will der Arbeitgeber daher Beschäftigtendaten effektiv nutzen und etwa Maßnahmen zur Mitarbeiterüberwachung oder zur Aufdeckung von Compliance-Verstößen implementieren, ist es ratsam, den datenschutzrechtlichen Vorgaben umfassend Beachtung zu schenken. Um eine Datenverarbeitung auf eine rechtmäßige Grundlage zu stellen und zugleich den Betriebsrat zu beteiligen, kann der Abschluss von Betriebsvereinbarungen zur Datenverarbeitung ein taugliches Mittel darstellen.
Mit der Notwendigkeit von Anpassungen bestehender Betriebsvereinbarungen unter Geltung der DSGVO beschäftigt sich der Blogbeitrag von Thomas Niklas vom 13. Juli 2018.
Zur Videoüberwachung unter Geltung der DSGVO aus Sicht der Aufsichtsbehörden, vgl. Kurzpapier Nr. 15 der Datenschutzkonferenz, abrufbar unter: https://www.ldi.nrw.de/mainmenu_Aktuelles/submenu_EU-Datenschutzreform/Inhalt/EU-Datenschutzreform/KP_15_Videoueberwachung.pdf