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Künstliche Intelligenz und Algorithmen in der Personalarbeit (Teil 2: arbeits- und datenschutzrechtliche Vorgaben)
In der Diskussion um Vor- und Nachteile von Künstlicher Intelligenz (KI) und Algorithmen, ihrer zukünftigen Bedeutung für die Gesellschaft und moralischen sowie ethischen Bedenken geht häufig unter, dass die (strengen) europarechtlich determinierten Vorgaben des Datenschutzrechts weitreichende Einschränkungen der Einsatzmöglichkeiten von KI mit sich bringen. Viele der am Markt bestehenden Angebote sind – ihren tatsächlichen Mehrwert einmal außen vor gelassen – bereits mit bestehenden datenschutzrechtlichen Vorgaben nicht zu vereinbaren. Zudem ist ein bestehender Betriebsrat zwingend bei der Einführung entsprechender Anwendungen zu beteiligen. Im zweiten Teil der Blogreihe stehen diese Themen im Vordergrund. Welche Möglichkeiten von KI und Algorithmen schon am Markt vorhanden sind, hatten wir schon im ersten Teil der Blogreihe beleuchtet.
Blogserie: Arbeitswelt 4.0
Unsere Arbeitswelt hat sich in den vergangenen Jahren so rasant verändert wie noch nie zuvor. Was bedeutet dies aber für die Verantwortung der Unternehmen und ihrer Entscheider?
Autor dieses Beitrags
I.
Datenschutzrechtliche Anforderungen
Beachtet man die Funktionsweise von KI, wird schnell deutlich, dass KI mit Daten trainiert werden muss, um valide Ergebnisse liefern zu können. Erst durch die kontinuierliche Einspeisung von Datensätzen kann KI lernen, Korrelationen zu knüpfen und belastbare Schlussfolgerungen zu treffen.
Den Maßstab für die Zulässigkeit der Datenverarbeitung bilden das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) sowie die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO).
1. Anforderungen des BDSG
Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG muss die Datenverarbeitung für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, die Durchführung oder Beendigung erforderlich sein (zu den Anforderungen bei der Einführung von HR-Tools siehe hier). Eine solche Erforderlichkeit liegt vor, wenn die Datenverarbeitung
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(1) geeignet ist, das mit ihr gewünschte Ziel zu erreichen,
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(2) kein weniger belastender Eingriff zur Verfügung steht und schließlich
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(3) die Interessen des Unternehmens die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten bzw. Bewerbenden überwiegen.
Dies lässt sich wie folgt veranschaulichen:
Im Ergebnis bedarf es also stets einer umfangreichen Abwägung der widerstreitenden Interessen und Rechtsgüter im Einzelfall, was die Beurteilung der abstrakten Zulässigkeit erschwert.
Die Gerichte haben in der Vergangenheit aber deutlich gemacht, dass in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen nicht tiefer eingegriffen werden darf, als es zur Begründung oder Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses zwingend notwendig ist. So wurde einem Unternehmen etwa die Verwendung von Arbeitszeiterfassungssystemen untersagt, die mittels Fingerabdrucks der Beschäftigten bedient wurden. Das LAG Berlin-Brandenburg verneinte die Erforderlichkeit mit dem Hinweis darauf, dass die Arbeitszeiterfassung bisher auch anders, z. B. durch den Einsatz von Chipkarten und damit ohne tiefgreifenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten, möglich war. Das Interesse, einem möglichen Missbrauch des Zeiterfassungssystems entgegenzuwirken, überwiege die Interessen der Beschäftigten nicht (LAG Berlin-Brandenburg v. 04.06.2020 – 10 Sa 2130/19).
Unabhängig von § 26 Abs. 1 BDSG ist die Datenverarbeitung aber möglich, wenn eine Einwilligung der Beschäftigten vorliegt, § 26 Abs. 2 BDSG. Eine Einwilligung ist die unmissverständliche Erklärung bzw. eine eindeutig bestätigende Handlung, mit der Datenverarbeitung einverstanden zu sein. Die Einwilligung muss freiwillig erfolgen. Von Freiwilligkeit kann jedoch nur ausgegangen werden, wenn die Beschäftigten in der Lage sind, die Einwilligung zu verweigern, ohne einen Nachteil zu erleiden. Dies dürfte etwa im Bewerbungsverfahren regelmäßig nicht der Fall sein, da der:die Bewerber:in bei Ablehnung des vorgesehenen Bewerbungsprozesses befürchten muss, gar nicht erst als künftige Arbeitnehmerin bzw. als künftiger Arbeitnehmer in Betracht gezogen zu werden.
Etwas anderes gilt aber dann, wenn man den Beschäftigten bzw. den Bewerbenden die gleichberechtigte Option zwischen dem Einsatz von KI (mit entsprechend detaillierter Erläuterung) und klassischen Kontroll- bzw. Bewerbungsprozessen lässt und zudem deutlich macht, dass die Auswahl des Verfahrens ohne negativen Einfluss bleibt.
2. Anforderungen der DS-GVO
Art. 22 Abs. 1 DS-GVO ergänzt die vorstehenden Anforderungen um eine die automatisierte Einzelentscheidung beschränkende Regelung. Die Ausübung der menschlichen Freiheiten soll nicht ungeprüft einer Maschine oder einem Algorithmus überlassen werden. Die genannten und bisher am deutschen Markt verfügbaren Programme und Tools dienen aber regelmäßig lediglich der Vorbereitung einer Entscheidung durch die Personalverantwortlichen und sind daher mit Blick auf Art. 22 Abs. 1 DS-GVO grundsätzlich nicht zu beanstanden. Die automatische Kündigung von Mitarbeitern aufgrund vermeintlich schlechter Performance, wie sie in den Vereinigten Staaten Realität ist, wäre demgegenüber hierzulande aufgrund von Art. 22 Abs. 1 DS-GVO unzulässig.
Die DS-GVO normiert zudem umfassende Betroffenenrechte. Nach Art. 13 DS-GVO müssen die Betroffenen über den bevorstehenden Einsatz von automatisierten Verfahren informiert werden. Sie müssen aussagekräftige Informationen über die involvierte Logik des Algorithmus und die Tragweite der Datenverarbeitung erhalten. Gleiches gilt auch im Hinblick auf eine bereits erfolgte Datenverarbeitung und den für Beschäftigte bestehenden Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DS-GVO, der aktuell vielen Unternehmen vor allem im Nachgang eines Arbeitsverhältnisses zusetzt, da dieser mittlerweile regelmäßig als Druckmittel zur Durchsetzung anderweitiger Ziele (z. B. einer höheren Abfindung) „missbraucht“ wird. Die Unterscheidung zwischen beiden Rechten liegt im zeitlichen Horizont der Geltendmachung begründet. Art. 13 DS-GVO ist hierbei auf die Zukunft, Art. 15 DS-GVO auf die vergangene Datenverarbeitung gerichtet.
Die Erfüllung der Informationspflichten stellt für Unternehmen praktisch allerdings eine hohe Hürde dar, da die KI-Anwendung in der Regel extern bezogen wird und die Hersteller kein Interesse an der Offenlegung der Programmlogik haben werden. Die einzelnen Mechanismen und zum Einsatz kommenden Algorithmen werden meist dem Geschäftsgeheimnis des Herstellers unterliegen, sodass es den Arbeitgebern:Arbeitgeberinnen schon deshalb kaum möglich sein dürfte, substantiiert über die involvierte Logik des Algorithmus zu unterrichten. Gleichwohl bleiben sie (und nicht etwa der Hersteller) als Verantwortlicher für die Datenverarbeitung Adressat dieser Verpflichtungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Nrn. 1, 7 DS-GVO).
II.
Erhebliche datenschutzrechtliche Hürden beim Einsatz von KI
Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, dass die vielfach von den Anbietern behauptete datenschutzrechtliche Vereinbarkeit nur in seltenen Fällen gegeben ist.
Wenn eine Software ein umfassendes Persönlichkeitsprofil des:der Arbeitnehmers:Arbeitnehmerin erstellt, erfolgt weder eine Begrenzung auf die Analyse von berufsspezifischen Informationen noch erfolgt eine Begrenzung auf einzelne tragende Persönlichkeitszüge, die für das Aufgabenfeld der jeweils ausgeschriebenen Arbeitsstelle besonders bedeutsam sind.
Es wird in der Praxis selten gelingen, in diesen Fällen die Erforderlichkeit nach § 26 Abs. 1 BDSG darlegen zu können, denn in der Regel wird es alternative Maßnahmen geben, die ebenso geeignet, aber weniger einschneidend für die Bewerber:innen bzw. Beschäftigten sind. Selbst wenn das gelingt, dürfte die Interessenabwägung regelmäßig zugunsten des Persönlichkeitsrechts der Beschäftigten ausfallen. In jedem Fall ist Unternehmen dringend zu raten, zuvor Alternativen zu prüfen und bei Nichteignung alternativer Maßnahmen eine entsprechende Dokumentation vorzunehmen.
Besondere Vorsicht ist hinsichtlich der vollständigen (Leistungs-)Überwachung der Arbeitnehmer durch KI-Anwendungen geboten. Eine solche (uferlose) Durchleuchtung der Persönlichkeit der Bewerber:innen bzw. Beschäftigten lässt sich datenschutzrechtlich unter keinem Gesichtspunkt rechtfertigen. Das Verbot der Totalüberwachung wird aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Bewerber:innen bzw. Beschäftigten hergeleitet und schützt diese vor Anpassungs- und Überwachungsdruck.
Auch bei KI-Anwendungen, die Informationen aus den sozialen Medien analysieren, handelt es sich um Datenverarbeitung im Sinne des Art. 4 Nr. 2 DS-GVO. Aufgrund der öffentlichen Zugänglichkeit der Daten ergibt sich jedoch ein gemindertes Schutzniveau. Begründet werden kann dies damit, dass aufgrund der öffentlichen Zugänglichkeit der Daten grundsätzlich nicht signifikant tiefer in den Rechtskreis und die Interessen der Bewerber:innen bzw. Beschäftigten eingegriffen wird, als es eine analoge Internetrecherche durch Personaler:innen tun würde. Auch aus Art. 9 Abs. 2 e) DS-GVO ergibt sich eine Absenkung des Schutzniveaus, sofern die Daten offensichtlich öffentlich zugänglich gemacht werden, was bei Veröffentlichungen in sozialen Netzwerken durchaus der Fall sein kann. Mithin kann die Interessenabwägung ergeben, dass die KI-basierte Sammlung öffentlich zugänglicher berufsbezogener Informationen angemessen und damit zulässig ist.
Vor dem Hintergrund der auch in Deutschland zunehmend hohen Bußgeldzahlungen bei Verstößen gegen datenschutzrechtliche Vorgaben sind bestehende Tools im HR-Bereich dringend zu überprüfen bzw. ist bei deren Einführung datenschutzrechtlichen Fragestellungen entsprechend hohe Priorität einzuräumen.
III.
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats beachten
Auch der Betriebsrat ist bei der Einführung stets zu beteiligen, wobei dies gerade mit Blick auf die Akzeptanz von KI und Algorithmen in der Belegschaft auch Chancen mit sich bringt, die nicht unterschätzt werden sollten.
Schon bei der Einführung der auf bestimmten Algorithmen basierenden Software wird der Betriebsrat nach § 95 Abs. 1 S. 1 BetrVG zustimmen müssen, wenn es sich hierbei um abstrakte Auswahlrichtlinien im Recruiting handelt. Auch die weitere betriebliche Mitbestimmung im Rahmen der personellen Angelegenheiten, etwa eine vorrangige innerbetriebliche Arbeitsplatzausschreibung gemäß § 93 BetrVG und die Zustimmung zur Einführung und Gestaltung von Personalfragebögen und allgemeinen Beurteilungsgrundsätzen im Rahmen von Bewerbungen gemäß § 94 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BetrVG, gilt es in diesem Fall zu beachten. Das jüngst in Kraft getretene Betriebsrätemodernisierungsgesetz , welches unter anderem die Mitbestimmung im Bereich KI stärken will, sieht die Beteiligung des Betriebsrats bei Einsatz von KI (im Bewerbungsprozess) insbesondere in den §§ 80, 90 Abs. 1 Nr. 3 und in § 95 Abs. 2a BetrVG nunmehr ausdrücklich vor. Im Ergebnis ist das aber weniger eine Erweiterung der Mitbestimmung als eine Klarstellung bestehender Beteiligungsrechte.
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG kommt zumindest im Hinblick auf Bewerber:innen aufgrund des klaren Wortlauts der Norm nicht in Betracht, besteht aber ansonsten selbstverständlich für die KI-basierten Softwarelösungen, die Leistung oder Verhalten der Arbeitnehmer:innen überwachen bzw. in der Lage sind, dies zu tun.
Denkbar sind schließlich auch Überwachungs- und Unterrichtungsrechte des Betriebsrats aus § 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und § 90 Abs. 1 BetrVG.
IV.
Fazit
KI hält immer mehr Einzug in die Personalarbeit und wird zukünftig vor allem im Recruiting eine zentrale Rolle einnehmen. Mehr und mehr Unternehmen stoßen auf den Markt, die mit unterschiedlichen Methoden und Anwendungen um die Akzeptanz bei Arbeitgeber:innen aber auch bei Bewerber:innen werben.
Auch wenn noch lange nicht alle Anbieter:innen halten, was sie versprechen, bieten KI-basierte Anwendungen großes Potenzial für einen schnellen, diskriminierungsfreien und zielorientierten Einstellungsprozess, der bei vielen Bewerber:innen durchaus positiv gesehen wird.
Unbedingt zu beachten sind allerdings datenschutzrechtliche Rahmenbedingungen. Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass KI etwa im Recruiting stets zur Begründung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich und damit zulässig sei. Je detaillierter die KI ein (vollumfängliches) Persönlichkeitsprofil des Bewerbenden erstellt, desto schwerer wird es, die Erforderlichkeit der Datenverarbeitung zu begründen. Die Arbeitsgerichte haben sich bisher nur am Rande mit diesen Aspekten beschäftigt, dabei aber eine sehr restriktive Haltung vertreten. Vor dem Hintergrund der auch in Deutschland zunehmend hohen Bußgeldzahlungen bei Verstößen gegen datenschutzrechtliche Vorgaben sind bestehende Tools im HR-Bereich dringend zu überprüfen bzw. ist bei deren Einführung datenschutzrechtlichen Fragestellungen entsprechend hohe Priorität einzuräumen.
Wünschenswert wäre es schließlich, wenn der Gesetzgeber zeitnah mit praxistauglichen und ausgewogenen Regelungen verbindliche Leitlinien schafft, die die Entwicklung von KI und Algorithmen nicht über Gebühr bremst. Es bleibt abzuwarten, wie sich der jüngst von der EU-Kommission vorgelegte, weltweit erste Entwurf einer KI-Verordnung entwickelt. Für KI-Systeme mit hohem Risiko, zu dem auch die Bereiche der Leistungsüberwachung und Erstellung eines Persönlichkeitsprofils zählen dürften, sind nach dem vorlegten Entwurf strenge Vorgaben zu beachten, bevor die KI-Systeme auf den Markt gebracht werden können.
Wenn Sie Fragen, Anregungen oder Diskussionsbedarf zu den Zukunftsfelder des Arbeitsrechts haben, steht Ihnen unser Expertenteam Arbeitswelt 4.0 selbstverständlich gerne zur Verfügung.
Küttner Blogserie Arbeitswelt 4.0
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Über den Autor
Dr. Michel Hoffmann ist seit Anfang 2019 als Rechtsanwalt für die Sozietät Küttner tätig. Dort berät und vertritt er seine Mandanten in allen Belangen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählen die Gestaltung komplexer arbeitsrechtlicher Regelungen, Beendigungsstreitigkeiten sowie sämtliche Fragen des Betriebsverfassungsrechts.