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Wegen massiver sexueller Belästigung am Arbeitsplatz: LAG Köln bestätigt fristlose Kündigung

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Massive sexuelle Belästigungen können die außerordentliche fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Diese Tatsache ist wenig überraschend. Oft trauen sich Betroffene jedoch nicht, ihre Erfahrungen bei den zuständigen Stellen im Unternehmen zu melden.
Zu groß ist die Angst, mit kritischen Nachfragen, Vorwürfen oder auch Unverständnis konfrontiert zu werden, sei es seitens der verletzenden Person selbst, aber auch von Vorgesetzten und Kolleg*innen. Und wenn Betroffene sich doch trauen, die Vorfälle anzuzeigen, erfolgt dies nicht selten unter der Bedingung, dass ihre Identität geschützt und die Sachverhalte hinreichend anonymisiert werden, um einen Rückschluss auf ihre Person möglichst auszuschließen. Das wiederum stellt Unternehmen vor ein Dilemma: Beschäftigte sollen vor weiteren Nachteilen geschützt werden, etwa in Form von weiteren Belästigungen oder aber Repressalien nach Bekanntwerden deren Identität. Auf der anderen Seite müssen spätestens in einem Kündigungsschutzverfahren „Ross und Reiter“ genannt werden. Dies führt häufig zu der – dem beabsichtigten Opferschutz zuwiderlaufenden – Folge, dass sich Unternehmen trotz eigentlich klarer Ausgangslage außer Stande sehen, das Arbeitsverhältnis mit dem Täter zu kündigen, da sie Sorge haben, die Vorwürfe nicht hinreichend belastbar konkretisieren und belegen zu können.

Auch wenn das Urteil des LAG Köln vom 3. März 2023 (Az.: 6 Sa 385/21) vor allem wegen der Anzahl und der Art der detailreich festgestellten Verletzungshandlungen große mediale Resonanz zur Folge hatte, enthält es einige weitere, wichtige Aussagen:

Zum einen bestätigt die Entscheidung entsprechend der allgemeinen Entwicklung in der Rechtsprechung, dass sexuell konnotierte Handlungen Vorgesetzter gegenüber Beschäftigten nicht zu dulden sind.
Zum anderen wird klargestellt, dass fehlende Angaben zu Tatzeit und -ort nicht etwa automatisch zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung, sondern bei einem Bestreiten durch den Täter zur Beweisaufnahme führen. Damit werden die Rechte von Unternehmen in solchen Situationen erheblich gestärkt.

I.

Der Fall und die Entscheidung des LAG Köln

Der Kläger, der sich gegen die außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses gerichtlich zur Wehr setzte, war seit über 35 Jahren bei der beklagten Stadt beschäftigt.
Zuletzt hatte er als stellvertretender Fachbereichsleiter des Fachbereichs „Schule, Sport und Kultur“ sowie der Abteilung „Soziales“ eine leitende Funktion inne. Er war tariflich ordentlich unkündbar. Anlässlich einer von einem externen Unternehmen durchgeführten psychologischen Gefährdungsbeurteilung waren Vorwürfe über eine seit Jahren alltägliche sexuelle Belästigung in dem vom Kläger geführten Bereich aufgekommen. Daraufhin führte die Beklagte mit den dort beschäftigten Mitarbeiterinnen Gespräche.
Die Gesprächsprotokolle enthielten Berichte der Mitarbeiterinnen von unterschiedlichen Bemerkungen, körperlichen Übergriffen und über Jahre hinweg gezeigten Verhaltensweisen des Klägers, aufgrund derer die Kammer die fristlose Kündigung des Klägers als gerechtfertigt einstufte. Nach Abschluss der 15-stündigen Beweisaufnahme identifizierte die Kammer drei Kategorien, die aus ihrer Sicht zunächst jede für sich allein und erst recht in Kombination miteinander einen wichtigen Grund „an sich“ im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellten.

(1) Körperliche Übergriffe des Klägers gegenüber unterschiedlichen Mitarbeiterinnen, namentlich dem Kneifen in die Seite, dem Pieksen in den Schwangerschaftsbauch sowie dem Werfen von Papierschnipseln in den Ausschnitt einer Mitarbeiterin.

(2) Verbale Übergriffe des Klägers gegenüber oder in Gegenwart von Mitarbeiterinnen. U. a. folgende, zum Teil wiederholte Bemerkungen ordnete die Kammer als Beleidigungen und insbesondere sexuelle Belästigungen ein:

  • „Die ist echt auseinandergegangen, die hat doch einen Braten in der Röhre.“

  • „Frau X hat so einen prallen Hintern, der lädt zum Draufklatschen ein.“
  • „Frau X ist ja eine hübsche Frau, aber ungeschminkt möchte ich nicht neben ihr aufwachen.“
  • „Frau X, kommen Sie nach der Geburt mal rein. Ich will wissen, wie groß ihre Brüste dann sind.“
  • „Wenn ich Sie in der Hose sehe, dann juckt es mich in der Hand.“
(3) Der über Jahre hinweg erfolgte Aufbau sowie die Aufrechterhaltung einer Grundsituation im Fachbereich, die von sexualisierter hierarchischer Einflussnahme durch den Kläger geprägt war. Ausweislich der Gesprächsprotokolle, deren Inhalte die vernommenen Zeugen im Weitesten bestätigten, hatte der Kläger regelmäßig Sprüche über große Brüste geäußert, Mitarbeiterinnen oft und offensichtlich auf die Brüste geschaut, jedes Kleidungsstück, jede Figur und jede Frisur kommentiert sowie beleidigende Äußerungen („Schnauze, Fury!“) getätigt.

Tatnachverhalten ist zu berücksichtigen

Negativ legte die Kammer dem Kläger zudem aus, dass er teilweise noch während oder direkt im Anschluss an die übergriffigen Handlungen angeordnet hatte, daraus nun „kein metoo zu machen“. Dadurch habe er deutlich gemacht, zu wissen, was er tue und dass er mit seinem Tun den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährde. Auch das prozessuale Verhalten des Klägers spielte bei der Bewertung des LAG eine Rolle: Die Tatsache, dass der Kläger bis zuletzt – wahrheitswidrig – das von den befragten Zeuginnen bestätigte Verhalten bestritt und nicht nur keine Einsicht zeigte, sondern die Opfer seines Verhaltens stattdessen der Verleumdung bezichtigte, wertete die Kammer als den Kündigungsvorwurf bestärkendes Indiz.

Genaue Angabe von Tatzeit und -ort nicht zwingend erforderlich

Die befragten Mitarbeiterinnen hatten zum Teil zwar wortwörtliche Äußerungen des Klägers genannt, diese jedoch zeitlich kaum eingrenzen und insbesondere weder einen genauen Tatzeitpunkt noch -ort nennen können. Dies lag zum einen daran, dass sich die Vorfälle auf einen mehrere Jahre umfassenden Zeitraum (2016-2020) erstreckten. Zum anderen hatte der Kläger bestimmte Äußerungen jedenfalls sinngemäß mehr als nur einmal getätigt. Aus diesem Grund musste die beklagte Stadt ihren Vortrag auf die Wiedergabe der Äußerungen und Verhaltensweisen und Beweis durch Vernehmung der befragenden sowie befragten Personen beschränken.
Dem Einwand des Klägers, die Vorwürfe seien bereits in zeitlicher Hinsicht zu unbestimmt und stellten Anträge zum Ausforschungsbeweis dar, erteilte die Kammer eine Absage. Das Verbot des Ausforschungsbeweises betreffe vor allem zwei Fälle: Zum einen Behauptungen „ins Blaue hinein“, also solche ohne substantiierte Tatsachengrundlage. Zum anderen Beweismittelanträge, mit denen Informationen durch die Beweisaufnahme erst erlangt werden sollen, um sie dann zur Grundlage eines eigenen neuen Prozessvortrags zu machen. Um einen solchen Fall handele es sich jedoch nicht, wenn lediglich Tatzeit und -ort nicht konkret benannt werden. Weil es um konkrete Behauptungen der Beklagten ging, der Kläger habe bezüglich einzelner seiner Mitarbeiterinnen die Worte „Knackarsch“, „Entenarsch“ und/oder „Atombusen“ benutzt, lag demnach kein unzulässiger Ausforschungsbeweis vor.

II.

Wichtige Aussage für Arbeitgeber

Dem auf über 306 Randnummern sorgfältig aufbereiteten Urteil ist in jeglicher Hinsicht zuzustimmen. Während es ein „No-Brainer“ ist, dass die gezeigten Verhaltensweisen geeignet sind, auch ein über 35 Jahre bestehendes, ordentlich unkündbares Arbeitsverhältnis ohne vorherige Abmahnung zu beenden, enthält das Urteil für Arbeitgeber eine wichtige Botschaft:
Auch wenn die Vorwürfe im Vorfeld der Kündigung aufgrund der von den betroffenen Personen in Anspruch genommenen Anonymität hinsichtlich Zeit und Personen (noch) nicht abschließend konkretisiert werden können, führt dies nicht etwa automatisch zu einem Wegfall der Kündigungsmöglichkeit. Es obliegt dem kündigenden Unternehmen, die zur Kündigung berechtigenden Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen. Je unkonkreter der Vortrag des Kündigenden, desto geringere Anforderungen sind folglich auch an das Bestreiten zu stellen, so dass – wie im in Rede stehenden Fall – ein einfaches Bestreiten ausreichen kann. Konsequenz ist jedoch nicht automatisch, dass der Kündigungsvorwurf unzutreffend und damit die Klage erfolgreich ist. Räumt die gekündigte Person den behaupteten Sachverhalt nicht ein, hat das Unternehmen immer noch die Möglichkeit, die Vorwürfe durch geeignete Nachweise zu beweisen. Ein gängiges Beweismittel, auf das im arbeitsgerichtlichen Verfahren indes vergleichsweise selten zurückgegriffen wird, ist die Vernehmung von Zeugen.
Dies gilt gleichermaßen für die ordnungsgemäße Unterrichtung der zu beteiligenden Gremien. Während es aus Beweisgründen von Vorteil ist, die wesentlichen Inhalte der Betriebs- bzw. Personalratsanhörung schriftlich zu dokumentieren, sehen weder das BetrVG noch das PersVG (NRW) ein besonderes Formerfordernis vor. Daher kann das Beteiligungsverfahren auch vollständig mündlich durchgeführt werden. In einem Gerichtsverfahren können die eingebundenen Mitglieder des Gremiums als Zeugen für die ordnungsgemäße Durchführung des Beteiligungsverfahrens benannt und vernommen werden.

III.

Hinweise für die Praxis – Kündigung trotz Opferschutz möglich

Auch wenn die – im Ergebnis bestätigten – Vorwürfe gegen den Kläger alles andere als Grund für Jubelstürme sind, enthält das Urteil sowohl für Unternehmen als auch betroffene Beschäftigte gute Nachrichten.
Auch in den nicht seltenen Fällen, dass Personen, die sexuelle Übergriffigkeiten am Arbeitsplatz erlebt oder beobachtet haben, zunächst anonym bleiben möchten, sind sie nicht schutzlos. Zum einen ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Haltung ändert, wenn deutlich wird, dass das Unternehmen mit der angezeigten Ernsthaftigkeit Maßnahmen zur Aufklärung einleitet. Da aber nicht absehbar ist, ob die betroffenen Personen im Laufe des Verfahrens doch bereit sind, aus der Anonymität herauszutreten, ist es stets ratsam, diese Personen zu befragen und hierzu (anonymisierte) Gesprächsprotokolle anzufertigen, welche in der anonymen Fassung der Arbeitnehmervertretung vorgelegt werden können. Sollten die befragten Personen auch nach Ausspruch einer Kündigung, wenn sie also sehen, dass ihr Arbeitgeber es „ernst“ meint, an ihrer Haltung festhalten und nicht als Zeugen zur Verfügung stehen, kann der erforderliche Beweis immer noch durch Vernehmung der Personen geführt werden, welche die Gespräche geführt und protokolliert haben.
Da im Rahmen einer Beweiswürdigung durch das Gericht auch Aspekte wie die Position, Einstellung und weitere subjektive Eigenschaften der Zeugen Berücksichtigung finden, ist es empfehlenswert, die Befragungen durch objektive Dritte/Externe durchführen zu lassen. In den Gesprächen kann dann von Beginn an darauf Acht gegeben werden, dass sämtliche Facetten, die im Rahmen der außerordentlichen Kündigung eine Rolle spielen, beleuchtet und abgefragt werden. Durch diese „Auslagerung“ der Ermittlungen wird zudem das mit Blick auf außerordentliche Kündigungen stets mitschwingende Risiko minimiert, dass durch Kenntniserlangung kündigungsberechtigter Personen von relevanten Tatsachen die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen beginnt und so die gesamte Kündigung zu Fall gebracht wird.
Unser Expertenteam Compliance ist u. a. spezialisiert auf die Durchführung interner Ermittlungen sowie die Einrichtung interner und/oder externer Anlaufstellen. Sprechen Sie uns an, wir unterstützen Sie gern.

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