Der Fall und die Entscheidung des LAG Köln
Der Kläger, der sich gegen die außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses gerichtlich zur Wehr setzte, war seit über 35 Jahren bei der beklagten Stadt beschäftigt.
Zuletzt hatte er als stellvertretender Fachbereichsleiter des Fachbereichs „Schule, Sport und Kultur“ sowie der Abteilung „Soziales“ eine leitende Funktion inne. Er war tariflich ordentlich unkündbar. Anlässlich einer von einem externen Unternehmen durchgeführten psychologischen Gefährdungsbeurteilung waren Vorwürfe über eine seit Jahren alltägliche sexuelle Belästigung in dem vom Kläger geführten Bereich aufgekommen. Daraufhin führte die Beklagte mit den dort beschäftigten Mitarbeiterinnen Gespräche.
Die Gesprächsprotokolle enthielten Berichte der Mitarbeiterinnen von unterschiedlichen Bemerkungen, körperlichen Übergriffen und über Jahre hinweg gezeigten Verhaltensweisen des Klägers, aufgrund derer die Kammer die fristlose Kündigung des Klägers als gerechtfertigt einstufte. Nach Abschluss der 15-stündigen Beweisaufnahme identifizierte die Kammer drei Kategorien, die aus ihrer Sicht zunächst jede für sich allein und erst recht in Kombination miteinander einen wichtigen Grund „an sich“ im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellten.
(1) Körperliche Übergriffe des Klägers gegenüber unterschiedlichen Mitarbeiterinnen, namentlich dem Kneifen in die Seite, dem Pieksen in den Schwangerschaftsbauch sowie dem Werfen von Papierschnipseln in den Ausschnitt einer Mitarbeiterin.
(2) Verbale Übergriffe des Klägers gegenüber oder in Gegenwart von Mitarbeiterinnen. U. a. folgende, zum Teil wiederholte Bemerkungen ordnete die Kammer als Beleidigungen und insbesondere sexuelle Belästigungen ein:
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„Die ist echt auseinandergegangen, die hat doch einen Braten in der Röhre.“
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„Frau X hat so einen prallen Hintern, der lädt zum Draufklatschen ein.“
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„Frau X ist ja eine hübsche Frau, aber ungeschminkt möchte ich nicht neben ihr aufwachen.“
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„Frau X, kommen Sie nach der Geburt mal rein. Ich will wissen, wie groß ihre Brüste dann sind.“
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„Wenn ich Sie in der Hose sehe, dann juckt es mich in der Hand.“
(3) Der über Jahre hinweg erfolgte Aufbau sowie die Aufrechterhaltung einer Grundsituation im Fachbereich, die von sexualisierter hierarchischer Einflussnahme durch den Kläger geprägt war. Ausweislich der Gesprächsprotokolle, deren Inhalte die vernommenen Zeugen im Weitesten bestätigten, hatte der Kläger regelmäßig Sprüche über große Brüste geäußert, Mitarbeiterinnen oft und offensichtlich auf die Brüste geschaut, jedes Kleidungsstück, jede Figur und jede Frisur kommentiert sowie beleidigende Äußerungen („Schnauze, Fury!“) getätigt.
Tatnachverhalten ist zu berücksichtigen
Negativ legte die Kammer dem Kläger zudem aus, dass er teilweise noch während oder direkt im Anschluss an die übergriffigen Handlungen angeordnet hatte, daraus nun „kein metoo zu machen“. Dadurch habe er deutlich gemacht, zu wissen, was er tue und dass er mit seinem Tun den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährde. Auch das prozessuale Verhalten des Klägers spielte bei der Bewertung des LAG eine Rolle: Die Tatsache, dass der Kläger bis zuletzt – wahrheitswidrig – das von den befragten Zeuginnen bestätigte Verhalten bestritt und nicht nur keine Einsicht zeigte, sondern die Opfer seines Verhaltens stattdessen der Verleumdung bezichtigte, wertete die Kammer als den Kündigungsvorwurf bestärkendes Indiz.
Genaue Angabe von Tatzeit und -ort nicht zwingend erforderlich
Die befragten Mitarbeiterinnen hatten zum Teil zwar wortwörtliche Äußerungen des Klägers genannt, diese jedoch zeitlich kaum eingrenzen und insbesondere weder einen genauen Tatzeitpunkt noch -ort nennen können. Dies lag zum einen daran, dass sich die Vorfälle auf einen mehrere Jahre umfassenden Zeitraum (2016-2020) erstreckten. Zum anderen hatte der Kläger bestimmte Äußerungen jedenfalls sinngemäß mehr als nur einmal getätigt. Aus diesem Grund musste die beklagte Stadt ihren Vortrag auf die Wiedergabe der Äußerungen und Verhaltensweisen und Beweis durch Vernehmung der befragenden sowie befragten Personen beschränken.
Dem Einwand des Klägers, die Vorwürfe seien bereits in zeitlicher Hinsicht zu unbestimmt und stellten Anträge zum Ausforschungsbeweis dar, erteilte die Kammer eine Absage. Das Verbot des Ausforschungsbeweises betreffe vor allem zwei Fälle: Zum einen Behauptungen „ins Blaue hinein“, also solche ohne substantiierte Tatsachengrundlage. Zum anderen Beweismittelanträge, mit denen Informationen durch die Beweisaufnahme erst erlangt werden sollen, um sie dann zur Grundlage eines eigenen neuen Prozessvortrags zu machen. Um einen solchen Fall handele es sich jedoch nicht, wenn lediglich Tatzeit und -ort nicht konkret benannt werden. Weil es um konkrete Behauptungen der Beklagten ging, der Kläger habe bezüglich einzelner seiner Mitarbeiterinnen die Worte „Knackarsch“, „Entenarsch“ und/oder „Atombusen“ benutzt, lag demnach kein unzulässiger Ausforschungsbeweis vor.