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6 Minuten Lesezeit (1209 Worte)

Das Arbeitsrecht in der „Crowd“ – ToDos für Plattformbetreiber

crowdworking
Als am 1. Dezember 2020 eine Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) veröffentlicht und darin die Arbeitnehmereigenschaft von Crowdworkern bejaht wurde, war das mediale Echo riesig. Dies lag auch daran, dass Crowdworker wegen ihrer Freiheit, Art, Ort und Zeit der Ausübung der Tätigkeit autonom zu bestimmen, regelmäßig gerade nicht als Arbeitnehmer angesehen wurden. Die Auswirkungen der Entscheidung konnten indes erst nach Vorliegen der Urteilsgründe bewerten werden und auch jetzt sind die Folgen für eine zunehmend digitale Arbeitswelt in vielen Bereichen noch unbestelltes Neuland. Klar ist, dass es den Crowdworker nicht gibt; vielmehr ist es eine Frage der jeweiligen Ausgestaltung und Handhabung, ob im Einzelfall tatsächlich eine Arbeitnehmereigenschaft besteht.
Fest steht aber: Die unzähligen Online-Plattformen müssen ihre Geschäftsmodelle kritisch prüfen und sich auch auf gesetzliche Neuregelungen einstellen. Ein Über- und Ausblick:

Blogserie: Arbeitswelt 4.0

Unsere Arbeitswelt hat sich in den vergangenen Jahren so rasant verändert wie noch nie zuvor. Was bedeutet dies aber für die Verantwortung der Unternehmen und ihrer Entscheider?

Autoren dieses Beitrags

Dr. Tim
Wißmann

Dr. Thomas
Köllmann


I.

Der Auftrag an die „Crowd“

Das Modell ist einfach wie attraktiv und schafft für Unternehmen und Crowdworker maximale Flexibilität: Ob die Erstellung eines Werbetextes oder einer Webseite, die Produktbeobachtung, der Fahrdienst oder die Übersetzung eines Textes – das Angebot an plattformvermittelter Arbeit ist gigantisch. Bei dieser externen Vergabe von Aufträgen an die „Crowd“ lässt sich zwischen direktem und indirektem Crowdsourcing unterscheiden:
Beim indirekten Crowdsourcing schließen Auftraggeber und der Crowdworker jeweils mit dem Plattformbetreiber einen Vertrag über die Erbringung einer Leistung. Ein direkter Kontakt zwischen Auftraggeber und Crowdworker kommt nicht zustande. So etwa bei Textbroker oder Testbirds.
Beim direkten Crowdsourcing vermittelt der Plattformbetreiber – ähnlich wie ein Makler oder bei der Arbeitsvermittlung – einen Vertrag zwischen Crowdworker und Auftraggeber und erhält für diese Vermittlung eine Provision. Dies beanspruchen etwa Plattformen wie Freelancer oder Helping für sich.

II.

Crowdworker als Arbeitnehmer?

1. Der Fall

In dem vom BAG entschiedenen Fall betrieb die Beklagte eine Crowdsourcing-Plattform und kontrollierte im Auftrag ihrer Kunden die Präsentation von Markenprodukten im Handel. Die Parteien hatten eine Vereinbarung geschlossen, auf deren Grundlage der Kläger eine Vielzahl von Aufträgen (sog. Mikrojobs) für die Plattform übernommen hatte, ohne dass ein bestimmtes Auftragsvolumen vereinbart war. Die Aufträge bestanden etwa darin, Fotos von der Warenpräsentation im Handel anzufertigen. Jeder Crowdworker konnte über eine App bestimmte Aufträge annehmen, ohne dazu vertraglich verpflichtet zu sein. Es kam dabei nur ein Vertragsverhältnis mit der Plattform zustande (indirektes Crowdsourcing). Im Fall der Übernahme des Auftrags hatte der Crowdworker zwei Stunden Zeit zur Erledigung. Die beklagte Plattform nahm die Leistungen der Crowdworker ab und schrieb ihnen Erfahrungspunkte auf ihrem Nutzerkonto gut („Level-System“). Dadurch konnte der Crowdworker seinen Nutzer-Status verbessern und erhielt komplexere und lukrativere Aufträge angeboten.

2. Die Entscheidung

Arbeitnehmer ist nach der gesetzlichen Definition, wer in den Diensten eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet wird. Im Rahmen der Prüfung kommt es auf die konkrete Vertragsdurchführung, die Eigenart der jeweiligen Tätigkeit sowie eine Gesamtbetrachtung aller Umstände an. Dies verdeutlicht bereits: Eine generelle Aussage, wer als Arbeitnehmer gilt, kann nicht getroffen werden. Es kommt vielmehr auf die viel bemühten „Umstände des Einzelfalls“ an.

Das BAG stellt in seinem Urteil insbesondere drei Aspekte in den Vordergrund:

  • (1) Der Kläger war zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet
  • (2) Die geschuldete Tätigkeit war einfach gelagert und die Durchführung inhaltlich vorgegeben (Fotos von der Warenpräsentation)
  • (3) Durch die Nutzung der App und das damit verknüpfte Anreizsystem konnte die Plattform mittelbar Art und Umfang der Beschäftigung steuern.
Insbesondere mit dem letztgenannten Aspekt begründet das BAG eine persönliche Abhängigkeit des Crowdworkers von der Plattform und dies, obwohl – anders als in einem typischen Arbeitsverhältnis – keine vertragliche Verpflichtung zur Leistungserbringung bestand. Durch das „Level-System“ der App und den damit verbundenen – auch finanziellen – Vorteilen werde der „Spieltrieb“ der Crowdworker mit dem Ziel angeregt, sie zu einer regelmäßigen Beschäftigung zu bewegen. Die vorzunehmenden Gesamtwürdigung führe daher zu einer Verklammerung der einzelnen Mikrojobs zu einem einheitlichen (unbefristeten) Arbeitsverhältnis.

III.

Das „Aus“ für die Plattformen?

Auch nach der Entscheidung des BAG sind längst nicht alle Crowdworker Arbeitnehmer, vielmehr muss die Prüfung einzelfallabhängig erfolgen. Auch ist die Ausgangssituation bei dem direkten und dem indirekten Crowdsourcing eine andere: Beim direkten Crowdsourcing ist die Plattform nur ein Vermittler und der Crowdworker wird für unterschiedliche Unternehmen tätig, weshalb es in aller Regel an einem faktischen Abhängigkeitsverhältnis zu der Plattform mangelt. Durchaus denkbar ist es bei dem direkten Crowdsourcing aber, dass es sich bei dem vermittelten Vertragsverhältnis – wiederum je nach dessen Ausgestaltung – um ein Arbeitsverhältnis handelt.
Ferner wird die Feststellung des BAG, dass gerade bei einfach gelagerten Tätigkeiten auch „tatsächliche Zwänge“ ein Arbeitsverhältnis begründen können, nicht nur Auswirkungen auf die Beschäftigung von Crowdworkern haben. Was solche „tatsächlichen Zwänge“ im Einzelfall sind und welchen Stellenwert ihnen im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung zukommt, bleibt unklar und wird durch die Rechtsprechung noch zu konkretisieren sein. Das Urteil verursacht damit in der Praxis weitaus mehr Rechtsunsicherheit, als es Klarheit geschaffen hat.
Durchaus weitergehende und unangenehme Konsequenzen können sich in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht für die Plattformen – bzw. bei dem direkten Crowdsourcing für die Auftraggeber – ergeben. Der Begriff des Beschäftigten im sozialversicherungsrechtlichen Sinne ist weiter als derjenige des Arbeitnehmers und wird in der Praxis auch weit interpretiert. Mit anderen Worten: Selbst, wenn der Arbeitnehmerstatus mit guten Gründen verneint werden kann, hindert dies den Status als Beschäftigte im Sinne der Sozialversicherung nicht. Dies hat erhebliche Konsequenzen, nämlich insbesondere die Pflicht zur Abführung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages. Die Möglichkeiten, diese Abführungen im Nachhinein wirtschaftlich bei dem Crowdworker zurückzuholen, sind sehr begrenzt.
Auch zu beachten sind die politischen Bestrebungen in diesem Bereich: Nachdem das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein Eckpunktepapier „Faire Arbeit in der Plattformökonomie“ vorgelegt hat, wird mit konkreten gesetzgeberischen Maßnahmen erst in der nächsten Legislaturperiode zu rechnen sein. Zugleich wird das Thema auch auf europäischer Ebene durch die Einleitung der Konsultation der europäischen Sozialpartner forciert, mit dem Ziel, die Arbeitsbedingungen der Crowdworker zu verbessern. Bis Ende 2021 möchte die EU-Kommission eine Gesetzgebungsinitiative vorstellen. Die rechtlichen und politischen Entwicklungen bleiben also spannend.

IV.

ToDos für die Plattformen – Geschäftsmodell kritisch prüfen

Beim direkten Crowdsourcing sollte kritisch geprüft werden, ob die Plattform wirklich nur als „Vermittler“ tätig wird. Dann dürfte das Risiko, dass die einzelnen Mikrojobs für sich gesehen ein (befristetes) Arbeitsverhältnis darstellen, relativ gering sein. Gerade wenn längerfristige Tätigkeiten vermittelt werden, kann dies aber ein Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis begründen, mit allen Konsequenzen für das beauftragende Unternehmen.
Beim indirekten Crowdsourcings besteht – gerade bei einfach gelagerten Tätigkeiten – das Risiko, dass die einzelnen Mikrojobs zu einem einheitlichen (unbefristeten) Arbeitsverhältnis zwischen Crowdworker und Plattform führen. Je mehr der nachfolgenden Fragen dabei mit „Ja“ beantwortet werden, desto wahrscheinlicher kann das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses sein. An den entsprechenden Stellen sollte nach Möglichkeit nachjustiert werden:
Handelt es sich um eine inhaltlich wenig anspruchsvolle Tätigkeit?
Ist der zeitliche (wann?) und inhaltliche (was?) Spielraum bei der Ausführung der Mikrojobs gering?
Ist die Erbringung nur durch den Crowdworker persönlich möglich?
Wird durch ein – wie auch immer ausgestaltetes – System – wie bspw. die Struktur der Vergütung - erreicht, dass der Crowdworker möglichst viel für die Plattform tätig wird?
Ist es Ziel der Plattform, den Crowdworker nach Möglichkeit an die Plattform zu binden?

Küttner Blogserie Arbeitswelt 4.0

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