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Die Nutzung von Freiwilligenprogrammen beim Personalabbau
Freiwilligenprogramme bieten Unternehmen ein flexibles Instrument zum passgenauen Personalabbau im Rahmen einer Restrukturierung.
Im Rahmen von Restrukturierungsvorhaben stellen sog. Freiwilligenprogramme (FP) ein probates Mittel zur Steuerung eines Personalabbaus dar. Bei einem FP treten Arbeitgebende an die gesamte Belegschaft, bestimmte Mitarbeitergruppen oder auch nur einzelne ausgewählte Mitarbeiter*innen heran, um mit einvernehmlichen Lösungen, insbesondere mit Aufhebungsverträgen und Vorruhestandslösungen, aber auch Transfergesellschaften, den Personalabbau umzusetzen.
Ein einseitiger Personalabbau durch Kündigungen geht häufig mit langwierigen Verhandlungen mit dem Betriebsrat einher, was die zeitliche Umsetzung stark verzögert und damit wegen der fortlaufenden Personalkosten erhebliche Zusatzkosten verursacht. Ein FP kann hingegen – auch bei Einbeziehung des Betriebsrats – zumeist deutlich früher in Gang gesetzt und damit auch umgesetzt werden. Der programmatische Ansatz liegt darin, dass die Konditionen allgemeingültig und im Vorhinein festgelegt und kommuniziert sind („take it or leave it“).
Blogserie: Restrukturierung
Pandemie, Ukrainekrieg, Energiekrise und fragile Lieferketten – die derzeitigen Herausforderungen könnten größer kaum sein. Viele Unternehmen bringt dies an ihre Grenzen – nicht wenige auch darüber hinaus. Zusätzlich sind immer strengere rechtliche Anforderungen zu beachten.
Autor dieses Beitrags
I.
Vorteile von Freiwilligenprogrammen
Der Personalabbau über ein FP hat gegenüber einseitigen Entlassungen wesentliche Vorteile. Da das Ausscheiden mit Zustimmung der Mitarbeiter*innen erfolgt, entfällt bspw. die bei Kündigungen erforderliche Sozialauswahl.
Arbeitgeber*innen sind – die entsprechende Bereitschaft auf Arbeitnehmerseite vorausgesetzt – vielmehr frei, die Auswahl bspw. nach Leistungsgesichtspunkten vorzunehmen. So wird die bei einer Sozialauswahl bestehende Problemlage vermieden, wichtige Leistungs- und Know-How-Träger zu verlieren, wenn diese sich nach ihren sozialen Daten als weniger schutzwürdig erweisen. Last but not least werden langwierige und kostenträchtige Rechtsstreitigkeiten vermieden, denn selbst bei einem sorgsam aufgesetzten Restrukturierungskonzept sind betriebsbedingte Kündigungen bekanntermaßen alles andere als „Selbstläufer“.
FP ermöglichen zudem, das Restrukturierungsbudget kontrollieren zu können, da den Arbeitgeber*innen die Entscheidung überlassen bleibt, mit wem Aufhebungsvereinbarungen abgeschlossen werden. Die in der Regel vorzunehmende zeitliche Begrenzung eines solchen Programmes führt gleichzeitig zu einer deutlich früheren Kostentransparenz.
Ein wesentlicher zeitlicher Aspekt, der erhebliche finanzielle Vorteile bieten kann, kommt hinzu: Zwar ist es zumeist erforderlich und vor allem sinnvoll, das FP gemeinsam mit dem Betriebsrat aufzusetzen. Gegenüber langwierigen Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan geschieht dies in aller Regel deutlich leichter und in erheblich kürzerer Zeit. Denn auch der Betriebsrat hat ein Interesse an einvernehmlichen Lösungen, wenn dadurch betriebsbedingte Kündigungen vermieden werden können. Die schnellere Umsetzung kann gegenüber Kündigungen nach einem Interessenausgleich und Sozialplan durchaus nicht wenige Monate zeitlichen „Vorsprung“ bringen. Dies spart Gehaltskosten, die ganz oder teilweise eingesetzt werden können, um das FP mit den notwendigen wirtschaftlichen Anreizen zu versehen. Daher sollte das FP zeitlich begrenzt werden, zumal die Erfahrung in der Praxis zeigt, dass Mitarbeiter*innen bei einer zu langen Laufzeit des FP abwarten, ob sie überhaupt von den angekündigten Restrukturierungsmaßnahmen betroffen sind.
Auch im Hinblick auf die Reputation des Unternehmens in der Öffentlichkeit und für die Stimmung innerhalb der Belegschaft sind FP vorteilhaft. Sie werden aufgrund des Prinzips der Freiwilligkeit als besonders sozialverträglich wahrgenommen und stoßen daher im Vergleich zu betriebsbedingten Kündigungen auf eine weitaus breitere Akzeptanz. Nicht zu vernachlässigen ist allerdings, dass ein FP – wie ein gut dotierter Sozialplan auch – durchaus eine gewisse „Sogwirkung“ auslösen kann und einen starken Anreiz auslösen kann, das Unternehmen bei Zahlung einer Abfindung verlassen zu wollen. Bei der Dotierung sollte daher sorgsam darauf geachtet werden, dass auch vor dem Hintergrund des aktuellen Fachkräftemangels und der guten Vermittlungsperspektiven der Arbeitnehmer*innen auf dem Arbeitsmarkt die Abfindungshöhe nicht „überzüchtet“ ist und unnötige Missstimmungen bei denjenigen auslöst, die an dem FP nicht teilnehmen dürfen. Leistungsträger können beispielsweise durch parallel laufende Retention-Programme aufgefangen werden.
II.
Inhaltliche Ausgestaltung
Bei der inhaltlichen Ausgestaltung des FP sind einige Aspekte zu beachten:
Adressatenkreis festlegen:
Bei der Ausgestaltung eines FP ist zunächst zu entscheiden, welche Mitarbeiter*innen konkret adressiert werden sollen. Zwar ist es möglich, das FP (bspw. unter dem Vorbehalt des Erreichens der gewünschten Personalabbauzahl) an die gesamte Belegschaft zu richten. Eine solche Ausgestaltung entzieht jedoch unnötig Steuerungsmöglichkeiten und vernachlässigt zumeist, dass der Abbau (im Schwerpunkt) bestimmte Bereiche, Abteilungen oder Mitarbeitergruppen im Fokus hat. Wenn es sich nicht um eine allgemeine Maßnahme der Senkung der Personalkosten handelt, macht es daher Sinn, das FP strikt auf diejenigen Bereiche zu begrenzen, in denen tatsächlich Personal abgebaut werden soll.
Hinweis auf „doppelte Freiwilligkeit“:
Zentral ist, dass das FP keinen Anspruch auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages auf Seiten der Mitarbeiter*innen bewirken darf. Um dies zu vermeiden, sollte man bei der Auslobung des FP auf das Prinzip der „doppelten Freiwilligkeit“ deutlich hinweisen. So, wie es dann Sache der Arbeitnehmendenseite ist, zu den Konditionen des Programms auszuscheiden, ist es Sache der Arbeitgeber*innen, von Fall zu Fall zu entscheiden, ob man mit der/dem jeweiligen Mitarbeiter*in einen Aufhebungsvertrag abschließt oder ob man sie/ihn lieber im Unternehmen behalten möchte. Dieses Prinzip ist in der Rechtsprechung anerkannt, wobei es keiner besonderen Begründung bedarf, wenn der Wunsch auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags abgelehnt wird.
Volumen festlegen und Kommunikation absprechen:
Die Vorteile des FP kommen freilich nicht zum „Nulltarif“: So ist es üblich und auch notwendig, dass die Konditionen eines FP wirtschaftlich besser (also in der Regel die Abfindungen höher) sind, als bei Entlassungen auf der Grundlage eines Sozialplans. Dies geschieht regelmäßig durch (zeitlich gestaffelte) sog. Turbo- oder Sprinterprämien, mit denen Mitarbeiter*innen, die an den Programmkonditionen teilnehmen, von zusätzlichen Abfindungsleistungen profitieren. Die Erfahrung zeigt, dass der Erfolg eines FP ganz maßgeblich von der richtigen Kommunikationsstrategie abhängt, die nach Möglichkeit mit dem Betriebsrat abgestimmt ist. Zu der Kommunikation gehört der klare Hinweis, dass die zusätzlichen Leistungen des FP nur im Zuge des zeitlich befristeten freiwilligen Ausscheidens gewährt werden. Ebenso sollte sorgsam darauf geachtet werden, die Programmkonditionen gut aufbereitet und verständlich darzustellen (z.B. durch Abfindungsrechner).
III.
Beteiligung des Betriebsrats
Im Vorfeld der Einführung des FP sollte der Betriebsrat beteiligt werden. Dies gilt unabhängig von der rechtlichen Bewertung des Umfangs der Mitbestimmungs- bzw. Beteiligungsrechte. Ein zwingendes Mitbestimmungsrecht kommt dem Betriebsrat bei der Auflegung und Ausgestaltung von FP zwar nicht zu.
Insbesondere handelt es sich bei den aufgrund der Aufhebungsverträge gezahlten Abfindungen nicht um Lohn im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.
Allerdings muss der Betriebsrat zumindest über das Freiwilligenprogramm informiert werden (§ 92 BetrVG). Wichtiger dürfte in der Praxis die Regelung des § 111 BetrVG sein. Danach muss der Betriebsrat bei Betriebsänderungen umfassend beteiligt werden. Eine solche Betriebsänderung liegt vor, wenn erhebliche Teile der Belegschaft betroffen sind, wobei für die Frage der Erheblichkeit die Schwellenwerte des § 17 KSchG maßgeblich sind.
Nach den Erfahrungen in der Praxis kommt es auf diese rechtlichen Fragestellungen indes kaum an. Es ist in aller Regel nicht sinnvoll, ein FP ohne oder gar gegen den Willen des Betriebsrates aufzusetzen, denn dann wird die für die Freiwilligkeit notwendige Akzeptanz in der Belegschaft fehlen. Vielmehr sollte der Betriebsrat proaktiv und frühzeitig in die Planungen und auch den Verfahrensablauf einbezogen werden. Die Erfolgsquote ist bei einem solchen Vorgehen deutlich höher. Ebenso akzeptieren Betriebsräte häufiger den Umstand, dass ein Personalabbau nach den bloßen Kriterien der Sozialauswahl die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens nicht sichern kann.
IV.
Höhe der Abfindungsleistungen
Nicht nur angesichts des aktuellen Fachkräftemangels sowie der sehr guten Vermittlungsperspektiven der Arbeitnehmer*innen auf dem Arbeitsmarkt sollte sorgsam darauf geachtet werden, dass die Höhe der Abfindungsleistungen nicht über das erforderliche Maß hinausschießt und falsche Botschaften in die Belegschaft sendet, gerade zu denjenigen, die – insbesondere als Leistungsträger – von dem FP ausgenommen bleiben sollen.
Die Erfahrungen aus der jüngeren Vergangenheit zeigen, dass Abfindungsleistungen aus älteren Sozialplänen häufig überzogen sind und eher einen Streit darüber in der Belegschaft aufkommen lassen, wer an dem Abfindungsprogramm teilnehmen „darf“, um sodann schnell bei der Konkurrenz unterzukommen. Dies führt zu fehlgeleiteten Anreizfunktionen sowie potenziell dem Eindruck mangelnder Wertschätzung gegenüber der verbleibenden Belegschaft. Es kann sich also anbieten, die Höhe der Abfindung noch stärker an den Zukunftsperspektiven auf dem Arbeitsmarkt auszurichten – also nur bei denjenigen höher ausfallen zu lassen, welche bspw. mit einem sehr hohen Alter bzw. einer Schwerbehinderung es weitaus schwieriger auf dem Arbeitsmarkt haben. Das schlichte abstellen auf die Betriebszugehörigkeit geht hier meist fehl. Ebenso kann es wichtig sein, durch Retention-Programme oder andere Leistungen die Wertschätzung gegenüber Leistungsträgern zum Ausdruck zu bringen.
V.
Notwendigkeit einer Massenentlassungsanzeige
Je nach Größe des Betriebs und Zahl der geplanten Aufhebungsverträge kann eine Pflicht zur Abgabe einer Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG bestehen.
Werden die Schwellenwerte überschritten, ist ferner das so genannte Konsultationsverfahren durchzuführen, in dessen Rahmen der Betriebsrat über die geplanten Maßnahmen umfassend informiert werden muss. Ob aus dem FP im konkreten Fall die Pflicht zur Abgabe einer Massenentlassungsanzeige und zur Durchführung des Konsultationsverfahrens folgt, sollte frühzeitig geprüft werden, da geschlossene Aufhebungsverträge bei Missachtung unwirksam sind. Das Konsultationsverfahren kann mit Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen verbunden werden.
VI.
Fazit
FP bieten Unternehmen ein flexibles Instrument zum Personalabbau im Rahmen einer Restrukturierung.
Durch ein solches Programm lässt sich ein Personalabbau erreichen, der zumeist weitaus „passgenauer“ ist, als bei einseitigen Entlassungen. Zudem bietet die in aller Regel zügigere und risikoärmere Umsetzung erhebliche Kostenvorteile. Die juristischen Hürden und Fallstricke, die sich bei der Durchführung eines Freiwilligenprogramms ergeben können, sind durch eine frühzeitige und sorgfältige Planung aufzufangen.
Über den Autor
Dr. Tim Wißmann berät als Partner bei der Sozietät Küttner Mandanten aus dem privaten sowie öffentlichen Sektor in allen Fragen des Arbeitsrechts mit Schwerpunkten im Bereich von Restrukturierungen und Compliance-Untersuchungen. Er verfügt zudem über vielfältige Erfahrungen im Tarifrecht, der Betriebsverfassung, der betrieblichen Altersversorgung und der Führung von Revisionsverfahren vor dem Bundesarbeitsgericht.