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Haftung des Erwerbers und des PSV bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz

insolvenz

Am 26. Januar 2021 beendete das Bundesarbeitsgericht (BAG) zwei etwa fünf Jahre währende Rechtsstreite, die sich bis nach Luxemburg zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) erstreckten (3 AZR 139/17, 3 AZR 878/16). Im Kern ging es um die Frage, in wie weit ein Betriebserwerber und der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) in der Insolvenz für Ansprüche der betrieblichen Altersversorgung haften.

Geschrieben von

Dr. Severin Kunisch

(Expertenteam Betriebliche Altersversorgung)

Im Falle eines Betriebsübergangs tritt der Erwerber eines insolventen Unternehmens gemäß § 613a BGB in die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis ein und wird damit auch Schuldner der betrieblichen Altersversorgung. Dies steht allerdings in gewissem Konflikt mit den Grundsätzen des Insolvenzrechts. Die Insolvenzordnung sieht für die Abwicklung aller Ansprüche, die bei Insolvenzeröffnung bestehen, ein eigenes Verfahren vor. Hiernach sollen alle Gläubiger gleichmäßig befriedigt werden, was dazu führt, dass offene Forderungen der Gläubiger durchschnittlich nur zu rund drei bis vier Prozent befriedigt werden. Das BAG ging deshalb in ständiger Rechtsprechung von einer teleologischen Reduktion des § 613a BGB aus. Ein Betriebserwerber, der einen Betrieb nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erwirbt, haftet – trotz § 613a BGB – nicht für vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erdiente Versorgungsleistungen. Aus Sicht der Betriebsrentner spielt dies allerdings häufig nur eine untergeordnete Rolle, da insoweit jedenfalls der PSV eintritt. Der PSV schützt die betriebliche Altersversorgung bei der Insolvenz des Arbeitgebers. Es ergibt sich folgendes Bild: Der PSV haftet für Betriebsrenten bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens; der Betriebserwerber haftet für Ansprüche nach der Eröffnung. In Fällen von endgehaltsbezogenen Versorgungszusagen (bei denen die Betriebsrente vom Endgehalt eines Arbeitnehmers abhängt) tritt dadurch häufig jedoch eine Deckungslücke auf. Der PSV haftet gemäß § 7 Abs. 2a S. 4 BetrAVG nicht für Veränderungen der Versorgungsregelung, die nach dem Eintritt des Sicherungsfalls eintreten. Deswegen setzt der PSV bei der Bemessung seiner Zahlungspflicht lediglich das zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens niedrigere Gehalt des Arbeitnehmers an. Der Erwerber setzt insoweit zwar das höhere Gehalt zum Beschäftigungsende an; er lässt jedoch die Beschäftigungsjahre bzw. den Anteil an der Betriebsrente, der vor der Insolvenz erdient wurde, außer Betracht. Die vom BAG entschiedenen Rechtsstreite betrafen hieraus entstehende Haftungslücken und die Frage, ob diese mit dem europäischen Recht vereinbar sind.


I.

Sachverhalt

Den Klägern waren vom später insolventen Arbeitgeber Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugesagt worden. Die Betriebsrente berechnete sich aus der Anzahl der Dienstjahre und dem vor dem Ausscheiden erzielten Gehalt der Arbeitnehmer (sog. endgehaltsbezogene Versorgungszusage). Über das Vermögen des Arbeitgebers wurde im März 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Im April 2009 ging der Betrieb im Wege des Betriebsübergangs gemäß § 613a Abs. 1 BGB auf die Beklagte über.
Einer der Kläger erhielt seit August 2015 von der Beklagten (seiner neuen Arbeitgeberin) sowie vom PSV eine Betriebsrente. Die Beklagte legte zwar das Gehalt des Klägers zugrunde, welches er kurz vor der Rente erhielt. Allerdings ließ sie den Anteil der Betriebsrente, der vor Insolvenz erdient wurde, außer Betracht. Sie berücksichtigte bei der Berechnung der Altersrente nicht die Dienstjahre vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der PSV hingegen beachtete zwar (ausschließlich) jene Dienstjahre vor Insolvenzeröffnung, er legte allerdings nur das Gehalt zugrunde, das der Kläger zum Eintritt der Insolvenz erhielt. Der Kläger machte den entstandenen Differenzbetrag klageweise von seiner neuen Arbeitgeberin geltend.

II.

Entscheidungen des BAG und des EuGH

Die Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Man könnte zunächst der Fehlvorstellung erliegen, dass der Kläger eine umfassende Absicherung erhalte: Der PSV zahlt die Betriebsrente entsprechend der Dienstjahre bis zur Insolvenz und anhand des Gehalts zum Zeitpunkt der Insolvenz. Die beklagte Arbeitgeberin legt – wegen der eingeschränkten Anwendung des § 613a Abs. 1 BGB – die Dienstjahre ab Insolvenzeröffnung zugrunde und stellt auf das Monatsgehalt vor dem Ausscheiden ab. Allerdings würde der Kläger insgesamt mehr erhalten, wenn die Beklagte das Endgehalt vor dem Ausscheiden und alle Dienstjahre zugrunde legen müsste. Der PSV schließt zwar in gewisser Hinsicht die finanzielle Lücke, da insgesamt alle Dienstjahre beachtet werden, er gewichtet die Dienstjahre vor Insolvenz aber mit einem geringeren Gehalt. In den vom BAG entschiedenen Rechtsstreitigkeiten kam es deswegen zu einer Deckungslücke in Höhe von circa EUR 150,- monatlich.
Für das BAG stellte sich die Frage, ob die entstandene finanzielle Lücke, die dem Zusammenspiel zwischen Insolvenzrecht, dem BetrAVG und § 613a Abs. 1 BGB geschuldet ist, mit dem europäischen Recht vereinbar ist. Deswegen legte das BAG mit Beschluss vom 16. Oktober 2018 dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) entsprechende Fragen vor. Der EuGH stellt mit Urteil vom 9. September 2020 (C-674/18, C-675/18) fest, dass es die Richtlinie 2001/23/EG erlaube, den Erwerber eines insolventen Unternehmens nicht auch für Beschäftigungszeiten vor Insolvenzeröffnung haften zu lassen. Es billigte damit die in Deutschland vorgenommene teleologische Reduktion des § 613a Abs. 1 BGB. Dies allerdings nur, wenn hinsichtlich des Betrags, für den der Erwerber nicht haftet, die zum Schutz der Arbeitnehmer getroffenen Maßnahmen ein Schutzniveau bieten, das dem von Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG zumindest gleichwertig ist. Dieser Mindestschutz ist nach Auffassung des EuGH nur gewährleistet, wenn ein Arbeitnehmer mindestens die Hälfte seiner Betriebsrente erhält und nicht unter die Armutsgrenze fällt. Nach Ansicht des BAG gewährleiste Deutschland dies durch einen unmittelbar aus dem Unionsrecht folgenden Anspruch gegen den PSV. Die beklagte Arbeitgeberin haftet deshalb nicht für Dienstzeiten vor Insolvenzeröffnung.

III.

Einordnung und praktische Auswirkungen

EuGH und BAG stärken in erfreulicher Weise Sanierungsmöglichkeiten für insolvente Unternehmen. Wenn Betriebserwerber verpflichtet worden wären, auch für Beschäftigungszeiten vor der Insolvenz einzustehen, hätte dies die Kaufpreise für insolvente Unternehmen immens in die Höhe getrieben. Als Konsequenz wären Unternehmenskäufe in der Insolvenz unattraktiver geworden und die übrigen Insolvenzgläubiger hätten eine noch niedrigere Befriedigung ihrer Forderungen erfahren. Gerade vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Pandemie und zu erwartender Insolvenzen ist diese Rechtsprechung zu begrüßen. Betriebsrentner werden zwar nicht vollständig, aber jedenfalls in ausreichender Weise durch den PSV geschützt.
Da die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung wesentlich von der Bereitschaft der Arbeitgeber abhängt, ist der Rechtsprechung auch eine Stärkung der betrieblichen Altersversorgung insgesamt gelungen. Neu ist außerdem, dass bezüglich des Mindestschutzes erstmals ein Direktanspruch gegen den PSV bejaht wurde. Der PSV muss jedenfalls für die Hälfte der Betriebsrente einsteht und verhindern, dass ein Rentner unter die Armutsgrenze fällt. Für Einzelheiten des Haftungsumfangs müssen die Veröffentlichung der Entscheidungsgründe abgewartet werden. Wie sich diese Rechtsprechung auf noch nicht unverfallbare Anwartschaften auswirkt, kann der Pressemittelung des BAG ebenfalls nicht entnommen werden. Klarheit werden auch hier erst die Entscheidungsgründe bringen. Gegenwärtig haftet der PSV gemäß § 7 BetrAVG nicht für verfallbare Anwartschaften.

ACHTUNG:

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass eine Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB zwar regelmäßig nur eine Wissenserklärung darstellt. Gleichwohl sollte jedoch bei der Formulierung darauf geachtet werden, dass nicht „versehentlich“ eine Ausfallhaftung für die Betriebsrenten durch den neuen Inhaber statuiert wird. Hierauf war die Vorinstanz (LAG Düsseldorf, Urteil vom 20. Januar 2017 – 6 Sa 582/16) ausdrücklich eingegangen, ließ die Frage jedoch aus anderen Gründen letztlich dahinstehen.

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