ArbG Emden: Folgerungen aus der Entscheidung des EuGH im Zusammenhang mit vergütungsrechtlichen Fragen
Auf die Entscheidung des EuGH vom 14. Mai 2019 bezog sich die 2. Kammer des ArbG Emden in drei Urteilen aus dem Jahr 2020. Alle Verfahren betrafen im Kern Streitigkeiten zur Thematik der Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinn:
Mit Urteil vom 20. Februar 2020 gab das ArbG Emden der Klage eines als Bauhelfer tätigen Arbeitnehmers auf Vergütungsnachzahlung mit der Begründung statt, maßgeblich für die Berechnung der Vergütung sei die vom Arbeitnehmer auf Grundlage von Eigenaufzeichnungen im Prozess vorgetragene Arbeitszeit. Der Arbeitgeber komme seiner sekundären Darlegungs- und Beweislast nicht ausreichend nach, wenn er dem Vortrag des Arbeitnehmers nicht anhand von aus einem System zur Arbeitszeiterfassung ermittelten objektiven und verlässlichen Daten entgegentritt. Denn zur Einrichtung eines solchen Systems zur Arbeitszeiterfassung sei der Arbeitgeber ausgehend von der Entscheidung des EuGH zur Einrichtung eines Arbeitszeiterfassungssystems unmittelbar aus Art. 31 Abs. 1 GRCh verpflichtet, sodass dessen Fehlen eine Verletzung der Schutz- und Rücksichtnahmepflichten des Arbeitgebers aus § 241 Abs. 2 BGB darstelle. Der unter Vorlage von Eigenaufzeichnungen geleistete Vortrag des Arbeitnehmers gelte damit als zugestanden gemäß § 138 Abs. 3 ZPO.
Daran anknüpfend stellte das ArbG Emden mit Urteil vom 24. September 2020 (2 Ca 144/20) weiterhin fest, durch das Urteil des EuGH werde die abgestufte Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess dergestalt modifiziert, dass die positive Kenntnis des Arbeitgebers von geleisteten Überstunden, die Voraussetzung für deren Abrechenbarkeit und Vergütungspflicht ist, nicht erforderlich sei, wenn der Arbeitgeber sich diese Kenntnis durch Einsichtnahme in das Arbeitszeiterfassungssystem selbst verschaffen kann, dies aber nicht getan hat. Denn zur Einrichtung eines Arbeitszeiterfassungssystems sei der Arbeitgeber angesichts der Entscheidung des EuGH in europarechtskonformer Auslegung von § 618 Abs. 1 BGB, jedenfalls aber von § 241 Abs. 2 BGB, verpflichtet. Insbesondere könnten auch Arbeitszeitaufzeichnungen, die primär arbeitszeitrechtlichen Zwecken dienten, vergütungsrechtliche Bedeutung entfalten.
Diese Argumentation führte die 2. Kammer des ArbG Emden schließlich in ihrer Entscheidung vom 9. November 2020 (2 Ca 399/18) fort, indem sie dem klagenden Arbeitnehmer Überstundenvergütung auf Grundlage technischer Aufzeichnungen zusprach, obwohl zwischen den Parteien streitig war, ob diese technischen Aufzeichnungen zur Erfassung vergütungspflichtiger Arbeitszeit erfolgten. Dies begründete die Kammer – erneut unter Bezugnahme auf § 618 BGB in europarechtskonformer Auslegung – mit der Pflicht des Arbeitgebers zur Einrichtung eines Systems zur Erfassung und Kontrolle der Arbeitszeiten des Arbeitnehmers. Fehle ein solches System, reichten nicht zur Erfassung vergütungspflichtiger Arbeitszeit erstellte technische Aufzeichnungen als Indiz für geleistete Arbeitszeiten bzw. Überstunden aus.
Nachdem die Kammer in ihrer ersten Entscheidung vom 20. Februar 2020 die vergütungsrechtliche Bedeutung des Fehlens eines Systems zur Arbeitszeiterfassung noch aus einer unmittelbaren Wirkung des in Art. 31 Abs. 2 GRCh verankerten Rechts auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten hergeleitet hatte, ließ sie dies in den beiden letztgenannten Entscheidungen offen und stellte auf eine europarechtskonforme Auslegung nationaler Rechtsvorschriften, nämlich § 618 BGB, hilfsweise § 241 Abs. 2 BGB, ab.