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„Workation“: Mobiles Arbeiten im Ausland
Die mit der Coronapandemie einhergehenden Reisebeschränkungen haben bei vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu einem verstärkten Fernweh geführt. Gleichzeitig haben die vergangenen Monate gezeigt, dass – entgegen der bisherigen Überzeugung – eine persönliche Anwesenheit im Betrieb in vielen Fällen nicht erforderlich ist. Ist eine Tätigkeit geeignet, im Rahmen mobilen Arbeitens erbracht zu werden, kann sie also theoretisch von jedem beliebigen Ort aus erfolgen, kommt grundsätzlich ebenso eine Erledigung aus dem Ausland – etwa in Form eines verlängerten Urlaubs (sog. „Workation“) – in Betracht. Was technisch und organisatorisch innerhalb kürzester Zeit umsetzbar ist, bedarf aus rechtlicher Sicht indes einer sehr präzisen Vorbereitung.
Blogserie: Arbeitswelt 4.0
Unsere Arbeitswelt hat sich in den vergangenen Jahren so rasant verändert wie noch nie zuvor. Was bedeutet dies aber für die Verantwortung der Unternehmen und ihrer Entscheider?
Autorin dieses Beitrags
I.
Kein Anspruch der Beschäftigten auf mobiles Arbeiten im Ausland
Eins vorweg: Die aktuell (noch) geltende Homeoffice-Angebotspflicht erstreckt sich nicht auf eine Tätigkeit in der ausländischen Ferienwohnung, die zudem streng genommen kein Homeoffice im eigentlichen Sinne darstellt, sondern präziser unter den Begriff des mobilen Arbeitens zu fassen ist.
Äußert ein Arbeitnehmer den Wunsch, seine Tätigkeit aus dem in der ausländischen Ferienwohnung eingerichteten Arbeitszimmer heraus erbringen zu dürfen, bedarf diese besondere Form des mobilen Arbeitens auf Arbeitgeberseite einer gewissenhaften Prüfung. Denn die Verlagerung der Tätigkeit ins Ausland birgt eine Vielzahl rechtlicher Fallstricke, die vorab geklärt werden sollten.
II.
Arbeitsort, Arbeitszeit, zeitliche Dauer – was unbedingt vertraglich geregelt werden sollte
Die Bestimmung des Tätigkeitsorts unterliegt zwar dem Direktionsrecht der Arbeitgeberin; ist im Arbeitsvertrag indes geregelt, von wo aus der Beschäftigte seine Arbeitsleistung zu erbringen hat, kann davon nur im gegenseitigen Einvernehmen abgewichen werden.
Selbst wenn die Parteien sich auf eine Form des mobilen Arbeitens verständigt haben und es dem Beschäftigten freigestellt ist, an welchem Ort er seine Arbeitsleistung erbringt, beschränkt sich diese Abrede im Zweifel nur auf deutsches Hoheitsgebiet und schließt daher die eigenmächtige Verlegung des Tätigkeitsorts in die Ferienwohnung auf den Seychellen in der Regel nicht ein. Äußert der Beschäftigte den Wunsch, zeitweise aus dem Ausland heraus tätig zu werden, bedarf dies einer Zusatz- oder Änderungsvereinbarung zum Arbeitsvertrag. Diese sollte neben einer abweichenden Festlegung bzw. Erweiterung des konkret zu benennenden Tätigkeitsorts schon mit Blick auf § 2 Abs. 2 NachwG unbedingt auch Regelungen zur Dauer des Einsatzes und Verteilung der Arbeitszeit sowie den Ausschluss der Vergütung von Wegezeiten zur ausländischen Tätigkeitsstätte und zurück enthalten. Zudem empfiehlt es sich aus Arbeitgebersicht, ein Rückholrecht und dessen Voraussetzungen in der Vereinbarung zu verankern.
Hinweis:
Soweit die Verlagerung des Tätigkeitsorts ins Ausland auf die Initiative des Arbeitnehmers zurückgeht, stellen die damit verbundene Änderung des Arbeitsorts sowie der Arbeitsumstände mangels Zuweisung durch den Arbeitgeber selbst bei längerer Dauer keine nach §§ 99 Abs. 1, 95 Abs. 3 BetrVG mitbestimmungspflichtige Versetzung dar. Je nach Ausgestaltung sind jedoch die weitergehenden Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 BetrVG zu beachten. Werden die Arbeitnehmer etwa verpflichtet, ihre Arbeitszeit im Rahmen des mobilen Arbeitens mittels einer bestimmten Software zu erfassen, sind sowohl § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG als auch § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG einschlägig. Mit dem zeitnah zu erwartenden Inkrafttreten des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes und der damit einhergehenden Einführung des neuen § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG werden die Ausgestaltung und Durchführung mobiler Arbeit sodann grundsätzlich mitbestimmungspflichtig.
III.
Die Grenzen der freien Rechtswahl: Gilt das deutsche Kündigungsschutzgesetz auch im Ausland?
Grundsätzlich können die Arbeitsvertragsparteien frei darüber entscheiden, welches Recht auf das zwischen ihnen begründete bzw. zu begründende Arbeitsverhältnis Anwendung finden soll (sog. Arbeitsvertragsstatut).
Es kann – und sollte – also vereinbart werden, dass das Arbeitsverhältnis (weiterhin) deutschem Recht unterliegt. Soweit die Vertragsparteien keine dahingehenden Einschränkungen aufnehmen, greifen die Regelungen des deutschen Individualvertragsrechts vollumfassend. Das bedeutet z. B., dass sich die Kündigung einer im ausländischen Mobile Office tätigen Arbeitnehmerin bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen nach den Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes, ihr Urlaub nach denen des Bundesurlaubsgesetzes und ihre Vergütung im Falle von Arbeitsausfall infolge Krankheit oder eines Feiertags nach denen des Entgeltfortzahlungsgesetzes richtet.
Indes gibt es in den meisten Staaten – ähnlich wie in Deutschland – bezüglich mancher Regelungsbereiche zwingende Vorgaben, deren Anwendbarkeit die Vertragsparteien jedenfalls dann nicht wirksam ausschließen können, wenn dies eine im Vergleich zum deutschen Recht günstigere Regelung für den Arbeitnehmer darstellte. Zu denken ist in diesem Zusammenhang vor allem an öffentlich-rechtliche Vorschriften zum Mindestlohn, zur Höchstarbeitszeit oder zum Arbeitsschutz, deren Maßgaben im Einzelfall vorab genauer zu prüfen sind.
IV.
Sozialversicherungs- und lohnsteuerrechtliche Auswirkungen der Tätigkeit im Ausland
Weitere Regelungsbereiche, die nicht zur Disposition der Vertragsparteien stehen, sind beispielsweise auch die des Sozialversicherungs- und des Steuerrechts.
1. Für Fragen des Sozialversicherungsrechts gilt: Möglichst frühzeitige Einbeziehung des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen
Welches Sozialversicherungsrecht im Einzelfall anzuwenden ist, folgt aus den jeweiligen Kollisionsnormen der an dem grenzüberschreitenden Sachverhalt beteiligten Staaten. Während für die sozialversicherungsrechtliche Behandlung von Arbeitseinsätzen in der EU, dem EWR und der Schweiz insbesondere die VO (EG) Nr. 883/2004 zum Tragen kommt, hat Deutschland mit einer Vielzahl von Drittstaaten entsprechende Abkommen geschlossen. In der Regel richtet sich das anwendbare Sozialversicherungsrecht nach dem Beschäftigungslandprinzip: Es gilt das Recht des Tätigkeitsorts.
Hinweis:
Die Ausnahme, dass Arbeitnehmer, die im Rahmen einer Entsendung vorübergehend im Ausland tätig werden, in allen Zweigen der deutschen Sozialversicherung verbleiben, greift in den Fällen der hier besprochenen kurzzeitigen Auslandstätigkeit nicht, da sie nicht auf Weisung des Arbeitgebers, sondern auf Wunsch des Arbeitnehmers erfolgt und daher keine Entsendung im engeren Sinne darstellt. Ebenso wenig handelt es sich bei der hier besprochenen Konstellation um Grenzgänger-Sachverhalte.
Dennoch besteht nach Gemeinschaftsrecht auch bei einer Tätigkeit in mehreren Vertragsstaaten die Möglichkeit, im Sozialversicherungssystem des Heimatstaates zu verbleiben. Dies setzt indes u. a. voraus, dass es sich um eine gewöhnliche im Sinne einer regelmäßigen Beschäftigung im Ausland handelt. Ob eine zunächst einmalige Mobile-Office-Tätigkeit im Ausland dieses Kriterium erfüllt oder vielmehr in beiden Tätigkeitsstaaten eine Sozialversicherungspflicht besteht, ist derzeit noch offen. Um hier Klarheit zu schaffen, empfiehlt es sich, rechtzeitig Kontakt mit dem zuständigen Spitzenverband Bund der Krankenkassen oder der Deutschen Verbindungsstelle Krankenversicherung – Ausland (DVKA) aufzunehmen, um im Einvernehmen mit der entsprechenden ausländischen Behörde eine Ausnahmevereinbarung nach Art. 16 VO (EG) 883/2004 zur Anwendung deutschen Sozialversicherungsrechts zu erwirken. Darüber hinaus sollte vorsorglich eine A1-Bescheinigung zum Nachweis der Sozialversicherungspflicht beantragt werden.
Hinweis:
Bei geplanten Auslandstätigkeiten in einem Drittstaat außerhalb der EU ist in der Regel zudem ein entsprechender Aufenthaltstitel mit Arbeitserlaubnis Zulässigkeitsvoraussetzung für die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit.
2. Im Regelfall bleibt die Lohnsteuerpflicht in Deutschland bestehen
In der Regel führt die kurzzeitige Ausübung einer Tätigkeit im ausländischen Arbeitszimmer nicht zu einer Einkommensteuerpflicht der Beschäftigten (auch) in dem ausländischen Tätigkeitsstaat und somit einer veränderten Lohnsteuerabzugsverpflichtung des deutschen Arbeitgebers. Anders kann dies beispielsweise sein, wenn der Arbeitnehmer während des Aufenthalts entscheidet, seinen Lebensmittelpunkt von Deutschland ins Ausland zu verlagern. Darüber hinaus kann der Beschäftigte auch dadurch im Ausland steuerlich ansässig werden, dass er Büroräumlichkeiten anmietet oder in Vertretung des deutschen Unternehmens Aufträge an ausländische Dienstleister vergibt. Schließlich könnten, sofern eine Vielzahl der Beschäftigten regelmäßig im Ausland arbeiten, Behörden vor Ort auf die Idee kommen, es handele sich hierbei um eine Betriebsstätte des Unternehmens. Dies wiederum hätte zur Folge, dass die dieser Betriebsstätte zuzuordnenden Gewinne der Besteuerung im jeweiligen Staat unterlägen.
Um die Risiken möglichst gering zu halten, sollten Arbeitsaufenthalte im Ausland von vornherein zeitlichen und kompetenziellen Grenzen unterworfen werden. Kommt es gleichwohl zu einer Steuerpflicht, richtet sich diese nach dem jeweiligen ausländischen Steuerrecht und – soweit ein solches besteht – nach dem im Einzelfall anwendbaren Doppelbesteuerungsabkommen.
V.
Fazit: Auch die Mobile-Office-Tätigkeit im Ausland will gut vorbereitet sein
Die Gründe für den Wunsch einzelner Beschäftigter, zeitweise von einem im Ausland eingerichteten Arbeitszimmer aus tätig zu werden, sind vielfältig und insbesondere in den aktuellen Zeiten durchaus nachvollziehbar. Vor dem Hintergrund der vorstehenden Gesichtspunkte sind Unternehmen jedoch gut beraten, den Wünschen nicht vorschnell nachzukommen, sondern jeden Einzelfall im Vorfeld genau zu prüfen. Nur so kann verhindert werden, dass die Workation des Einzelnen zum Horrortrip des gesamten Unternehmens wird.
Küttner Blogserie Arbeitswelt 4.0
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Über den Autor
Dr. Maren Henseler ist seit Anfang 2018 als Rechtsanwältin bei der Sozietät Küttner tätig. Ihr besonderer Schwerpunkt liegt im Bereich der Compliance, insbesondere bei der Einführung von Compliance- und Whistleblower-Systemen sowie der Durchführung von Internal Investigations. Darüber hinaus verfügt Frau Dr. Henseler über besondere Expertise im Bereich des Sportarbeitsrechts.