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Kein Annahmeverzugslohn eines schwerbehinderten Arbeitnehmers bei Angebot einer vertraglich nicht geschuldeten Tätigkeit

bohrwerk
Bietet ein schwerbehinderter Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Verrichtung einer Tätigkeit an, die vertraglich nicht geschuldet ist und vom Arbeitgeber auch nicht durch Ausübung seines Direktionsrechts einseitig zugewiesen werden kann, löst ein solches (vom Arbeitgeber nicht angenommenes) Angebot keinen Annahmeverzug und somit keinen Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers aus § 615 Satz 1 iVm § 611a Abs. 2 BGB aus.
Unter Umständen kann dem Arbeitnehmer jedoch ein Schadensersatzanspruch in Höhe der entgangenen Vergütung gegen den Arbeitgeber zustehen, wenn dieser dem schwerbehinderten Arbeitnehmer schuldhaft keine Vertragsänderung mit einer behinderungsgerechten Beschäftigung anbietet. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) unter Fortsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung mit Urteil vom 14. Oktober 2020 (5 AZR 649/19).

I.

Der dem BAG-Urteil vom 14. Oktober 2020 zugrunde liegende Sachverhalt

In seiner Entscheidung vom 14. Oktober befasste das BAG sich mit der Revision eines Industriearbeiters, der Ansprüche auf Vergütung aus Annahmeverzug geltend machte.

Dem Rechtsstreit lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger war von Geburt an hörgeschädigt und mit einem Grad von 100 als schwerbehinderter Menschen anerkannt. Er war seit dem 1. Juli 2008 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Industriearbeiter im Pool beschäftigt und übte in diesem Rahmen die ihm zugewiesene Tätigkeit als Bohrwerkshelfer aus. Da er diese Tätigkeit aufgrund eines Rückenleidens seit 2012 nicht mehr ausüben konnte, übertrug die Beklagte die vom Kläger übernommenen Aufgaben den bei ihr beschäftigten Bohrwerkern.
Bis August 2013 war der Kläger arbeitsunfähig krank und begann anschließend eine externe Umschulung zum Bürokaufmann, die er im Juni 2016 abschloss. Für die Zeit vom 24. Juni 2016 bis 30. November 2017 verständigten sich die Parteien auf eine befristete „Abstellung“ des Klägers bei der Werksfeuerwehr der Beklagten im Rahmen einer Elternzeitvertretung. Am 1. Dezember 2017 begann der Kläger eine Reha-Maßnahme, an deren Anschluss er arbeitsunfähig krankgeschrieben war. Für die Zeit bis Februar 2018 leistete die Beklagte Entgeltfortzahlung, danach erhielt der Kläger bis einschließlich 3. Juni 2018 Krankengeld.
Nach Auslaufen des Krankengeldbezugs bot der Kläger der Beklagten im Juni 2018 mehrmals seine Leistung an, deren Annahme die Beklagte unter Verweis darauf, dass der Kläger laut arbeitsmedizinischer Stellungnahme dauerhaft zu einem Einsatz als Bohrwerkshelfer nicht mehr in der Lage sei und auch keine andere leidensgerechte Beschäftigungsmöglichkeit bestünde, ablehnte. Von einer beabsichtigten Kündigung, zu der bereits die erforderliche Zustimmung des Integrationsamts vorlag, sah die Beklagte dann doch ab, nachdem wegen des Sterbefalls eines Lageristen in ihrem Lager ein Arbeitsplatz frei geworden war, auf dem sie den Kläger sodann in der Zeit vom 1. Juli bis einschließlich 31. Dezember 2018 beschäftigte. Für Juni 2018 zahlte die Beklagte dem Kläger keine Vergütung.
Mit seiner beim Arbeitsgericht Braunschweig eingereichten Klage machte der Kläger Vergütungsansprüche für die Zeit vom 4. Juni bis 30. Juni 2018 aus Annahmeverzug geltend. Diese begründete er im Wesentlichen damit, dass die von ihm geschuldete Tätigkeit nach Umverteilung seiner Aufgaben als Bohrwerkshelfer die eines Sachbearbeiters gewesen sei. Von der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs sah der Kläger in allen Instanzen ausdrücklich ab.

II.

Entscheidungsinhalt

Nachdem das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hatte, gab das Landesarbeitsgericht (LAG) Niederachsen dem Zahlungsantrag auf die Berufung des Klägers statt. Das BAG hingegen revidierte diese Entscheidung und lehnte sämtliche Ansprüche des Klägers ab.

1. Angebotene Leistung nicht die vertraglich zu bewirkende Leistung iSd § 294 BGB

Das auf eine Tätigkeit als Sachbearbeiter bei der Werksfeuerwehr gerichtete Arbeitsangebot des Klägers habe die Beklagte nicht in Annahmeverzug versetzen können, weil die angebotene Tätigkeit nicht der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung des Klägers entsprochen habe. Die gemäß § 294 BGB zu bewirkende Arbeitsleistung sei identisch mit der arbeitsvertraglich vereinbarten, wenn diese derart konkret bestimmt ist, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht in Ausübung seines Direktionsrechts nach § 106 Satz 1 GewO einseitig eine andere Tätigkeit zuweisen kann. Der Kläger sei gemäß Arbeitsvertrag rahmenmäßig als Industriearbeiter eingestellt worden. Die Tätigkeit als Sachbearbeiter sei davon nicht umfasst, weil sie ganz anders geartete, nämlich vornehmlich geistige, Arbeitsaufgaben mit sich bringe, und könne daher nicht im Wege des Direktionsrechts zugewiesen werden.

2. Keine Vertragsänderung durch (unwirksam) befristete „Abstellung“

Ebenso wenig folgte der Senat der Argumentation des Klägers, die Parteien hätten sich im Wege der „Abstellung“ des Klägers zur Werksfeuerwehr auf eine dauerhafte Änderung der geschuldeten Tätigkeit des Klägers verständigt, weil deren Befristung unwirksam sei. Die Elternzeitvertretung sei ein die Befristung rechtfertigender Sachgrund nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG iVm § 21 Abs. 1 BEEG gewesen. Auch die Schwerbehinderung des Klägers führe nicht dazu, dass die lediglich befristete Tätigkeitsänderung als unangemessen anzusehen wäre. § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX gebe schwerbehinderten Menschen keine Beschäftigungsgarantie und verpflichte den Arbeitgeber insbesondere nicht, für den schwerbehinderten Menschen, der auf seiner bisherigen Stelle nicht mehr weiterbeschäftigt werden kann, einen bislang nicht vorhandenen, zusätzlichen Arbeitsplatz einzurichten. Weder aus dem SGB IX noch internationalem Recht folge die Verpflichtung des Arbeitgebers, behinderungsgerechte Beschäftigungsmöglichkeiten zu eröffnen, für die kein Bedarf besteht. Mithin hätten für das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Befristung ab dem 1. Dezember 2017 wieder die ursprünglich vereinbarten Arbeitsbedingungen gegolten.

3. Kein Annahmeverzug wegen Verstoßes gegen Rücksichtnahmepflicht

Mit Blick auf einen etwaigen Anspruch aus Annahmeverzug sei zudem unerheblich, ob die Beklagte in der Lage gewesen wäre, gemäß dem Leistungsangebot des Klägers einen entsprechenden Arbeitsplatz als Sachbearbeiter etwa durch Umorganisation frei zu machen. Denn die Zuweisung einer solchen Tätigkeit war schon nicht vom Direktionsrecht der Beklagten umfasst. Selbst wenn sie es gewesen wäre, führe dies zu keiner anderen Bewertung. Die Konkretisierung der Arbeitspflicht sei Sache des Arbeitgebers. Unterlasse dieser es schuldhaft, dem Arbeitnehmer eine leidensgerechte und vertragsgemäße Arbeit zuzuweisen, könne dies allenfalls einen Anspruch auf Schadensersatz begründen, nicht jedoch auf Vergütung aus Annahmeverzug. Gleiches gelte mit Blick auf die verschuldensabhängige Haftung des Arbeitgebers für die Verletzung seiner aus § 241 Abs. 2 BGB iVm § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, 4 und 5 SGB IX resultierenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf behinderungsbedingte Einschränkungen des Arbeitnehmers. Denn im Rahmen des Annahmeverzugs trage der Arbeitgeber nicht das verschuldensunabhängige Risiko, seinen Verpflichtungen nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX objektiv hinreichend nachgekommen zu sein.
Da der Kläger für die Erbringung der von ihm vertraglich geschuldeten Tätigkeit unstreitig nicht mehr leistungsfähig war und für die Begründung eines Anspruchs auf behinderungsgerechte Beschäftigung aus § 164 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX nicht hinreichend substantiiert vorgetragen hatte, konnte er nach zutreffender Ansicht des Senats aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt Vergütung aus Annahmeverzug verlangen.

III

Bewertung der Entscheidung

Die Entscheidung des BAG ist sowohl in inhaltlicher als auch dogmatischer Hinsicht zu begrüßen. Während schwerbehinderte bzw. gleichgestellte Arbeitnehmer zweifelsohne eines besonderen Schutzes bedürfen, ist dies für den Arbeitgeber und seinen Betrieb insbesondere in Fällen der Leistungsminderung oder sogar -unfähigkeit teilweise mit erheblichen organisatorischen und wirtschaftlichen Herausforderungen verbunden.
Ihn treffen umfassende Fürsorgepflichten, deren Umsetzung mitunter gewichtige Auswirkungen auf den Arbeitsplatz auch anderer Beschäftigter haben kann. So kann der Arbeitgeber etwa gehalten sein, einen geeigneten Arbeitsplatz im Wege der Versetzung des bisher dort beschäftigten Arbeitnehmers frei zu machen. Das Risiko in Bezug auf die Wirksamkeit dieser Versetzung trägt freilich der Arbeitgeber. Das Urteil des BAG vom 14. Oktober 2020 stellt abermals in erfreulicher Klarheit und dogmatisch fundiert dar, dass es für die Begründung eines Anspruchs aus Annahmeverzug nicht ausreicht, eine Arbeitsleistung anzubieten, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erbracht werden kann, und so das Beschäftigungsrisiko unzulässig auf den Arbeitgeber abzuwälzen. Es ist zunächst einmal am Arbeitnehmer, der bessere Kenntnisse über seine Leistungsfähigkeit hat als der Arbeitgeber, grundsätzlich in Betracht kommende Beschäftigungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Hinsichtlich einer möglichen Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers wegen schuldhaft unterlassener Zuweisung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes bleibt das BAG seiner bisherigen Linie treu. Dass solche Ansprüche auf entgangene Vergütung bestehen können, hatte das BAG zuletzt in seinen Urteilen vom 4. Oktober 2005 (9 AZR 932/04 – zur Vorgängerregelung und mit Blick auf einen schwerbehinderten Arbeitnehmer) und 22. August 2018 (5 AZR 592/17) bestätigt. Auch diesbezüglich verbleibt die primäre Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der anspruchsbegründenden Voraussetzungen jedoch beim Arbeitnehmer.

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