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Das Bewerbungsverfahren im öffentlichen Dienst – sind schwerbehinderte Bewerber:innen stets zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen?

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Die Regelungen zum besonderen Schutz von Menschen mit einer Schwerbehinderung – und diesen Gleichgestellten – im deutschen Arbeitsrecht dienen sowohl der Teilhabe schwerbehinderter Menschen an der Arbeitswelt als auch der Vermeidung von Benachteiligungen aufgrund der Schwerbehinderung. Aus diesem Grund sind bei einer Stellenbesetzung sowohl durch private als auch durch öffentliche Arbeitgeber:innen zwingende gesetzliche Vorschriften zu beachten, wobei die Berücksichtigung schwerbehinderter Bewerber:innen im öffentlichen Dienst durch die Pflicht zur Einladung zum Vorstellungsgespräch noch stärker ausgeprägt ist. Der weitgehende Umfang dieser Verpflichtung war am 29. April 2021 Gegenstand einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG).

I.

Was gilt es zu beachten?

Bei der Neueinstellung müssen seitens der Arbeitgeber:innen gesetzliche Vorgaben beachtet werdem, um sicherzustellen, dass schwerbehinderte Bewerber:innen dieselbe Chance zur Teilhabe an der Arbeitswelt erlangen und nicht schon im Vorhinein aufgrund ihrer Behinderung benachteiligt werden. Danach sind sowohl bei der Stellenausschreibung als auch im Bewerbungsverfahren insbesondere die nachfolgenden Schritte zu beachten:

Bei der Stellenausschreibung

Gemäß § 164 Abs. 1 SGB IX sind Arbeitgeber:innen in jedem Fall verpflichtet, vor Besetzung eines Arbeitsplatzes zu prüfen, ob der jeweilige Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann. Dies wird – angesichts der Fülle möglicher Ursachen für eine Schwerbehinderung – nahezu immer der Fall sein. Ist bei dem:der Arbeitgeber:in eine Schwerbehindertenvertretung gebildet, ist diese bei der Prüfung zu beteiligen.
Danach hat der:die Arbeitgeber:in frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufzunehmen, damit diese geeignete schwerbehinderte Bewerber:innen im Rahmen eines Vermittlungsauftrags vorschlagen kann. Hierfür reicht es nicht aus, eine Stelle in die Online-Jobbörse der Agentur für Arbeit einzustellen.
Sodann darf die Stellenausschreibung selbst und insbesondere das Anforderungsprofil schwerbehinderte Menschen nicht benachteiligen oder davon abhalten, sich zu bewerben. Dies kann etwa bei geforderten Eigenschaften wie einer „körperlich vollen Belastbarkeit“ der Fall sein.

Im Bewerbungsverfahren

Bewerben sich daraufhin schwerbehinderte oder gleichgestellte Menschen, muss der:die Arbeitgeber:in sowohl die Schwerbehindertenvertretung als auch die Personalvertretung (BR/PR) informieren und anhören. Der Schwerbehindertenvertretung sind zudem die Bewerbungsunterlagen vorzulegen.
Der Schwerbehindertenvertretung ist auch die Teilnahme an dem Vorstellungsgespräch zu ermöglichen, es sei denn, der:die Bewerbende lehnt dies ausdrücklich ab.
Ist in dem Betrieb bzw. der Dienststelle die Beschäftigungsquote nicht erfüllt und entscheidet sich der:die Arbeitgeber:in entgegen der Auffassung der Schwerbehinderten- oder der Personalvertretung dennoch für eine:n nicht schwerbehinderte:n Bewerber:in, ist die Angelegenheit zu erörtern und der:die abgelehnte schwerbehinderte Bewerber:in anzuhören. Bleibt der:die Arbeitgeber:in danach bei seiner Entscheidung, hat er:sie alle Beteiligten hierüber unter Darlegung der Gründe unverzüglich zu unterrichten. Eine Verpflichtung, von der getroffenen Entscheidung abzuweichen, besteht nicht.
Dies gilt selbstverständlich grundsätzlich nur, soweit der:die Arbeitgeber:in überhaupt Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft oder deren Gleichstellung hat.

II.

Rechtsfolge bei Missachtung: Entschädigung

Kommen Arbeitgeber:innen den vorgenannten Pflichten nicht nach, stellt dies ein Indiz für die Benachteiligung eines:einer abgelehnten schwerbehinderten Bewerber:in dar. Eine solche Benachteiligung begründet nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) einen Entschädigungsanspruch des:der Bewerbers:Bewerberin in Höhe von maximal drei zu erwartenden Bruttomonatsgehältern.
Hierbei gilt die Besonderheit einer Beweislasterleichterung für den:die Benachteiligte:n. Liegt danach ein solches Indiz für eine Benachteiligung des:der schwerbehinderten Bewerbenden vor, wird diese vermutet und der:die Arbeitgeber:in muss beweisen, dass eine solche Benachteiligung tatsächlich nicht gegeben war. Dies ist in der Praxis vielfach nur schwer möglich.
Bei der Durchsicht der Bewerbungsunterlagen ist auf eine Mitteilung der Schwerbehinderteneigenschaft zu achten und die Beachtung der gesetzlichen Vorgaben zu Nachweiszwecken stets genau zu dokumentieren. Hierzu sollten insbesondere die Kontaktaufnahme mit der Agentur für Arbeit schriftlich erfolgen und die Bewerbungsunterlagen bis nach Ablauf der für die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs maßgeblichen Frist von zwei Monaten ab Zugang der Ablehnung aufbewahrt werden.

III.

Besonderheit im öffentlichen Dienst: Die Pflicht zur Einladung zum Vorstellungsgespräch

Die vorgenannten gesetzlichen Vorschriften gelten sowohl für private als auch für öffentliche Arbeitgeber:innen. Darüber hinaus sind Arbeitgeber:innen des öffentlichen Dienstes verpflichtet, den:die schwerbehinderte:n Bewerber:in zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, § 165 Satz 3 SGB IX.
Dies gilt nicht, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt, §165 Satz 4 SGB IX. Dass diese Ausnahmevorschrift der offensichtlich fehlenden fachlichen Eignung besonders strengen Regeln zu unterwerfen ist, und damit in der Praxis kaum noch zum Tragen kommen dürfte, hat das BAG in seiner Entscheidung vom 29. April 2021 (8 AZR 279/20) klargestellt.

1. Die Entscheidung des BAG

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte Referent:innenstellen ausgeschrieben und in dem Anforderungsprofil ein wissenschaftliches Hochschulstudium mit mindestens der Note „gut“ verlangt. Der schwerbehinderte Kläger, der über ein einschlägiges Hochschulstudium mit der Note „befriedigend“ verfügte, bewarb sich unter Angabe seiner Schwerbehinderung auf die Stelle und wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Stattdessen erhielt er eine Absage, welche die Beklagte im Nachgang damit begründete, dass er aufgrund der Note nicht die zwingenden Anforderungen der Stellenausschreibung erfüllt hätte und daher nicht einzuladen gewesen wäre. Der Kläger klagte daraufhin eine Entschädigung wegen einer Benachteiligung im Bewerbungsverfahren aufgrund seiner Schwerbehinderung ein.
Das BAG hat die vorinstanzlich klageabweisende Entscheidung aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. Dieses sei unzutreffend von dem Vorliegen der Ausnahmevorschrift der offensichtlich fehlenden fachlichen Eignung ausgegangen. Hierbei ermittle sich die fachliche Eignung anhand eines Vergleichs des Anforderungsprofils der Stelle mit dem Leistungsprofil des:der Bewerbenden. Das Anforderungsprofil werde durch den Dienstherrn im Rahmen seines Organisationsermessens festgelegt, wobei dies eine teilweise Vorwegnahme der Auswahlentscheidung darstelle. Deshalb habe sich das Anforderungsprofil u.a. stets an den Vorgaben der Bestenauslese bzw. des Leistungsgrundsatzes nach Art. 33 Abs. 2 GG zu orientieren, wonach nur der:die Bestgeeignetste für die Stelle auszuwählen sei. Das danach gemäß sachlichen Kriterien im Vorhinein zu erstellende Anforderungsprofil bleibe während des gesamten Auswahlverfahrens verbindlich und der:die Arbeitgeber:in habe seine Auswahlentscheidung danach auszurichten. Erfüllten schwerbehinderte bzw. ihnen gleichgestellte Menschen nach ihren Bewerbungsunterlagen zweifelsfrei eine danach diskriminierungsfrei festgesetzte fachliche Eignungsanforderung nicht, reiche dies noch nicht aus, um von einer Einladung zu einem Vorstellungsgespräch abzusehen. Vielmehr müsse der:die Arbeitgeber:in zudem darlegen und beweisen, dass andere Bewerber:innen, die das Anforderungsprofil gleichermaßen nicht erfüllten, ebenfalls nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurden. Denn nur, wenn das Anforderungsprofil auch konsequent angewandt werde, könne sich der:die Arbeitgeber:in hierauf berufen. Zudem könne nur so den geltenden Bestimmungen zur Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderung Rechnung getragen werden. Da hierzu in dem vorinstanzlichen Verfahren keine Feststellungen getroffen wurden, war die Sache zurückzuverweisen, obwohl das BAG feststellte, dass die fachliche Eignung des Klägers für das berechtigte Anforderungsprofil der Stelle offensichtlich – also zweifelsfrei – fehlte.

2. Praxisfolgen

Damit hat das BAG die Messlatte für öffentliche Arbeitgeber:innen von einer Einladung zum Vorstellungsgespräch schwerbehinderter Bewerber:innen abzusehen, nochmals deutlich höher gelegt. Öffentliche Arbeitgeber:innen müssen nachweisen, dass die fehlende fachliche Eignung gleichermaßen bei allen anderen Bewerber:innen zu einem Ausschluss aus dem Bewerbungsverfahren und einer Nichteinladung zu Vorstellungsgesprächen geführt hat. Soweit sich Arbeitgeber:innen an die Vorgaben ihres Anforderungsprofils halten, wird diese zusätzliche Anforderung in der Praxis regelmäßig nicht zu größeren Schwierigkeiten führen. Denn schon jetzt sollten Bewerbungsverfahren gut dokumentiert werden. Jedenfalls bei „harten“, messbaren fachlichen Kriterien wie eines beruflichen Abschlusses oder dessen Note wird es erwartungsgemäß kaum Probleme bereiten, darzulegen, dass die zum Vorstellungsgespräch eingeladenen Bewerber:innen dieses Kriterium jeweils erfüllt haben. Problematisch könnte diese Maßgabe der Rechtsprechung allerdings werden, wenn es sich bei den Voraussetzungen des Anforderungsprofils um sog. „soft skills“ handelt, die einer objektiven Messbarkeit – insbesondere anhand der Bewerbungsunterlagen – kaum zugänglich sind, wie z.B. Kommunikations-, Team- oder Führungsfähigkeit. Sowohl in diesem Fall als auch dann, wenn ein:e Bewerber:in, welche:r die fachliche Eignung ebenfalls nicht erfüllt, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden soll, ist der:die schwerbehinderte Bewerber:in zur Vermeidung von Entschädigungsansprüchen selbst dann zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn die fehlende fachliche Eignung offenkundig ist.

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