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Zwischenbilanz der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Reichlich Mehraufwand für Unternehmen und viele offene Fragen

stethoskop
Seit dem 1. Januar 2023 existiert die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Gestartet, um den bürokratischen Aufwand im Zusammenhang mit Krankmeldungen für alle Beteiligten erheblich zu reduzieren (eine Reduzierung von Bürokratiekosten in Höhe von EUR 549 Mio. wurde in Aussicht gestellt), kämpfen Unternehmen aktuell vor allem mit doppelten Strukturen, langen Zeiten der Unklarheit bei Übermittlungsfehlern und vielen ungeklärten Fragen.
Der GKV-Spitzenverband zog trotzdem eine positive Zwischenbilanz: Die eAU habe sich im Regelbetrieb mit 82 Millionen abgerufenen Bescheinigungen etabliert. Welche Probleme aus arbeitsrechtlicher Sicht bestehen, wie Unternehmen reagieren können und wo der Gesetzgeber nachschärfen sollte, wird nachstehend erläutert.

I.

Elektronische Krankschreibung – Was hat sich verändert?

Die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) in Papierform hat weitgehend ausgedient. Mitarbeitende sind seit der Neuregelung nur noch verpflichtet, ihre Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer feststellen zu lassen. Die Regelung gilt aber nur für Mitarbeitende in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Privatversicherte, geringfügig Beschäftigte in Privathaushalten sowie Beschäftigte, die nicht zu Vertragsärzten gehen, sind ausgenommen. Eine papierbasierte AUB wird nur noch zu Beweiszwecken ausgestellt.

Praxishinweis:

Der Arbeitgeber hat grundsätzlich keinen Anspruch mehr auf Vorlage der AUB in Papierform. Abweichende Vereinbarungen sind nach § 12 EFZG nicht möglich.
Arztpraxen übermitteln die eAU an die Krankenkassen. Diese stellen eine Meldung zum Abruf für das Unternehmen bereit. Das Unternehmen ist verpflichtet, die eAU über ein systemgeprüftes Programm unter Angabe eines Identifizierungsmerkmals der beschäftigten Person abzurufen. Aus der Bringschuld der Mitarbeitenden ist damit eine Holschuld der Unternehmen geworden. Nicht auf der eAU zu erkennen ist die ausstellende Person.

II.

Blick auf die Praxis und die aktuellen Probleme

Nach knapp 1 ½ Jahren eAU ist festzuhalten, dass die Umsetzung nicht so reibungslos verläuft wie erhofft. Kernproblem bleibt, dass die Übermittlung der eAU an die Unternehmen oftmals verzögert erfolgt. Es kommt vor, dass die eAU mehrfach und tagelang hintereinander abgerufen werden muss, bevor Unternehmen Klarheit über den Krankheitszeitraum und eine mögliche Erst- oder Folgebescheinigung erlangen. Dies führt immer wieder dazu, dass schon ausgestellte Lohnabrechnungen nachträglich zu korrigieren sind. Für Arbeitgeber bedeutet dies bis zu 14 Tage Unsicherheit, ob die gemeldete Arbeitsunfähigkeit tatsächlich vorliegt. Mehr als jede fünfte Arbeitgeber-Abfrage führe nicht zum gewünschten Erfolg. Das führt für Unternehmen zu Mehraufwand statt zur versprochenen Entlastung. Der Chefvolkswirt des BVMW, Hans-Jürgen Volz, sieht hierin eine „unkalkulierbare zusätzliche Belastung“ für Unternehmen.

Hinzu kommen Mehrkosten in der Lohnbuchhaltung durch Steuerberater und Unsicherheit, ob überhaupt ein Krankheitsfall vorliegt. Auch die Tatsache, dass einige Arztpraxen immer noch keine digitale Übermittlung veranlassen, trägt zum Mehraufwand bei. Unternehmen müssen daher weiterhin zwischen papierbasierten und digitalen Prozessen jonglieren, was die Situation nicht gerade vereinfacht.

Zusätzlich zu den bereits genannten Herausforderungen gibt es weitere Probleme im Umgang mit der eAU, die Arbeitgebern zu schaffen machen. Bei der digitalen Übermittlung ist es nicht möglich, den ausstellenden Arzt oder die ausstellende Ärztin zu erkennen. Dies ist im Hinblick auf fragwürdige Online-Anbieter (siehe hierzu unseren Blog) oder Ärzt*innen, die für eine Vielzahl von zweifelhaften Bescheinigungen bekannt sind, hoch problematisch. Die gesetzliche Regelung des § 275 Abs. 1a SGB V, die die Einschaltung des medizinischen Dienstes bei Zweifeln an der AUB vorsieht, läuft somit in Teilen bei der eAU leer. Verständlich ist dies nicht, da die Übermittlung von Arztpraxis zur Krankenkasse per qualifizierter elektronischer Signatur erfolgt, sodass die Urheberschaft ohne Weiteres auszulesen und weiterzugeben wäre.


III.

Achtung bei Übermittlungsfehlern – Besteht ein Leistungsverweigerungsrecht?

Rechtlich noch nicht geklärt ist zudem, wie sich Übermittlungsfehler auswirken. Aus Unternehmersicht ist unklar, wer bei einer nicht abzurufenden eAU verantwortlich ist. In Betracht kommen mit den betroffenen Mitarbeitenden, Arztpraxen und Krankenkassen gleich drei Akteure. Der Gesetzgeber hat im Rahmen des Leistungsverweigerungsrechts nach § 7 EFZG keinen Hinweis auf die Neuregelung in § 5 Abs. 1a EFZG vorgesehen. Ein Leistungsverweigerungsrecht kann sich daher nicht unmittelbar aus § 7 EFZG ergeben. Womöglich liegt allerdings eine planwidrige Regelungslücke vor, die eine entsprechende Anwendung zulässt. Bisher ist das durch die Rechtsprechung noch nicht entschieden.
Klar ist allerdings auch, dass ein Leistungsverweigerungsrecht nur dann greifen kann, wenn Mitarbeitende ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht nachkommen. In dem Moment, indem Mitarbeitende die Arztpraxis aufsuchen, sind sie ihrer Verpflichtung nachgekommen. Übermittlungsfehler können wegen des neuen Holschuldcharakters deshalb nicht zu Lasten der Mitarbeitenden gehen.

IV.

Lösungsansätze und Handlungsmöglichkeiten für Unternehmen

Da Unternehmen den Grund für den Störfall regelmäßig nicht kennen, ist zu empfehlen, nach Ablauf einer gewissen Karenzzeit (Faustformel eine Woche nach Krankmeldung) die Mitarbeitenden zur Vorlage der AUB in Papierform aufzufordern. Erst nach ergebnisloser Aufforderung sollte die Entgeltfortzahlung eingestellt werden, um unnötige Prozessrisiken aber auch negative Auswirkungen auf die gesamte Arbeitgebermarke zu vermeiden.
Für Arbeitgeber gilt: Die Belegschaften müssen für die korrekte Handhabung der eAU sensibilisiert werden. Es sollte zudem darauf hingewiesen werden, dass vorerst die weiterhin von den Arztpraxen bereitgestellte AUB in Papierform in Fällen von Übermittlungsfehler vorgehalten werden soll. Eine Vorlage im Zweifelsfall sollte unter Schwärzung des Diagnoseschlüssels erfolgen.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Arbeitgeber bei Verdachtsmomenten Mitarbeitende durchaus mit der Frage konfrontieren sollten, über welchen Weg die AUB zustande gekommen ist und wer deren Urheber ist. Denn einer Krankmeldung über eine Onlineplattform wie etwa au-schein.de kommt kein Beweiswert zu. Der Beweiswert einer Bescheinigung nach telefonischer Krankmeldung kann zumindest eingeschränkt sein, wie das BAG zuletzt ebenfalls angedeutet hat (BAG, Urt. v. 13.12.2023 – 5 AZR 137/23). Vor diesem Hintergrund spricht viel dafür, einen entsprechenden Auskunftsanspruch des Arbeitgebers anzuerkennen, auch wenn diese Frage ebenfalls von der Rechtsprechung noch nicht entschieden ist.

IV.

Fazit

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die eAU bisher nicht die erhoffte Bürokratieentlastung gebracht hat. Im Gegenteil: Sie führt zu deutlichem Mehraufwand für Unternehmen und birgt weiterhin ungelöste Probleme bzw. verschärft sogar einige von ihnen. Zu nennen ist etwa die fehlende Urheberschaft einer eAU, die Arbeitgebern kaum noch Möglichkeiten bietet, den Beweiswert einer AUB anzugreifen. Es bleibt zu hoffen, dass zukünftige Anpassungen und Verbesserungen dazu beitragen, diese Herausforderungen zu bewältigen, um die eAU zu einer effizienten Lösung für alle Beteiligten zu machen und von den Chancen der Digitalisierung im Arbeitsrecht zu profitieren.

Drei Felder sind hierfür zentral und vom Gesetzgeber anzupassen:

  • Die eAU muss die Urheberschaft erkennen lassen. Technisch wäre dies problemlos möglich.

  • Krankenkassen sollten die eAU nach Aufbereitung automatisiert an den jeweiligen Arbeitgeber versenden.
  • Auch die privaten Krankenversicherungen sollten in den Prozess eingebunden werden, um zwei unterschiedliche Arbeitsprozesse in Unternehmen zu verhindern.
Sie haben Interesse an diesem Thema und wollen wissen, wie Sie am besten mit den Fallstricken der Krankmeldung umgehen können? Dann melden Sie sich gerne zur folgendem Fortbildungsseminar am 13. September 2024 an.

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