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8 Minuten Lesezeit (1594 Worte)

“Koste es, was es wolle“ - Keine Rückforderung hoher Abfindungen bei nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Personalrats

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I.

Worum geht es?

Dass Arbeitgeber*innen Arbeitsverhältnisse mit ihren Arbeitnehmern*innen gegen Zahlung einer Abfindung einvernehmlich auflösen möchten, kommt nicht nur in der Privatwirtschaft, sondern auch bei öffentlichen Arbeitgebern*innen vor.
Jedoch unterliegen die öffentlichen Arbeitgeber*innen in NRW bei dem Abschluss von Aufhebungsverträgen deutlich strengeren Regelungen als Privatunternehmen. Es besteht die Verpflichtung vor Abschluss eines Aufhebungsvertrages, zunächst den Personalrat anzuhören (§ 74 Abs. 2, 3 LPVG NRW), was deutschlandweit einmalig ist. Wird der Personalrat nicht angehört, ist der Aufhebungsvertrag unwirksam.
Schließt ein:eine öffentlicher:öffentliche Arbeitgeber*in nunmehr einen Aufhebungsvertrag ab, der eine sehr hohe Abfindung für den Arbeitnehmer*innen vorsieht, kann dies in Politik und Bevölkerung unter Umständen zu „Gegenwind“ führen und das Bedürfnis nach einer Rückabwicklung hervorrufen. In diesem Zusammenhang stellt sich dann die Frage, ob unter Umständen (eigene) formale Fehler im Anhörungsverfahren ggfls. dem:der öffentlichen Arbeitgeber*in nützlich sein können, um sich von den vertraglichen Bindungen zu lösen. Im Grundsatz führen Anhörungsmängel nach der gesetzlichen Regelung in § 74 Abs. 3 LPVG NRW zur Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages.
Mit Urteil vom 15. Februar 2022 hat das Landesarbeitsgericht Hamm (6 Sa 903/21) einen solchen Fall erstmalig in NRW entschieden. Es gelangt zu der Auffassung, es verstoße gegen den Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens, wenn sich ein:eine öffentlicher:öffentliche Arbeitgeber*in auf eigene Fehler im Anhörungsverfahren berufen möchte, um sich auf diese Weise von den Verpflichtungen eines „teuren“ Aufhebungsvertrag zu lösen.

II.

Sachverhalt

Der beklagte Arbeitnehmer war seit dem 14. Januar 2008 bei der klagenden Stadt beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der TVöD-VKA Anwendung. Das Jahresgehalt belief sich auf ca. EUR 40.000,00 brutto. Am 8. März 2018 beantragte der Beklagte die Feststellung seiner Schwerbehinderung. Mit Bescheid vom 21. Februar 2019 wurde ein Grad der Behinderung von 50 rückwirkend ab dem 8. März 2018 festgestellt.
Nachdem Unstimmigkeiten zwischen dem Beklagten und der Klägerin u.a. wegen der Einführung eines neuen Wechselschichtmodells aufgekommen waren, führte der Personalleiter der Klägerin im Januar 2019 ein Personalgespräch mit dem Beklagten, in dessen Verlauf die Parteien die Rahmenbedingungen für die Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrages diskutierten. Schlussendlich einigte man sich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 31. August 2019 und eine Abfindung in Höhe von EUR 250.000,00 brutto, wobei dem Beklagten das Recht eingeräumt wurde, das Arbeitsverhältnis vorzeitig zu beenden und sich in diesem Fall die Abfindung für jeden vollen Monat der vorzeitigen Beendigung um ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von EUR 3.700,00 erhöht. Darüber hinaus wurde der Beklagte bis zum Beendigungszeitpunkt bezahlt freigestellt.
Der Personalrat wurde seitens der Klägerin zu der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses angehört, ohne jedoch über die Höhe der Abfindung informiert zu werden.
Im Anschluss unterzeichneten die Parteien den Aufhebungsvertrag, das Arbeitsverhältnis wurde mit Ablauf des 30. April 2019 aufgelöst und die Klägerin zahlte einen Gesamtabfindungsbetrag von EUR 264.800,00 brutto.
Diese Abfindungshöhe führte zu großem Protest in Politik und bei den Bürger*innen, so dass ein Disziplinarverfahren eingeleitet und der Klägerin seitens der Kommunalaufsicht aufgegeben wurde, die Abfindung wieder zurückzuverlangen. Gegen den ehemaligen Bürgermeister und den Personalleiter wurde Anklage wegen Untreue und gegen den Beklagten wegen Beihilfe zur Untreue erhoben.
Im Klageweg wurde der Beklagte dann auf Rückzahlung der Abfindung in Anspruch genommen und das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Der Aufhebungsvertrag sei gemäß § 74 Abs. 3 LPVG NRW unwirksam, da der Personalrat nicht ausreichend über die Inhalte des Aufhebungsvertrages angehört wurde. Hintergrund war, dass die Höhe der Abfindung dem Personalrat nicht mitgeteilt wurde. Dies habe zur Folge, dass der Aufhebungsvertrag unwirksam sei und den Rechtsgrund für die darauf geleisteten Zahlungen entfallen lasse.
Hiergegen wendete sich der Beklagte mit seiner Berufung und das LAG Hamm änderte das Urteil des Arbeitsgerichts ab.

III.

Die Entscheidung des LAG Hamm vom 15. Februar 2022

Das LAG Hamm gab der Berufung des Beklagten statt, da die Klägerin keinen Anspruch auf Rückzahlung der EUR 264.800,00 brutto gem. § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Var. BGB habe. Der Beklagte habe die Abfindung nicht ohne rechtlichen Grund erlangt.

1. Keine Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages wegen § 74 Abs. 2 und 3 LPVG NRW

Die Klägerin hätte einen Anspruch auf Rückzahlung der Abfindungssumme gem. § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Var. BGB, sofern der Aufhebungsvertrag unwirksam ist.
Die Klägerin sah die Unwirksamkeit dadurch gegeben, dass man den Personalrat nicht richtig angehört habe und § 74 Abs. 3 LPVG NRW für diese Fälle die Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages vorsehe.
Zwar sah auch das LAG Hamm, dass der Personalrat über die Abfindungshöhe hätte informiert werden müssen, jedoch schloss es aus, dass die Klägerin sich selbst auf diesen Umstand berufen könne, da dies gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstoßen würde. Denn die Klägerin setze sich mit der Geltendmachung der Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages, die auf der eigenen fehlerhaften Anhörung des Personalrats beruhe, in Widerspruch zu ihrem eigenen vorherigen Verhalten. Indem die Klägerin den Aufhebungsvertrag unterzeichnet habe, habe sie nämlich beim Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Aufhebungsvertrages erweckt, dass die Vereinbarung so wie unterschrieben auch umgesetzt werde. Dieses Vertrauen sei unabhängig von der Höhe der Abfindung schutzwürdig. Zudem sei der Schutzzweck des § 74 Abs. 2 LPVG NRW, der die Anhörung des Personalrats auch bei Aufhebungsverträgen verlange, nicht der Schutz des Arbeitgebers, sondern des Arbeitnehmers. Darüber hinaus liege die ordnungsgemäße Anhörung des Personalrats ausschließlich in der Sphäre des Arbeitgebers und Fehler im Anhörungsverfahren seien für den Arbeitnehmer schwer erkennbar.

2. Keine Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot

Der Aufhebungsvertrag sei auch nicht deshalb nichtig, weil sich die handelnden Personen auf Seiten der Beklagte durch Abschluss des Vertrages der Untreue gem. § 266 StGB strafbar gemacht haben. Für eine Nichtigkeit nach § 134 BGB aufgrund von Untreue reiche es nicht aus, dass nur einer der Vertragsparteien Untreue begehe und der andere Vertragspartner hiervon nichts wisse. Da der Beklagte aber keine Untreue gegenüber der Klägerin bezweckt habe, führe dies nicht zur Nichtigkeit des Vertrages. Den Beklagten treffe nicht die Pflicht, die Vermögensinteressen der Klägerin wahrzunehmen, hierfür müsse eine besondere Pflicht zur Vermögensbetreuung als Hauptpflicht bestehen. Die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis reichen hierfür nicht aus. Ebenso scheide eine Beihilfehandlung des Beklagten aus. Es sei nicht nachgewiesen, dass er die mögliche Untreuehandlung des Personalleiters und/oder Bürgermeisters erkannt habe.
Auch aus den Umständen des Falls konnte der Beklagte dies nach Auffassung des LAG Hamm nicht folgern, da:
  • der Vorgang, ein Arbeitsverhältnis auf Wunsch des Arbeitgebers einvernehmlich gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen, kein ungewöhnlicher Wunsch sei.
  • es keine gesetzliche Regelung zur zulässigen Höhe einer Abfindung gebe;
  • die sogenannte „Regelabfindung“ (0,5 Bruttomonatsgehälter pro Beschäftigungsjahr) unverbindlich sei und in den meisten gerichtlichen Fällen über- oder unterschritten werde. Ein Überschreiten sei insbesondere dann üblich, wenn kein Kündigungsgrund gegeben sei und der Trennungswunsch seitens des Arbeitgebers geäußert werde.
Eine Höchstgrenze für die Abfindung könne sich nach Auffassung des LAG allenfalls durch die Kosten ergeben, die der:die Arbeitgeber*in insgesamt noch aufwenden müsse, bis der:die Arbeitnehmer*in in Altersrente gehe. Hiervon sei man aber im vorliegenden Fall weit entfernt gewesen, da bis zur Rente ca. EUR 1,4 Millionen an Gehaltsansprüchen noch entstanden wären. Unterhalb dieser Höchstgrenze komme es daher auf eine Einzelfallbetrachtung an, wobei grundsätzlich die Vertragsfreiheit der Parteien zu respektieren sei und ein etwaiges schlechtes Verhandeln des Personalleiters nicht zu Lasten des Beklagten gehen könne.
Im Wege dieser Einzelfallbetrachtung sei nicht festzustellen, dass der Beklagte erkannt habe, dass durch den Abschluss des Aufhebungsvertrages eine Untreue zu Lasten der Klägerin begangen werden sollte. Hiergegen spreche, trotz der sehr hohen Abfindung, dass die Klägerin keinen Kündigungsgrund gehabt habe, der Beklagte kraft Tarifvertrag unbefristet beschäftigt gewesen sei und lediglich vier Jahre vor der ordentlichen Unkündbarkeit gestanden habe. Darüber hinaus hatte der Beklagte einen Antrag auf Schwerbehinderung gestellt, dessen positiver Bescheid eine Kündigung nur nach vorheriger Zustimmung des Inklusionsamtes möglich gemacht hätte.

3. Keine Nichtigkeit des Aufhebungsvertrages gem. § 138 BGB

Das LAG Hamm konnte auch keine Nichtigkeit gem. § 138 BGB wegen des Verstoßes gegen die guten Sitten feststellen, da weder eine Zwangslage der Klägerin ausgenutzt worden sei noch bei der Klägerin Unerfahrenheit, Mangel an Urteilsvermögen oder eine erhebliche Willensschwäche vorgelegen habe.
Allenfalls sie eine Nichtigkeit wegen des Verstoßes gegen die guten Sitten in Betracht gekommen, sofern eine Gemeinde einem Bürger eine Zuwendung mache und beide Vertragsteile wissen und billigen, dass die Verwendung von der Gemeinde nur unter grober Verletzung der für die Haushaltsführung staatlicher Stellen bestehenden gesetzlichen Bestimmungen gemacht werden könne.
Diese Voraussetzungen seien aber, auch wenn die Abfindung hoch gewesen sei, vorliegend nicht erfüllt gewesen. Diesbezüglich verwies das LAG Hamm auf die Gründe, die eine Beteiligung an einer Untreue ausgeschlossen haben.

IV.

Bewertung der Entscheidung

Die Entscheidung ist die erste Entscheidung in NRW, in der ein:eine öffentlicher:öffentliche Arbeitgeber*in eine aufgrund eines Aufhebungsvertrages zu zahlende Abfindung zurückverlangt und sich dabei auf eine Unwirksamkeit des Vertrages berufen habe, die durch eigene Fehler bei der Anhörung des Personalrates zustande gekommen sei.
Dieser Vorgehensweise wurde durch das LAG Hamm eine deutliche Absage erteilt, so dass sich auch zukünftig öffentliche Arbeitgeber*innen auf diese Art von Formfehlern nicht berufen können, wenn sie einen Aufhebungsvertrag angreifen möchten. Möglich sei aber weiterhin eine Nichtigkeit des Vertrages aus anderen Gründen, wie etwa wegen des Verstoßes gegen die guten Sitten oder gegen ein gesetzliches Verbot. Hier käme es aber entscheidend auf die Umstände des Einzelfalls an.
Den öffentlichen Arbeitgebern*innen ist dringend zu raten, zu prüfen, ob die Höhe der Abfindungszahlung mit sachlichen Argumenten gerechtfertigt ist, und sich vor Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages zu vergewissern, ob nicht die Schwelle zur Untreue erreicht ist. Hierbei spielen beispielsweise das Fehlen von Kündigungsgründen ebenso eine Rolle wie ein besonderer Kündigungsschutz und die Erforderlichkeit das Arbeitsverhältnis beenden zu müssen, um eine hohe Abfindung zu rechtfertigen. In diesem Fall bleibt den öffentlichen Arbeitgeber*innen auch die Rückforderung der Abfindung erspart, was in der Umsetzung sehr schwierig und mit langwierigen Rechtsstreitigkeiten verbunden ist.

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