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Aufatmen bei öffentlichen Arbeitgebern: EuGH billigt Personalgestellung nach dem TVöD

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Mit Spannung wurde die Entscheidung des EuGH erwartet, ob die Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD unter den Anwendungsbereich der europäischen Richtlinie zur Leiharbeit fällt und wenn ja, ob die Bereichsausnahme des § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG mit europäischem Recht vereinbar ist und weiter Bestand haben kann.
Mit Urteil vom 22. Juni 2023 (C-427/21) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) nunmehr festgestellt, dass die Fälle der Personalgestellung nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie (2008/104) fallen, womit er für einige Erleichterung bei öffentlichen Arbeitgebern gesorgt haben dürfte. Dies führt nämlich dazu, dass das in Deutschland bewährte Modell der Personalgestellung auf Grundlage von § 4 Abs. 3 AÜG weiter fortgeführt werden kann. Somit steht öffentlichen Arbeitgebern nach wie vor die Möglichkeit offen, für den Fall, dass Aufgaben der Beschäftigten auf Drittunternehmen verlagert werden, von Arbeitnehmer*innen zu verlangen, ihre vertraglich geschuldete Arbeitsleistung, bei weiterhin bestehendem Arbeitsverhältnis, dauerhaft bei diesem Drittunternehmen zu erbringen und dessen Weisungsrecht zu unterliegen.

I.

Sachverhalt und Vorlagefrage

Ausgangspunkt der Entscheidung des EuGH war ein Rechtsstreit zwischen einem Arbeitnehmer, der in einem privatrechtlich organisierten Krankenhaus mit öffentlich-rechtlichem Träger unter Anwendung des TVöD beschäftigt war, und seiner Arbeitgeberin (Lesen Sie hierzu den Blogbeitrag vom 23. Juli 2021).
Die Arbeitgeberin hatte sich dazu entschieden, verschiedene Bereiche auf eine 100%ige Tochtergesellschaft auszugliedern, was dazu geführt hätte, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund des Teilbetriebsübergangs auf die Tochtergesellschaft nach § 613a BGB übergegangen wäre, hätte er nicht dem Teilbetriebsübergang nach § 613a Abs. 6 BGB widersprochen.
Sein Arbeitsverhältnis verblieb somit in unveränderter Form bei der bisherigen Arbeitgeberin. Die logische Konsequenz wäre in diesen Fällen, dass der bisherige Arbeitgeber gegenüber dem Beschäftigten eine betriebsbedingte Kündigung ausspricht, da der Arbeitsplatz bei ihm weggefallen ist. Um diese Konsequenz zu verhindern, erweitert § 4 Abs. 3 TVöD das Direktionsrecht der öffentlichen Arbeitgeber, indem es ihnen gestattet ist, ihre Beschäftigten bei dem/der Dritten (dauerhaft) einzusetzen – auch gegen den Willen der Beschäftigten.
Auf diese Möglichkeit griff die Arbeitgeberin auch in diesem Fall zurück, so dass der Kläger seine Arbeitsleistung nach dem Willen der Arbeitgeberin fortan bei dem Tochterunternehmen erbringen sollte und das Tochterunternehmen ihm gegenüber auch das Weisungsrecht ausgeübt hätte.
Der Kläger erhob daraufhin Klage auf Feststellung, dass er trotz der in Rede stehenden Verlagerung eben nicht verpflichtet sei, seine Arbeitsleistung dauerhaft bei der Tochtergesellschaft zu erbringen, da § 4 Abs. 3 TVöD nicht europarechtskonform sei und insbesondere gegen die Richtlinie 2008/104 verstoße, da eine solche Praxis de facto eine dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung erlaube. Nachdem der Kläger in den beiden ersten Instanzen unterlegen war, hielt das Bundesarbeitsgericht im Revisionsverfahren zwei wesentliche Fragen für entscheidend, die es dem EuGH im Wege der Vorabentscheidung gem. Art. 267 AEUV vorgelegt hat:
1. Findet die Zeitarbeitsrichtlinie auch Anwendung, wenn, wie in § 4 Abs. 3 TVöD bestimmt, Aufgaben von Arbeitnehmer*innen zu einem Dritten verlagert werden und diese Arbeitnehmer*innen bei weiter bestehendem Arbeitsverhältnis zu seinem/ihrem bisherigen Arbeitgeber auf dessen Verlangen die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung dauerhaft bei einem Dritten erbringen muss und dabei dem fachlichen und organisatorischen Weisungsrecht des Dritten unterliegt (sog. Personalgestellung“)?
Und sofern die 1. Frage mit „ja“ beantwortet wird:
2. Ist es mit dem Schutzzweck der Richtlinie vereinbar, wenn über § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG die Personalgestellung im Sinne von § 4 Abs. 3 AÜG aus dem Anwendungsbereich der nationalen Schutzvorschriften herausgenommen wird?
Dabei hatte sich das BAG bereits im Vorlageverfahren klar positioniert, wie es diese beiden Fragen rechtlich einschätzt, indem es deutlich gemacht hatte, dass Personalgestellung und Leiharbeit strukturell zu verschieden seien, als dass eine Vergleichbarkeit gegeben sein könnte. Das BAG argumentierte diesbezüglich wie folgt:
Es sei bereits fraglich, ob das Merkmal der „wirtschaftlichen Tätigkeit“ im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Leiharbeitsrichtlinie erfüllt sei, wenn es dem bisherigen Arbeitgeber lediglich darum gehe, die erfolgte Arbeitsverlagerung arbeitsrechtlich durch die Vornahme der Personalgestellung abzusichern.
Zudem sei die Zielrichtung der Personalgestellung eine völlig andere, da Inhalt und Bestand des Arbeitsverhältnisses der Beschäftigten, die von einer dauerhaften Aufgabenverlagerung betroffen sind, gesichert werden sollen.
Ferner biete die Personalgestellung die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis mitsamt bisherigem Vertragsinhalt mit dem alten Arbeitgeber, trotz Eingliederung in den neuen Betrieb, fortzusetzen, obwohl dem Übergang auf Dritte widersprochen wurde. Die wesentlichen Vertragsbedingungen würden beibehalten werden (z.B. Entgelt oder die betriebliche Altersversorgung), sodass der Schutz der Beschäftigten gewahrt sei.
Auch hinsichtlich der zweiten Frage, ob die Bereichsausnahme in § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG mit dem Schutz der Leiharbeitsrichtlinie vereinbar ist, hatte das BAG eine klare Haltung formuliert:
Die Personalgestellung selbst diene ebenfalls dem Schutz und der Sicherheit vor prekären Arbeitsverhältnissen. Deren strenge Tatbestandsvoraussetzungen würden der Gefahr eines Missbrauchs entgegenwirken.
Zudem wichen die Interessen der betroffenen Beschäftigten bei Personalgestellungen von den Interessen der übrigen Leiharbeitnehmer*innen im Sinne des AÜG ab. Von einer Verlagerung von Aufgaben bedrohte Beschäftigte hätten vor allem ein Interesse am Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses zu den bisherigen Vertragsbedingungen. Dies gewähre die Personalgestellung.
Schließlich könne es sogar den Interessen der betroffenen Beschäftigten zuwiderlaufen, wenn die Personalgestellung unter das AÜG fiele. Das AÜG sehe beispielsweise in § 10 vor, dass zwischen dem Entleiher und dem bzw. der Leiharbeitnehmer*in ein Arbeitsverhältnis als zustande gekommen gilt, wenn Leiharbeitnehmer*innen länger als 18 Monate dem Entleiher überlassen werden. Gerade im Falle eines Widerspruchs gegen den Betriebsübergang ist dieses Ergebnis jedoch gar nicht erwünscht, wollen die Beschäftigten doch gerade mit ihrem Arbeitsverhältnis bei dem Altarbeitgeber verbleiben.
Zudem spreche gegen die Anwendbarkeit der Richtlinie, dass die Beschäftigten gar nicht eingestellt wurden, um an andere Unternehmen überlassen zu werden.

II.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH kommt in seinem Urteil zu dem Ergebnis, dass Fälle der Personalgestellung nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/104 fallen. Dabei kam der EuGH zu diesem Ergebnis über eine Auslegung des Wortlauts, dem Zusammenhang und unter Berücksichtigung der Ziele der Vorschrift und begründete dies mit drei verschiedenen Argumenten:

1. Wörtliche Auslegung

Die Richtlinie gelte nach Art. 1 Abs. 1 für Arbeitnehmer*innen, die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben und den entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um vorübergehend unter deren Aufsicht und Leitung zu arbeiten.
Zum anderen beschreibe der Begriff „vorübergehend“ in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie die Modalitäten der Überlassung von Arbeitnehmer*innen an dieses Unternehmen, d.h. der Arbeitgeber müsse sowohl bei Abschluss des Arbeitsvertrages als auch im Falle einer jeden sodann folgenden Überlassung die Absicht verfolgen, dem entleihenden Unternehmen die Arbeitnehmer*innen nur vorübergehend zur Verfügung zu stellen.
Im Fall der Personalgestellung sah der EuGH durchaus, dass der Arbeitnehmer zwar seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung gegenüber einem Drittunternehmen erbringe und auch unter dessen „Aufsicht“ und „Leitung“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie stehe, jedoch der Arbeitgeber
bei Abschluss des Arbeitsvertrages nicht die Absicht hatte, diesen Arbeitnehmer einem entleihenden Unternehmen zur Verfügung zu stellen und
eine tatsächliche Personalgestellung sich dadurch auszeichnet, dass mit dem Drittunternehmen kein „vorübergehendes“ Arbeitsverhältnis begründet wird.
Damit stehe für den EuGH fest, dass die Voraussetzungen für eine Anwendbarkeit der Richtlinie bereits bei wörtlicher Auslegung der Vorschrift des Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie nicht vorliegen würden.

2. Zusammenhang der Regelung des Art. 1 Abs 1 der Richtlinie

Darüber hinaus würde auch der Zusammenhang, in dem Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie stehe, gegen eine Anwendbarkeit der Richtlinie auf die Fälle der Personalgestellung sprechen, da sich die Richtlinie eben nur auf vorübergehende Arbeitsverhältnisse, auf zeitlich begrenzte sowie Übergangsarbeitsverhältnisse bezieht, während man es im Falle der Personalgestellung mit einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis zu tun habe.

3. Ziele der Richtlinie bei Dauerarbeitsverhältnissen nicht relevant

Zudem stellte der EuGH fest, dass in den Fällen der Personalgestellung die durch die Richtlinie verfolgten Ziele der Flexibilität der Unternehmen, der Schaffung neuer Arbeitsplätze oder auch der Förderung des Zugangs der Leiharbeitnehmer zu unbefristeter Beschäftigung nicht relevant seien. Dies liege daran, dass das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers – bei entsprechendem Widerspruch zum Betriebsübergang – sogar zu denselben Arbeitsvertragskonditionen fortbestehe und dementsprechend nicht der Schutzmechanismen bedürfe, die ein Leiharbeitnehmer über die Leiharbeitsrichtlinie erhalte.

III.

Fazit

Bei allen öffentlichen Arbeitgebern heißt es nunmehr „aufatmen“. Die Personalgestellung kann weiterhin auf Grundlage des § 4 Abs. 3 TVöD praktiziert werden, so dass Aufgaben, die sich auf einen Dritten verlagern, Arbeitnehmer*innen unter Fortbestand des bisherigen Arbeitsverhältnisses zur Erledigung im Rahmen eines erweiterten Direktionsrechts zugeordnet werden können. Der Beantwortung der zweiten Vorlagefrage bedurfte es somit nicht mehr, da diese nur relevant geworden wäre, wenn die Richtlinie tatsächlich auf die Fälle der Personalgestellung anwendbar gewesen wäre.

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