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Interessenausgleich, Namensliste und Punkteschema bei Personalabbaumaßnahmen
Der Betriebsrat kann die Umsetzung einer Betriebsänderung bei ordnungsgemäßer Beteiligung verzögern, aber nicht verhindern.
Besteht im Unternehmen ein Betriebsrat und sind dort in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer*innen beschäftigt, ist bei Restrukturierungsmaßnahmen stets zu prüfen, ob diese als Betriebsänderung im Sinne der §§ 111 ff. BetrVG zu qualifizieren sind.
Denn in diesem Fall haben Arbeitgeber*innen den Betriebsrat nicht nur rechtzeitig und umfassend über die geplanten Maßnahmen zu unterrichten und die geplante Betriebsänderung mit dem Betriebsrat zu beraten. Vielmehr müssen sie insbesondere mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich versuchen.
Blogserie: Restrukturierung
Pandemie, Ukrainekrieg, Energiekrise und fragile Lieferketten – die derzeitigen Herausforderungen könnten größer kaum sein. Viele Unternehmen bringt dies an ihre Grenzen – nicht wenige auch darüber hinaus. Zusätzlich sind immer strengere rechtliche Anforderungen zu beachten.
Autor dieses Beitrags
I.
Vorliegen einer Betriebsänderung
Als Betriebsänderung im Sinne der §§ 111 ff. BetrVG ist grundsätzlich jede Änderung der betrieblichen Organisation, der Struktur, des Tätigkeitsbereichs, der Arbeitsweise, der Fertigung, des Standorts etc. zu qualifizieren, sofern sie wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile derselben zur Folge haben kann. Nach § 111 Satz 3 BetrVG gelten als Betriebsänderungen insoweit folgende unternehmerische Maßnahmen:
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Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen,
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Verlegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen,
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Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder die Spaltung von Betrieben,
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grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen,
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Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) kann eine Betriebsänderung auch durch bloßen Personalabbau erfolgen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Personalabbau – bezogen auf den jeweiligen Betrieb – eine relevante Zahl von Arbeitnehmer*innen erfasst. Maßgebend sind insoweit die Zahlen des § 17 KSchG, wobei in größeren Betrieben mindestens fünf Prozent der Belegschaft ausreichend sind.
II.
Was regelt der Interessenausgleich?
Der Interessenausgleich regelt, ob, wann und wie die geplante unternehmerische Maßnahme durchgeführt werden soll. Er beinhaltet demnach Bestimmungen zur organisatorischen Durchführung der geplanten Betriebsänderung und zu den damit verbundenen personellen Maßnahmen.
Die konkreten Regelungen richten sich dabei stets nach dem Inhalt der Planungen der Arbeitgebenden, beispielsweise ob diese eine Betriebsverlagerung oder eine Betriebsschließung beabsichtigen. Dementsprechend unterscheiden sich die Inhalte von Interessenausgleichsvereinbarungen je nach Ausgangssachverhalt teils erheblich.
Neben der Beschreibung der Maßnahmen ist ein wesentlicher Bestandteil eines Interessenausgleichs, wie die vom Arbeitgebenden geplanten Maßnahmen konkret durchgeführt werden sollen. Hier ist besondere Sorgfalt auf die detaillierte Festlegung der einzelnen Umsetzungsakte, etwa in Form von Versetzungen und Kündigungen, zu legen. Während Arbeitgeber*innen ein starkes Interesse daran haben, dass ihre unternehmerische Planung in Gänze umgesetzt wird, drängt der Betriebsrat im Sinne der betroffenen Arbeitnehmer*innen in der Regel darauf, dass die geplanten Maßnahmen zumindest abgemildert werden. Dabei kann Ergebnis der Verhandlungen bei Personalabbaumaßnahmen etwa sein, dass die Anzahl der ursprünglich zur Entlassung vorgesehenen Arbeitnehmer*innen reduziert oder anstatt einer ursprünglich vorgesehenen kompletten Betriebsstillegung nur einzelne Abteilungen geschlossen werden. Auch Folgefragen aus der Umsetzung der geplanten Betriebsänderung, beispielsweise Regelungen zum Aufbau von neuen Arbeitsplätzen an anderen Standorten und deren Besetzung, können Gegenstand des Interessenausgleichs sein. Schließlich kommt dem zeitlichen Ablauf der geplanten Restrukturierungsmaßnahme vielfach eine entscheidende Bedeutung zu, also wann mit ihr begonnen werden kann und wann diese abgeschlossen sein soll. Auch hierzu werden im Interessenausgleich meist detaillierte Regelungen getroffen. Ausdrücklich kein Inhalt des Interessenausgleichs ist hingegen der Ausgleich oder die Abmilderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmer*innen infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen. Solche finanziellen Kompensationsleistungen, insbesondere Abfindungszahlungen für den Arbeitsplatzverlust, sind Gegenstand des Sozialplans (§ 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG), der Gegenstand des folgenden Blogbeitrags in unserer Blog-Serie zum Thema Restrukturierung ist.
III.
Zuständiger Verhandlungspartner
Für die Wahrnehmung der Beteiligungsrechte nach §§ 111 ff. BetrVG ist in der Regel der örtliche Betriebsrat zuständig.
Entscheidet sich der Arbeitgebende hingegen für betriebs- oder unternehmensübergreifende Restrukturierungsmaßnahmen, obliegt – deren Bestehen vorausgesetzt – die Verhandlung zumindest des Interessenausgleichs regelmäßig dem Gesamt- oder Konzernbetriebsrat, sofern es zwingend einer einheitlichen Vereinbarung bedarf. Dies ist etwa der Fall, wenn ein Betrieb im Rahmen des Restrukturierungsvorhabens mit einem anderen Betrieb zusammengelegt oder Arbeitsplätze betriebs- oder unternehmensübergreifend verlagert werden sollen. Bei Zweifeln über den zuständigen Verhandlungspartner können die in Betracht kommenden Arbeitnehmervertretungen zur Klärung der Zuständigkeitsfrage aufgefordert werden.
IV.
Keine Verpflichtung zum Abschluss des Interessenausgleichs
Eine rechtliche Verpflichtung zum Abschluss des Interessenausgleichs besteht nicht. Vielmehr müssen Arbeitgebende einen Interessenausgleich vor der Durchführung der Betriebsänderung lediglich versuchen.
Das bedeutet, dass sie das zuständige Betriebsratsgremium rechtzeitig und umfassend über die geplante Betriebsänderung unterrichten und mit diesem in bilateralen Verhandlungen mit dem ernsthaften Bemühen um eine Einigung beraten müssen.
Einigen sich die Betriebsparteien in ihren bilateralen Verhandlungen nicht über einen Interessenausgleich, sind Arbeitgebende verpflichtet, die Einigungsstelle anzurufen. Erst dann, wenn auch dort keine Einigung über einen Interessenausgleich erzielt werden kann und das Scheitern der Verhandlungen erklärt wird, können Arbeitgebende die Betriebsänderung wie ursprünglich geplant umsetzen. Im Ergebnis kann der Betriebsrat die Umsetzung einer Betriebsänderung mithin nicht verhindern, wohl aber nicht unerheblich verzögern. Unterlassen Arbeitgebende den Versuch eines Interessenausgleichs vollständig oder ohne Anrufung der Einigungsstelle, kann der Betriebsrat nach Auffassung des mittlerweile weitaus überwiegenden Teils der Landesarbeitsgerichte die Umsetzung der Betriebsänderung mittels eines Unterlassungsanspruchs stoppen, bis die ordnungsgemäße Beteiligung einschließlich der Anrufung der Einigungsstelle nachgeholt wurde. Zudem riskieren Arbeitgebende in diesem Fall Nachteilsausgleichsansprüche der Arbeitnehmer*innen nach § 113 Abs. 3 BetrVG.
V.
Was ist ein Interessenausgleich mit Namensliste und inwiefern hilft er Arbeitgeber*innen?
Eine der größten Hürden bei Restrukturierungsmaßnahmen sind nicht (nur) die Verhandlungen über den Interessenausgleich und einen – sofern mit der Betriebsänderung wirtschaftliche Nachteile verbunden sind – Sozialplan, sondern die rechtssichere Umsetzung.
Um insoweit zumindest den (rechtssicheren) Ausspruch von Kündigungen zu erleichtern, sieht das Kündigungsschutzgesetz vor, dass die Betriebsparteien im Interessenausgleich die Arbeitnehmer*innen, denen gekündigt werden soll, namentlich bezeichnen können (Interessenausgleich mit Namensliste). Ist dies der Fall, wird gemäß § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG vermutet, dass die Kündigungen durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG bedingt sind. Zudem kann die von Arbeitgebenden vorgenommene Sozialauswahl dann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden (§ 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG). Dies stellt in Kündigungsschutzverfahren einen wesentlichen Vorteil für Arbeitgeber*innen dar. Wegen dieser Verkürzung des Rechtsschutzes der Arbeitnehmer*innen lässt sich der Betriebsrat seine Mitwirkung an der Vereinbarung eines Interessenausgleichs mit Namensliste – sofern er hierzu überhaupt bereit ist – in der Regel allerdings teuer „bezahlen“, d. h. er macht die Vereinbarung jedenfalls der Namensliste meist vom Abschluss eines hochdotierten Sozialplans abhängig. Dem geschilderten Vorteil eines Interessenausgleichs mit Namensliste stehen dementsprechend regelmäßig erhöhte Zahlungsverpflichtungen auf Arbeitgebendenseite als im Falle eines Interessenausgleichs ohne Namensliste gegenüber.
VI.
Punkteschema
Eine weitere mögliche Erleichterung bei der Umsetzung einer Betriebsänderung stellt der Abschluss einer Auswahlrichtlinie in Form eines Punkteschemas dar.
Im Rahmen eines solchen Schemas werden die vier für die Durchführung der Sozialauswahl wesentlichen sozialen Kriterien (Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Schwerbehinderung und Unterhaltspflichten) mit Punkten bewertet, sodass anhand der Summe der jeweiligen Punkte die sozial am wenigsten schutzwürdigen Arbeitnehmer*innen innerhalb einer Vergleichsgruppe klar und eindeutig benannt werden können. Die Bewertung, bei der den Betriebsparteien ein Ermessensspielraum zukommt, kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Dieser Vorteil sollte aber nicht überbewertet werden, zumal auch ohne Punkteschema die vier sozialen Kriterien nur „ausreichend“ berücksichtigt werden müssen. Die Verhandlungen über ein Punkteschema kosten des Weiteren Zeit, die ggf. knapp ist. Schließlich ist ein Punkteschema – lässt man tarifliche Auswahlrichtlinien einmal außen vor – zwingend in einer Betriebsvereinbarung zu regeln. Soll der Interessenausgleich nicht in Form einer Betriebsvereinbarung abgeschlossen werden, ist insoweit unbedingt darauf zu achten, dass das Punkteschema in einer gesonderten Betriebsvereinbarung geregelt wird.
VII.
Fazit
Anders als vielfach in der Praxis behauptet, kann der Betriebsrat die Umsetzung einer Restrukturierung einschließlich einer Betriebsänderung nicht verhindern, sondern lediglich verzögern.
Hierfür ist jedoch eine rechtzeitige Vorbereitung und Einbindung des Betriebsrats erforderlich. Der erste Entwurf des Interessenausgleichs sollte dabei stets von Arbeitgeber*innen kommen. Da die jeweiligen Maßnahmen regelmäßig aus unterschiedlichen operativen Abteilungen stammen, sollte bei der Vorbereitung hinreichend zeitlicher Spielraum eingeplant werden, um die Maßnahmen zu sammeln, aufeinander abzustimmen und zutreffend zu beschreiben. Ist die Maßnahme zugleich massenentlassungspflichtig, erhöhen sich der zeitliche Vorlauf und der Aufwand im Hinblick auf das dann nach § 17 KSchG zu beachtende Konsultationsverfahren noch einmal deutlich.
Im Ergebnis bedeutet eine profunde Vorbereitung sodann aber weniger Risiken bei der Umsetzung.
Über den Autor
Dr. Björn Braun studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Göttingen, Thessaloniki und Bonn. Nach dem Studium absolvierte er den postgradualen Studiengang zum Master des Wirtschaftsrechts (LL.M.) in Köln mit dem Schwerpunkt Arbeitsrecht. Im Anschluss promovierte Dr. Björn Braun zu einem individualarbeitsrechtlichen Thema. Im Rahmen des Rechtsreferendariats arbeitete er u. a. in der Personalabteilung des Deutschlandfunks und in zwei internationalen Wirtschaftskanzleien in Köln im Bereich des Arbeitsrechts.