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Künstliche Intelligenz und Algorithmen in der Personalarbeit (Teil 1: Möglichkeiten, Risiken und Akzeptanz)

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Künstliche Intelligenz (KI) und Algorithmen sind in den letzten Jahren zu einem zentralen Bestandteil der Arbeitswelt 4.0 geworden. Der Anwendungsbereich reicht vom Recruiting über die Einsatzplanung bis hin zu mitunter fragwürdigen Leistungsanalysen, die Kündigungsentscheidungen vorbereiten sollen. Insbesondere für den Bereich Recruiting positionieren sich zahlreiche Bewerber:innen auf dem Markt, werben mit einem vereinfachten und schnellen Bewerbungsprozess, vor allem aber mit dem Versprechen, die geeignetsten Bewerber:innen finden zu können, ganz ohne menschliche Vorurteile und objektiver als jede:r Personaler:in. Im ersten Teil des Beitrags wird beleuchtet, welche Einsatzmöglichkeiten schon jetzt existieren, wo Fehler- und Diskriminierungspotenziale liegen und wie hoch die Akzeptanz von KI generell ist.

Blogserie: Arbeitswelt 4.0

Unsere Arbeitswelt hat sich in den vergangenen Jahren so rasant verändert wie noch nie zuvor. Was bedeutet dies aber für die Verantwortung der Unternehmen und ihrer Entscheider?

Autor dieses Beitrags

Dr. Michel
Hoffmann


I.

Bedeutung von KI in der Personalarbeit

Nach anfänglicher Skepsis hinsichtlich der Funktionalität und trotz weiterhin erheblichen datenschutzrechtlichen Bedenken (vgl. zur Einführung von HR-Tools unseren Beitrag in dieser Blogreihe) stehen Algorithmen und KI im Personalbereich mittlerweile ganz oben auf der Agenda vieler Unternehmen.
Als KI wird der Überbegriff von Anwendungen verstanden, bei denen Maschinen menschenähnliche Intelligenzleistungen wie Lernen, Urteilen und Probleme lösen einbringen. Die Technologie des maschinellen Lernens – ein Teilgebiet der künstlichen Intelligenz – lehrt Computer aus Daten und Erfahrungen zu lernen und Aufgaben immer besser auszuführen. Ausgefeilte Algorithmen können in unstrukturierten Datensätzen wie Bildern, Texten oder gesprochener Sprache Muster erkennen und anhand dieser Entscheidungen selbstständig treffen.
Solche dem Menschen ähnliche Intelligenzleistungen erbringen allerdings bislang noch die wenigsten der nachstehenden Anwendungen. Gleichwohl hat sich für Algorithmen der (ungenaue) Begriff KI nach und nach etabliert. Auch deren Ergebnisse sind für Unternehmen nicht zu unterschätzen. Speist beispielsweise ein Unternehmen die Daten aller Beschäftigten in ein solches System ein, kann die KI durch Analyse der Daten automatisch herausfinden, welche Eigenschaften die Beschäftigten auszeichnen oder aufgrund welcher Parameter es in der Vergangenheit häufiger Probleme gab. Die gewonnenen Erkenntnisse können helfen, neue Mitarbeiter:innen auszuwählen, die zu dem Unternehmen und der Unternehmensphilosophie passen oder mögliche Konflikte am Arbeitsplatz frühzeitig vorherzusehen.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass mittlerweile knapp 90% der Unternehmen konkret über die Einführung von KI nachdenken oder bestimmte Anwendungen bereits eingeführt haben:

Zunahme von KI im Personalwesen

  • Konkret im Einsatz
  • Geplant
  • (Noch) nicht geplant
Quelle: Umfrage Bundesverband der Personalmanager

II.

Konkrete Einsatzbereiche von KI

Die Einsatzbereiche von KI im Personalbereich sind vielfältig, obgleich ein bisheriger Schwerpunkt jedenfalls der europäischen Anbieter auf das Einstellungsverfahren zielt.

1. Haupteinsatzbereich: Recruiting

Der Einsatz von KI ist in allen Phasen des Bewerbungsprozesses möglich und denkbar:
Durch den Einsatz von sog. People-Analytics-Anwendungen kann eine Vorauswahl der Bewerber:innen auf Grundlage der eingereichten Bewerbungsunterlagen getroffen werden. Andere KI-Anwendungen werten alle öffentlich zugänglichen Informationen der Bewerbenden in den sozialen Medien, wie etwa LinkedIn oder Xing, aus und fassen die Analyseergebnisse mit Blick auf ihre berufliche Relevanz zusammen.
Ferner lassen sich Persönlichkeitsprofile durch den Einsatz von KI erstellen. In der Praxis werden derzeit vor allem Softwaresysteme zur Text- bzw. Sprachanalyse verwendet. Wird ein Bewerbungsgespräch aufgezeichnet oder das Gespräch sogar von einer KI-Anwendung geführt, ist ein sog. Stimmanalyseverfahren möglich. Dabei wird der Gebrauch der Sprache der Bewerberin oder des Bewerbers in seine digitalen Bausteine zerlegt und mit Datensätzen verglichen, wodurch die Ermittlung von psychologischen und kommunikationsbezogenen Eigenschaften möglich ist. Es erfolgt eine Analyse in Bezug auf Merkmale wie Intonation, Dialektik, Satzbau, Wortschatz oder Melodie der Stimme. Dies lässt Rückschlüsse auf die Persönlichkeitsstruktur und auf Persönlichkeitsmerkmale der Bewerber:innen zu, beispielsweise auf deren Extrovertiertheit/Introvertiertheit.
Konkret werben Unternehmen damit, dass ihre Software bereits nach einem 15-minütigen (Bewerbungs-)Gespräch ein zutreffendes umfangreiches Persönlichkeitsprofil der Bewerber:innen anlegen kann. Das amerikanische Unternehmen HireVue kombiniert die Sprachanalyse mit einer Videofunktion und ermöglicht so außerdem die Analyse von sog. Mikroexpressionen im Gesicht, die Rückschlüsse auf den Gemütszustand zulassen sollen. Ähnlich funktioniert auch die Anwendung des Münchener Start-Ups Retorio.
Hoch fragwürdig sind Geschäftsideen, die das Bewerbungsverfahren durch eine automatische Analyse des privaten E-Mail-Postfaches sowie der Accounts in sozialen Netzwerken vereinfachen möchten. Bewerber:innen geben während des Bewerbungsprozesses ihre Nutzernamen und Passwörter heraus. Durch die Verwendung einer Analysesoftware soll im Folgenden der Kommunikationsstil der Bewerberinnen und Bewerber aufgeschlüsselt und analysiert werden. Das Unternehmen erhält ein automatisch erstelltes Persönlichkeitsprofil der Bewerber:innen, während im Gegenzug als (zweifelhafter) Vorteil ein Bewerbungsschreiben, ein ausführliches Bewerbungsgespräch oder das Ausfüllen von Fragebögen erspart bleiben soll.

2. Automatisierte Leistungserfassung und Kündigung?

Neben dem Recruiting findet KI in immer größerem Umfang auch im laufenden Arbeitsverhältnis Anwendung. So bieten Anbieter:innen zunehmend KI-basierte Anwendungen für die Personaleinsatzplanung und das gesamte Performance Management an. Hierzu gehört etwa die Erstellung von Dienstplänen und die Zuweisung von Aufgaben, die Auswertung von Zielerreichungen sowie die Vorgabe neuer Ziele für die Folgezeit. Laut einem Bericht von Bloomberg reicht der Einsatz von KI in den Vereinigten Staaten sogar so weit, dass Mitarbeiter:innen automatisch gekündigt wird, wenn diese nicht die ihnen gestellten Aufgaben hinreichend schnell erledigen, was durch Algorithmen bzw. KI ausgewertet und schlussendlich entschieden wird. Im Bereich der Compliance spielt zudem das Thema „Predictive Policing“ eine immer größere Rolle. Hierbei prognostiziert KI, an welchem Ort oder durch welche Person in Zukunft die Begehung von Straftaten zu erwarten ist. Diese aus der Polizeiarbeit stammende Möglichkeit wird zunehmend auch im Arbeitsverhältnis als taugliches Mittel angesehen, um Compliance-Verstöße von Mitarbeiter:innen von vornherein zu verhindern.

III.

Diskriminierungsrelevante Effekte und Fehleranfälligkeiten

Durch den Einsatz von KI sollen Auswahlentscheidungen nicht nur effizient durchgeführt werden, sondern auch unvoreingenommen und neutral. Im Gegensatz zum Menschen spricht man KI die Fähigkeit zu, ohne Emotionen und damit lediglich auf Basis von Fakten entscheiden zu können.
Dies ist jedoch nur der Fall, wenn der zugrundeliegende Algorithmus in seiner Konstruktion und Wirkweise nicht selbst diskriminierend ist. Diskriminierende Effekte können also immer dann entstehen, wenn die zugrunde gelegten Daten selbst diskriminierende Inhalte aufweisen, weil Algorithmen mit der Bildung von Gruppenwahrscheinlichkeiten und Gruppenzuordnungen arbeiten.
Werden Algorithmen mit falschen oder bereits diskriminierenden Trainingsdaten gespeist, wird der Algorithmus auf Basis dieser Daten seine Entscheidungen treffen bzw. seine Ergebnisse auswerfen. Hat ein Unternehmen in der Vergangenheit beispielsweise überwiegend Männer eingestellt und analysiert der Algorithmus diese Daten zu Trainingszwecken, wird er den Faktor „Mann“ positiv berücksichtigen und in Zukunft männliche Bewerber bevorzugen.
In Bezug auf eine mögliche Sprachanalyse besteht die Gefahr, dass Menschen mit Dialekten oder Akzenten eine negative Bewertung erhalten, weil der Algorithmus die Sprechgewohnheiten nicht kennt oder nicht einordnen kann. Selbst bei dem scheinbar neutralen Kriterium der emotionalen Gemütslage könnte es vorkommen, dass Personen mit psychischen Beeinträchtigungen häufiger als emotional instabil bewertet werden und so mittelbar diskriminiert werden.
Recherchen und Analysen des Bayrischen Rundfunks haben zuletzt die Schwachstellen bei KI und Algorithmen im Bewerbungsverfahren offengelegt. Schon kleinere Änderungen an Aussehen, Mimik und Tonalität brachten stark abweichende Ergebnisse mit sich. Vorbehalte sehen Expert:innen vor allem da, wo menschliches Verhalten von KI beurteilt wird, ohne dass die Letztentscheidung bei einem:einer Personaler:in verbleibt.
Festgehalten werden kann: Algorithmen selbst sind grundsätzlich weder gut noch schlecht. Es kommt vielmehr auf die genaue Programmierung sowie auf die Daten an, mit denen sie trainiert werden. Es muss sichergestellt werden, dass sowohl die Programmierung als auch die verwendeten Daten frei von (mittelbaren) Diskriminierungen sind und diesen aktiv entgegengesteuert wird. Grundvoraussetzung hierfür bleibt, dass die Unternehmen selbst einen ausreichenden Einblick in die Strukturen des jeweiligen Programms haben und bei der Erstellung der relevanten Datensätze die Möglichkeit diskriminierungsrelevanter Effekte stets im Hinterkopf behalten.

IV.

Hohe Akzeptanz von KI jedenfalls unter Bewerber:innen

Nicht zu vernachlässigen für das Recruiting und das Employer Branding im Allgemeinen ist, dass der (offene) Einsatz von KI-Anwendungen auf breite Akzeptanz stößt und hochqualifizierte Bewerber:innen oder Mitarbeiter:innen nicht verschreckt.
Neben den bestehenden – häufig eher diffusen – Ängsten vor KI und Algorithmen kann der vermehrte Einsatz von KI-basierten Anwendungen auch als Chance angesehen werden, in Zukunft objektiver und ohne Vorurteile bewertet zu werden. So kann ein automatisches Analyseverfahren für die Bewerber:innen unter Umständen als angenehmer empfunden werden, als eine lange persönliche psychologische Begutachtung durch ein menschliches Gegenüber. Mit umfassenden und automatisierten Leistungsanalysen, die sogar zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen können, wird aber sicherlich kein Unternehmen punkten können.
Obgleich die Datenlage nicht eindeutig ist, stehen nach einer Umfrage der Universität Bamberg sechs von zehn der befragten Bewerber:innen dem Thema KI im Personalwesen sehr offen gegenüber (Centre of Human Resources Information Systems, Digitalisierung und Zukunft der Arbeit, Universität Bamberg 2020, S.18).
Wollen Unternehmen KI-basierte Anwendungen offen nutzen, dürfte die Kommunikation der Schlüssel zum Erfolg sein. Bewerber:innen und Mitarbeiter:innen sollten für das Thema sensibilisiert und die Vorteile im Einzelnen transparent offengelegt werden, sodass die Akzeptanz steigt und damit – zumindest temporär – auch ein Alleinstellungsmerkmal des Unternehmens besteht.

V.

Fazit: Chancen überwiegen

Die Entwicklung der letzten beiden Jahre hat deutlich gezeigt, dass sich KI und Algorithmen kurz- bis mittelfristig im Personalbereich durchsetzen werden.
Die technischen Möglichkeiten sind vielfältig, diskriminierende Verhaltensweise bei der Auswahl der richtigen Datensätze vermeidbar und auch die Fehleranfälligkeit dürfte bei immer größer werdenden Datensätze zurückgehen. Gerade im europäischen Raum ziehen die Datenschutzvorschriften allerdings ein sehr enges Korsett. Auch der Betriebsrat ist bei der Einführung stets zu beteiligen, wobei dies gerade mit Blick auf die Akzeptanz von KI und Algorithmen in der Belegschaft auch Chancen mit sich bringt. Welche rechtlichen Hürden es zu überwinden gilt, soll im zweiten Teil des Beitrags in der kommenden Woche erläutert werden.
Ob und inwieweit KI in der Personalarbeit im jeweiligen Unternehmen ein Erfolg wird, hängt nicht unerheblich an der internen Kommunikation und Akzeptanz aller Beteiligten. Meldungen über die automatisierte Kündigung von leistungsschwachen Mitarbeiter:innen schüren Ängste, die unter den bisherigen datenschutzrechtlichen Vorgaben überhaupt nicht berechtigt sind, und die auch vielfach als positiv empfundenen Eigenschaften von KI in den Hintergrund treten lassen.
Wenn Sie Fragen, Anregungen oder Diskussionsbedarf zu den Zukunftsfelder des Arbeitsrechts haben, steht Ihnen unser Expertenteam Arbeitswelt 4.0 selbstverständlich gerne zur Verfügung.

Küttner Blogserie Arbeitswelt 4.0

Entdecken Sie weitere Beiträge zum Thema Arbeitsrecht 4.0 in unserer Blogserie.

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