Die aktuelle Entscheidung des BVerwG
Angesichts der unterschiedlichen Auffassungen und der sich daraus ergebenden Rechtsunsicherheit ist eine Positionierung des BVerwG hierzu bereits seit Längerem herbeigesehnt worden.
In seiner Entscheidung (Beschl. v. 04. Mai 2023 – 5 P 16.21) hat das Gericht nunmehr den Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg (62 PV 5/20) aufgehoben und entschieden, dass die Frage, ob eine Einrichtung von Seiten bzw. Kanälen in sozialen Medien mit Kommentarfunktion der Mitbestimmung der Personalvertretung unterliegt, stets mit Blick auf den konkreten Einzelfall beurteilt werden muss. Damit lässt sich nicht generell sagen, ob soziale Medien der Mitbestimmung unterliegen.
Das BVerwG stellt maßgeblich auf den Schutzzweck des Mitbestimmungstatbestands ab. Wegen des zu gewährleistenden Schutzes der Persönlichkeit der Beschäftigten und der Gefahr des Entstehens eines ständigen Überwachungsdrucks sei es geboten, bereits das Speichern von Kommentaren Dritter, welche verhaltens- oder leistungsbezogene Angaben beinhalten, als selbstständige Überwachung im Sinne des § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG einzuordnen. Bereits dann bestehe im Grundsatz die Möglichkeit und somit für die Beschäftigten die Gefahr, dass die jeweilige Dienststelle eine Auswertung der gespeicherten Daten vornimmt. Nicht erforderlich sei hingegen, dass die Daten von der Dienststelle auch tatsächlich ausgewertet werden. Durch die Speicherung seien die Kommentare für längere Zeit verfügbar, was bereits ausreichend sei, um das Tatbestandsmerkmal der Überwachung zu erfüllen.
Anders als das Oberverwaltungsgericht lehnt der Senat den Mitbestimmungstatbestand nicht bereits deshalb ab, weil die Datenerhebung und Datenauswertung auf den sozialen Medien nicht ganz oder teilweise automatisch erfolgt. Insoweit gebiete der Schutzzweck des Mitbestimmungstatbestandes eine Beteiligung des Personalrats schon dann, wenn die Dienststellenleitung eine technische Einrichtung betreibe, die verhaltens- oder leistungsbezogene Daten der Beschäftigten speichert. Die Gefahr, dass die Daten ausgewertet werden und damit möglicherweise in die Persönlichkeitssphäre der Beschäftigten eingegriffen wird, sei bereits allein durch die Speicherung ausreichend hoch. Um ein „Bestimmtsein“ der Datenspeicherung zur Überwachung der Beschäftigten annehmen zu können, sei es bereits ausreichend, dass die betreffende technische Einrichtung objektiv zur Überwachung von Verhalten und Leistung der Beschäftigten geeignet ist.
Entscheidend für die Prognose im Einzelfall und damit das Entstehen eines Mitbestimmungsrechts des Personalrats sei, wie wahrscheinlich es ist, dass auf die Leistung oder das Verhalten einzelner Beschäftigter bezogene Nutzerkommentare abgegeben werden. Von einer insoweit höheren Wahrscheinlichkeit sei dabei etwa dann auszugehen, wenn durch die Dienststelle gerade über konkrete Beschäftigte im Zusammenhang mit deren Tätigkeitsfeld berichtet wird, wohingegen lediglich allgemein gehaltene, mehr sach- und weniger personenbezogene Berichte die Annahme einer hohen Wahrscheinlichkeit regelmäßig nicht zu rechtfertigen vermögen. Zu berücksichtigen sei nicht nur, ob eine solche Eignung zur Überwachung im Zeitpunkt der Einführung prognostisch anzunehmen ist, sondern auch, ob im Verlauf des Betreibens der betreffenden Seite beziehungsweise des Accounts eine relevante Zahl verhaltens- oder leistungsbezogener Kommentare abgegeben wird. Maßgeblich sei somit die Ausgestaltung des jeweiligen Mediums. Die in Rede stehenden Plattformen (Facebook, Instagram und Twitter/X) waren jeweils untrennbar mit der Kommentarfunktion verbunden, die auch nicht deaktiviert werden konnte.
Erforderlich ist im Ergebnis nach der nun maßgeblichen Rechtsprechung für öffentliche Arbeitgeber eine Gesamtbetrachtung des jeweiligen Einzelfalls, in dem der Inhalt der Postings ebenso zu berücksichtigen ist wie das tatsächliche Verhalten der Nutzer*innen.
Praxishinweis:
Zu berücksichtigen ist insoweit, dass sich die Bewertung im Laufe der Zeit auch ändern kann. Eine ursprüngliche Prognose, die keine Gefahr des Überwachungsdrucks ergibt und dementsprechend die Mitbestimmung der Personalvertretung zunächst ablehnt, kann aufgrund einer nennenswerten Vermehrung von verhaltens- oder leistungsbezogene Nutzerkommentaren dazu führen, dass die ursprüngliche Prognose zu korrigieren ist und ein Mitbestimmungsrecht des Personalrats nunmehr doch zu bejahen ist. Es ist folglich zwischen der Beurteilung im Zeitpunkt der erstmaligen Inbetriebnahme der Einrichtung und der Frage, ob im Folgezeitraum tatsächliche Änderungen eingetreten sind, zu differenzieren.
Das BVerwG geht jedoch davon aus, dass ein Überwachungsdruck dann nicht entstehen kann, wenn die Dienststelle Kommentare mit verhaltens- und leistungsbezogenem Inhalt schnellstmöglich und insbesondere ohne vorherige Auswertung löscht. Somit sei auch der Umgang der jeweiligen Dienststellenleitung für die Bewertung zu berücksichtigen. Der Senat stellt jedoch heraus, dass es insoweit regelmäßig nicht ausreichend sein wird, wenn die Dienststelle zunächst dritte Stellen wie die Betreiber der sozialen Medien ersuchen muss, die Löschung vorzunehmen.
Praxishinweis:
In konsequenter Anwendung dieser Vorgaben hat es die Dienststelle mit einer unverzüglichen Löschung verhaltens- und leistungsbezogener Inhalte selbst in der Hand, ob ein Mitbestimmungsrecht des Personalrats entsteht. Inwieweit diese Konsequenz von den Verwaltungsgerichten in der Praxis befolgt wird, bleibt jedoch abzuwarten.
Parallel zu dieser Entscheidung entschied der Senat am selben Tag in der Sache 5 P 2.22, dem der Beschluss der OVG Hamburg vom 31. Januar 2022 zugrunde lag (14 Bf 201/20.PVL) und verwies die Sache ebenfalls an das OVG zurück, die die Entscheidung des BVerwG nunmehr hoffentlich mit mehr Leben füllen wird.