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AGG-Hopping – Für Bewerbende top, für die Arbeitgeberseite ein Flop?!

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Ein Blick auf die aktuellen Entscheidungen der obersten Gerichte in Deutschland zeigt, dass das Thema AGG-Hopping nach wie vor nicht an Aktualität und Brisanz verloren hat und sogar strafrechtlich relevant sein kann.
Im März 2022 befasste sich das oberste deutsche Arbeitsgericht erneut mit einem Fall zum AGG-Hopping (BAG, Urteil vom 31. März 2022 – 8 AZR 238/21). Der 75-jährige, pensionierte Kläger machte ein Entschädigungsverlangen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geltend, nachdem seine Bewerbung als Sachbearbeiter von der Arbeitgeberin abgelehnt wurde. Das BAG sprach dem Kläger in diesem Fall keinerlei Entschädigung zu. Auch der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich erst im Mai 2022 zum wiederholten Mal mit dem Themenkomplex zu befassen (BGH, Beschluss vom 4. Mai 2022 – 1 StR 138/21). In dem strafrechtlichen Verfahren ging es um die Verurteilung eines Rechtsanwalts, der sich in den Jahren 2009 bis 2012 gemeinsam mit seinem Bruder auf zahlreiche Stellenausschreibungen beworben haben soll, ohne die ausgeschriebene Stellen tatsächlich antreten zu wollen. Nachdem das Landgericht München den Juristen im Juli 2020 wegen Betruges und Betrugsversuches zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt hatte, hob der BGH das Urteil nun auf und verwies die Sache an eine andere Kammer des Landgerichts München I. Die Strafbarkeit eines solchen Verhaltens ist somit noch nicht final geklärt.
Diese Entwicklungen verdeutlichen die Relevanz des Themas und sind Anlass genug, einen Blick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen zu werfen.

I.

Grundlagen: das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist ein am 18. August 2006 in Kraft getretenes Regelungswerk zur Umsetzung von vier europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien.
Hierdurch wurde in Deutschland erstmals ein Gesetz geschaffen, das den Schutz vor Diskriminierung aus den unterschiedlichsten Gründen (z.B. ethnische Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Alter) umfassend regelt. Das AGG brachte eine Vielzahl an Besserungen im Bereich des Beschäftigtenschutzes mit sich und führte zu einer Sensibilisierung bei diskriminierungsrelevanten Themen. Doch bereits vor dessen Inkrafttreten wurden erste Stimmen laut, die auf das im Gesetz verankerte Missbrauchspotential hinwiesen. Insbesondere den vorgesehenen Entschädigungsmöglichkeiten in § 15 AGG sowie der Beweislastverteilung nach § 22 AGG wurde ein entsprechendes „Gefahrenpotential“ zugesprochen.
Das AGG bietet keinen Schutz für bestimmte Personenkreise, sondern soll Benachteiligungen wegen bestimmter, in § 1 AGG genannter Merkmale verhindern. Es ist nicht nur für das Arbeitsrecht von Relevanz, sondern findet in der gesamten Zivilrechtsordnung Anwendung.

II.

AGG-Hopping

Das befürchtete Missbrauchspotential zeigte sich bei sogenannten „AGG-Hoppern“. Es handelt sich hierbei um „professionelle Diskriminierungskläger*innen“, die sich gezielt auf Stellenausschreibungen mit zum Teil benachteiligenden Indizien bewerben, ohne die ausgeschriebene Stelle jedoch ernstlich erhalten zu wollen.
Ihnen geht es allein darum, nach einem gescheiterten Bewerbungsprozess eine Entschädigungsklage wegen einer diskriminierenden Ausschreibung anzustrengen und von einer missglückten Stellenausschreibung zur nächsten zu „hüpfen“. Arbeitgeber machen sich nämlich nach § 15 Abs. 1 AGG entschädigungspflichtig, wenn sie gegen ein Benachteiligungsverbot verstoßen. Eine Entschädigung kann bis zu drei Monatsgehälter betragen und kostet die Unternehmen somit neben dem Zeit- und Reputationsverlust auch Geld.

III.

Ein Ritt durch die Rechtsprechung

Wie ein solches Verhalten rechtlich zu bewerten ist, klärte neben dem Bundesarbeitsgericht und anderen nationalen Gerichten auch der Europäische Gerichtshof in den vergangenen Jahren. Ein Überblick:

1. Die (inkonsistente) Rechtsprechung des BAG

Im Fokus der Rechtsprechung der Instanzgerichte und auch des BAG stand viele Jahre die Frage, ob die bewerbenden Personen für die ausgeschriebene Stelle objektiv geeignet sein müssen und ob eine subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung erforderlich ist, um in den persönlichen Anwendungsbereich des AGG zu fallen.
Bis 2011 sah das BAG die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung noch als Tatbestandsmerkmal an (BAG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – 8 AZR 670/08). Danach hielt er diese für irrelevant für die Bestimmung des Bewerberbegriffs (BAG, Urteil vom 16. Februar 2012 – 8 AZR 697/10).
Im Jahr 2015 fragte das BAG dann den EuGH, ob das Unionsrecht voraussetze, dass der Zugang zur Beschäftigung wirklich (subjektiv) gesucht und eine Einstellung bei dem Arbeitgeber tatsächlich gewollt werde (BAG, EuGH-Vorlage vom 18. Juni 1015 – 8 AZR 848/13 (A)). In der Sache ging es um den bundesweit als AGG-Hopper bekannten Rechtsanwalt Kratzer aus München, der sich auf eine Trainee-Stelle bewarb. Die Stellenausschreibung hierzu sah unter anderem einen nicht länger als ein Jahr zurückliegenden Hochschulabschluss vor. Herr Kratzer ging es nie darum, eine Einstellung bei einem Arbeitgeber zu erreichen, er wollte – wie in zahlreichen anderen Verfahren – ausschließlich eine Entschädigung erhalten. Diese Anforderung erfüllte der Rechtsanwalt – ebenso wie weitere Anforderung des Jobprofils – nicht, sodass er eine Absage erhielt.

2. Die Ansicht des EuGH: kein europarechtlicher Schutz für Scheinbewerbungen

Die Antwort des EuGH: ist offensichtlich, dass sich jemand auf eine Stelle bewirbt, die er tatsächlich nicht antreten möchte, so kann die Person aus diesem Grund auch nicht den Schutz des Unionsrechts für sich beanspruchen. Ob das Unionsrecht Scheinbewerber schon tatbestandlich oder nur wegen Rechtsmissbrauchs nicht schützt, bleibt offen, da der EuGH insofern beide Aspekte vermengt. Fest steht aber: bloße Scheinbewerbungen sind nicht geschützt (EuGH, Urteil vom 28. Juli 2016 - C-423/15).

3. Die Rechtsprechung des BAG nach der Kratzer-Entscheidung des EuGH

Mit seiner Entscheidung vom 11. August 2016 (Az. 8 AZR 4/15) orientierte sich das BAG dann an der Rechtsprechung des EuGH. Hiernach handelt eine bewerbende Person, die sich systematisch und zielgerichtet auf Stellenausschreibungen bewirbt, um mit den anschließenden Entschädigungsklagen einen Gewinn zu erzielen, rechtsmissbräuchlich.
Bewerbe sich eine Person fast ausschließlich auf solche Stellenausschreibungen, die auf den ersten Blick den Anschein erwecken, die Stelle sei unter Verstoß gegen § 11 AGG ausgeschrieben worden, kann eine Gesamtschau des Sachverhalts die Annahme rechtfertigen, der bewerbenden Person sei es nur darum gegangen, die Erfolgsaussichten des Entschädigungsverlangens zu erhöhen.
Daneben stellte das BAG erneut fest, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen des Einwands des Rechtsmissbrauchs von demjenigen zu beweisen und darzulegen seien, der diesen Einwand geltend macht – in der Regel also wohl von der Arbeitgeberseite. Dies kann bei Unternehmen zu Beweisschwierigkeiten führen.

4. Die aktuelle Entscheidung des BAG

Im März des letzten Jahres hatte das BAG (Urteil vom 31. März 2022 – 8 AZR 238/21) über einen Fall zu entscheiden, in dem der Kläger – ein pensionierter und 74-jähriger Oberamtsrat – eine Entschädigung wegen Altersdiskriminierung geltend machte. Der Kläger bewarb sich beim Technischen Hilfswerk als Bürosachbearbeiter und erhielt eine Absage u.a. mit der Begründung, dass nach den tariflichen Regelungen ein Arbeitsverhältnis mit Erreichen der Regelaltersgrenze endet.
Das BAG musste nicht darüber entscheiden, ob die Zurückweisung der Bewerbung allein wegen des Erreichens der Regelaltersgrenze gerechtfertigt sein kann. Dem Entschädigungsverlangen des Klägers war bereits der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenzuhalten. Die Gesamtschau des Verhaltens des Klägers, insbesondere der Inhalt des Bewerbungsschreibens (unter anderem gravierende Rechtschreib- und Grammatikfehler) und die weitere Korrespondenz, deuteten darauf hin, dass er eine Ablehnung seiner Bewerbung provozieren wollte mit dem ausschließlichen Ziel, Entschädigungsansprüche geltend machen zu können.

IV.

IV. Handlungsempfehlung für Unternehmen

Die Rechtsprechung verdeutlich, dass sich für Unternehmen eine sorgfältige Gestaltung der Stellenausschreibung und eine Dokumentation des Bewerbungsverfahren auszahlt.
Gem. § 11 AGG muss der Arbeitgeber Stellen so ausschreiben, dass die Bewerbenden nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden (z.B. wegen des Geschlechts, der Rasse, Behinderung oder Religion). Ausnahmen sind zulässig, wenn das genannte Merkmal (oder sein Nichtvorliegen) eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für die Tätigkeit selbst oder die Bedingung ihrer Ausübung darstellt (z.B. weibliche Betreuerin in einem Mädcheninternat).

Indizien für eine mögliche Diskriminierung im Bewerbungsverfahren können unter anderem sein:
  • Stellenanzeigen, die bestimmte Personengruppen explizit ausschließen;
  • Stellenanzeigen, die sich gezielt an einen bestimmten Personenkreis richten, wodurch andere Personengruppen explizit nicht angesprochen werden;
  • Fragen im Bewerbungsverfahren, die eine Diskriminierungsabsicht vermuten lassen;
  • Auswahl einer Person, die schlechter qualifiziert ist als andere.
Bei Verdachtsfällen sollten Bewerbende im Zweifel eingeladen werden und es ist ferner zu empfehlen, die Bewerbungsunterlagen mindestens bis zum Ablauf der zweimonatigen Frist zur Geltendmachung der Ansprüche nach § 15 Abs. 1 und 2 AGG aufzubewahren. Insbesondere sollten die weiteren Schritte bei der Auswahl unter den Bewerbenden dokumentiert werden.
Schwierigkeiten bereiten Unternehmen in Fällen von AGG-Hopping häufig insbesondere die Darlegungs- und Beweislastverteilung. Es obliegt der Arbeitgeberseite, in einem Prozess darzulegen, dass eine missbräuchliche Bewerbung vorliegt. Sie muss den Nachweis erbringen, dass ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen der bewerbenden Person vorliegt (BAG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 8 AZR 848/13).
Indizien für ein missbräuchliches Verhalten können im Einzelfall beispielsweise sein:
  • ein kontraproduktives Verhalten im Bewerbungsverfahren (wie zum Beispiel das Ausschlagen eines Bewerbungsgespräches);
  • Bewerbung auf eine Stelle, die in erheblichem Umfang von den eigenen Qualifikationen nach unten oder oben abweicht;
  • eine hohe Anzahl an Bewerbungen mit anschließenden Entschädigungsklagen – dies wird jedoch für sich allein nicht ausreichend sein, um den Missbrauchstatbestand zweifelsfrei darlegen zu können.
Letztendlich müssen Unternehmen darauf achten, im gesamten Bewerbungsprozess so neutral wie möglich zu agieren. Die Stellenausschreibungen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar an Diskriminierungsmerkmale aus § 1 AGG anknüpfen. Ein widersprüchliches Verhalten der vermeintlich bewerbenden Person sollte Zweifel wecken und Anlass zur Vorsicht geben.
Wir danken unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Frau Emine Kahraman für die Mitwirkung an diesem Artikel.

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