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Personalgestellung als Leiharbeit?

leiharbeit

Zum Vorlagebeschluss des BAG an den EuGH vom 16. Juni 2021 – 6 AZR 390/20 (A) und möglichen Folgen für (öffentliche) Arbeitgeber:innen

Geschrieben von

Dr. Michel Hoffmann, LL.B.

(Expertenteam Öffentliche Arbeitgeber)
Nach der Umsetzung der Richtlinie über die Leiharbeit (2008/104/EG) ins deutsche Recht und den entsprechenden Anpassungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) war zu Beginn unklar, ob die im öffentlichen Dienst regelmäßig praktizierte sog. Personalgestellung in den Anwendungsbereich des AÜG fällt. Nachdem es zu divergierenden Gerichtsentscheidungen zu dieser Frage kam, sorgte der Gesetzgeber mit Neueinfügung des § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG zum 1. April 2017 vermeintlich für Klarheit. Danach ist das AÜG nicht auf die funktional besondere Form der Aufgabenverlagerung durch Personalgestellung anzuwenden.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat nunmehr in einem für die Praxis sehr relevanten Vorlagebeschluss an den EuGH dieses Verständnis in Frage gestellt. Sowohl die Frage, ob die Personalgestellung Leiharbeit iSd Richtlinie darstellen kann, als auch die Frage, ob die gesetzgeberische Bereichsausnahme überhaupt mit Europarecht in Einklang steht, soll nun in Luxemburg geklärt werden. Für öffentliche Arbeitgeber:innen bedeutet dies nicht nur eine unerfreuliche Rechtsunsicherheit. Es stellt zugleich auch die anderen Formen der Personalüberlassung (konkret: Abordnung und Zuweisung) in Frage.

I.

Personalgestellung - eine Sonderkonstruktion des öffentlichen Dienstes

§ 4 Abs. 3 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) und die inhaltsgleiche Regelung im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) bestimmt für den Fall, dass Aufgaben der Beschäftigten auf Dritte verlagert werden, die Verpflichtung der Beschäftigten, auf Verlangen der Arbeitgeber:innen bei weiter bestehendem Arbeitsverhältnis die arbeitsvertragliche geschuldete Arbeitsleistung bei den Dritten zu erbringen.

  • Etwas prägnanter fasst es die Protokollerklärung zu Absatz 3 zusammen: Personalgestellung ist - unter Fortsetzung des bestehenden Arbeitsverhältnisses - die auf Dauer angelegte Beschäftigung bei einem Dritten.

Um die Personalgestellung richtig zu erfassen, empfiehlt es sich deren Hauptanwendungsfall vor Augen zu führen:

In der Praxis findet die Regelung insbesondere dort Anwendung, wo im Rahmen einer Umstrukturierung Aufgaben öffentlicher Arbeitgeber:innen oder auch privatrechtlicher Arbeitgeber:innen in öffentlicher Hand auf privatrechtliche Einrichtungen übertragen werden. Damit verbunden ist in aller Regel ein Betriebsübergang und damit der Übergang der Arbeitsverhältnisse auf den:die Betriebserwerber:in nach § 613a BGB, wogegen die betroffenen Beschäftigten widersprechen können. Als Folge des Widerspruchs geht das Arbeitsverhältnis nicht über und die Betroffenen verbleiben bei dem:der (öffentlichen) Arbeitgeber:in.
Geholfen ist den Beschäftigten damit in der Regel nicht, weil der Arbeitsplatz bei dem:der bisherigen Arbeitgeber:in weggefallen ist und dadurch eine betriebsbedingte Kündigung droht. Um öffentlichen Arbeitgeber:innen in diesen Fällen die Möglichkeit zu geben, ihre Beschäftigten bei dem:der Dritten (dauerhaft) einzusetzen, erweitert § 4 Abs. 3 TVöD insoweit das Direktionsrecht der Arbeitgeber:innen und erlaubt den Einsatz auch gegen den Willen der Beschäftigten.

II.

Zu den Vorlagefragen des BAG

Das BAG hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem der Kläger zunächst in einem privatrechtlich organisierten Krankenhaus mit öffentlich-rechtlichem Träger unter Anwendung des TVöD beschäftigt wurde. Später wurden Aufgabenbereiche und einzelne Abteilungen, in denen auch der Kläger beschäftigt war, auf ein Tochterunternehmen ausgegliedert. Der Kläger machte von seinem Recht zum Widerspruch gegen den Betriebsteilübergang Gebrauch. Im Anschluss wurde er im Wege des Weisungsrechts unter Bezugnahme auf § 4 Abs. 3 TVöD auf Dauer bei dem Tochterunternehmen eingesetzt. Hiergegen wehrte sich der Kläger mit dem Argument, die Personalgestellung sei rechtswidrige Arbeitnehmerüberlassung und mit Unionsrecht nicht zu vereinbaren.

Der 6. Senat hielt diese Argumentation jedenfalls nicht für abwegig und hat sinngemäß folgende Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung gem. Art. 267 AEUV vorgelegt:

  • Ist eine Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD Leiharbeit im Sinne der Leiharbeitsrichtlinie?
  • Falls ja: Lässt die Leiharbeitsrichtlinie eine Bereichsausnahme wie § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG zu?

1. Personalgestellung = Leiharbeit?

Das BAG ist der Ansicht, dass eine Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD jedenfalls begrifflich unter den Art. 1 der Leiharbeitsrichtlinie fallen könnte, da das Arbeitsverhältnis der Beschäftigten weiterhin mit dem:der ursprünglichen Arbeitgeber:in besteht und die Beschäftigten zugleich in den Betrieb eines:einer Dritten eingegliedert und weisungsgebunden sind.

Auffallend ist aber, dass das BAG in den übrigen Ausführungen keinen Zweifel daran lässt, dass Personalgestellung und Leiharbeit strukturell zu verschieden sind, als dass eine Vergleichbarkeit gegeben sein könnte:
  • Ziel der Personalgestellung sei es, Inhalt und Bestand des Arbeitsverhältnisses der Beschäftigten, die von einer dauerhaften Aufgabenverlagerung betroffen sind, zu sichern.
  • Ferner biete die Personalgestellung die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis mitsamt bisherigem Vertragsinhalt mit dem:der alten Arbeitgeber:in trotz Eingliederung in den neuen Betrieb fortzusetzen, obwohl dem Übergang auf den:die Dritte:n widersprochen wurde. Die Beschäftigten würden auf diese Weise beispielsweise weiterhin das bisherige Entgelt erhalten, das Entgeltsystem des TVöD finde weiterhin Anwendung und die betriebliche Altersversorgung werde fortgeführt, sodass der Schutz der Beschäftigten gewahrt sei.
  • Zudem spreche gegen die Anwendbarkeit der Richtlinie, dass die Beschäftigten gar nicht eingestellt wurden, um an andere Unternehmen überlassen zu werden.
  • Schließlich hält es das BAG für fraglich, ob das Merkmal der „wirtschaftlichen Tätigkeit“ im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Leiharbeitsrichtlinie erfüllt sei, weil es dem:der bisherigen Arbeitgeber:in lediglich darum gehe, die erfolgte Arbeitsverlagerung arbeitsrechtlich durch die Vornahme der Personalgestellung abzusichern.

2. Verstößt die Bereichsausnahme gegen Europarecht?

Ähnlich deutlich positioniert sich das BAG auch bei der Frage, ob die Bereichsausnahme in § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG mit dem Schutz der Leiharbeitsrichtlinie vor prekären Arbeitsbedingungen vereinbar ist.
  • Die Personalgestellung selbst diene ebenfalls dem Schutz und der Sicherheit vor prekären Arbeitsverhältnissen. Deren strenge Tatbestandsvoraussetzungen würden der Gefahr eines Missbrauchs entgegenwirken.
  • Zudem wichen die Interessen der betroffenen Beschäftigten bei Personalgestellungen von den Interessen der übrigen Leiharbeitnehmer:innen im Sinne des AÜG ab. Von einer Verlagerung von Aufgaben bedrohte Beschäftigte hätten vor allem ein Interesse am Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses zu den bisherigen Vertragsbedingungen. Dies gewähre die Personalgestellung.
  • Schließlich könne es sogar den Interessen der betroffenen Beschäftigten zuwiderlaufen, wenn die Personalgestellung unter das AÜG fiele. Das AÜG sehe beispielsweise in § 10 vor, dass zwischen dem:der Entleiher:in und dem:der Leiharbeitnehmer:in ein Arbeitsverhältnis als zustande gekommen gilt, wenn Leiharbeitnehmer:innen länger als 18 Monate dem:derselben Entleiher:in überlassen werden. Gerade im Falle eines Widerspruchs gegen den Betriebsübergang ist dieses Ergebnis jedoch gar nicht erwünscht.

III.

Fazit und mögliche Auswirkungen auf die Praxis

Das BAG stößt mit dem Vorlagebeschluss eine Diskussion an, die jedenfalls für die Personalgestellung als erledigt galt. Wie der EuGH entscheiden wird, und ob er der Argumentation des BAG folgt, bleibt abzuwarten. Angesichts der klaren Argumente des 6. Senats gegen die Anwendbarkeit der Leiharbeitsrichtlinie überrascht es allerdings schon, dass die Richter:innen aus Erfurt überhaupt die Vorlage zum EuGH mit ungewissem Ausgang gewählt haben.
In der Sache spricht viel dafür, den Sonderfall der Personalgestellung nicht mit der klassischen Arbeitnehmerüberlassung zu vergleichen. Die Vorlagefrage ist für die Praxis aber nicht nur wegen der Personalgestellung, sondern auch wegen der anderen Möglichkeiten der Personalüberlassung, namentlich der Abordnung und Zuweisung nach § 4 Abs. 1, Abs. 2 TVöD, brisant. Beide Formen der Überlassung sind vorübergehend. Zudem erfolgt im Rahmen der Zuweisung eine temporäre Zuordnung zu Dritten, ohne dass der allgemeine Teil des TVöD zur Anwendung kommt. Die Argumente des BAG gegen die Anwendbarkeit der Leiharbeitsrichtlinie greifen hier nicht ohne Weiteres.
Im Bereich der Abordnung und Zuweisung kann aber die Bereichsausnahme des § 1 Abs. 3 Nr. 2c) AÜG Geltung erlangen. Diese findet aber nur Anwendung, wenn es sich bei dem:der verleihenden und entleihenden Arbeitgeber:in um juristische Personen des öffentlichen Rechts handelt, welche Tarifverträge des öffentlichen Dienstes anwenden. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Gleichzeitig stellt sich auch hier die Frage, ob diese Ausnahme mit dem Europarecht zu vereinbaren ist.
Für die Praxis besteht bis zur endgültigen Klärung durch den EuGH nunmehr eine unerfreuliche Rechtsunsicherheit. Sollte die Personalgestellungen in den Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie fallen und sollte auch die Bereichsausnahme des AÜG nicht richtlinienkonform sein, wäre das praxisrelevante Instrument der Personalgestellungen rechtswidrig und damit unbrauchbar. Durch die Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten sind auf Dauer angelegte Überlassungen mit dem AÜG unvereinbar. Gleichzeitig kann ein Arbeitsverhältnis mit dem:der Entleiher:in entstehen, auch wenn dies in der Praxis bei gleichbleibenden Arbeitsbedingungen durch die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes keine zu hohe Relevanz entfalten sollte. Auch fehlt öffentlichen Arbeitgeber:innen in aller Regel die notwendige Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis, sodass auch diesbezüglich dringender Handlungsbedarf bestehen könnte, um bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeiten zu vermeiden.
Wir halten Sie über die Entwicklung selbstverständlich auf dem Laufenden und stehen bei zwischenzeitlichen Rückfragen gerne zur Verfügung.

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