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Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel darf nicht zur Voraussetzung der normativen Tarifgeltung gemacht werden

bezugnahmeklausel

I. Die arbeitsrechtliche Regelungssystematik

Das Arbeitsrecht setzt sich aus verschiedenen Regelungsebenen zusammen. Da sind zunächst die Arbeitsvertragsparteien, die individualvertraglich über die Bestimmungen des Arbeitsvertrags entscheiden. Darüber hinaus werden die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aber auch noch durch die Betriebsparteien mittels Betriebsvereinbarungen und die Tarifparteien durch den Abschluss von Tarifverträgen geregelt. Die Betriebsvereinbarung und der Tarifvertrag wirken hierbei unmittelbar und zwingend wie ein Gesetz. Hintergrund ist, dass der Gesetzgeber bei der Aushandlung von Arbeitsbedingungen sowohl zwischen den Betriebs- als auch den Tarifparteien – eine gewisse soziale Mächtigkeit vorausgesetzt – davon ausgeht, dass hier eine paritätische Verhandlung auf Augenhöhe erfolgt. Demgegenüber wird bei den individualvertraglichen Regelungen des Arbeitsvertrags davon ausgegangen, dass sich der Arbeitgeber grundsätzlich in einer überlegenen Verhandlungsposition befindet. Kollektive Regelungen gelten insoweit als Mindestarbeitsbedingungen – arbeitsvertragliche Abweichungen sind grundsätzlich nur zu Gunsten des Arbeitnehmers möglich (sog. Günstigkeitsprinzip).

Bei den tarifvertraglichen Regelungen ist Voraussetzung für deren normative Geltung die gegenseitige Tarifgebundenheit. Neben dieser gesetzesgleichen Wirkung aufgrund gegenseitiger Tarifbindung steht es den Arbeitsvertragsparteien aber frei, die tariflichen Regelungen durch eine sog. Bezugnahmeklausel zum individualvertraglichen Inhalt des Arbeitsvertrags zu machen. Diese Entscheidung, ob sich die tariflichen Regelungen der Tarifparteien auf arbeitsvertraglicher Ebene zu eigen gemacht werden, liegt allein bei den Arbeitsvertragsparteien. Die Tarifparteien können auf diese Gestaltungsfreiheit der Vertragsparteien keinen Einfluss nehmen. Folgerichtig hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 13. Mai 2020 (4 AZR 489/19) entschieden, dass die Tarifparteien eine solche individualvertragliche Bezugnahmeklausel nicht zur Bedingung für den Eintritt der normativen Geltung der tarifvertraglichen Regelungen machen dürfen.

II. Die Entscheidung

Dieser – bisher nur als Pressemitteilung veröffentlichten – Entscheidung des BAG lag der Fall zugrunde, dass der beklagte Arbeitgeber, der zunächst nicht tarifgebunden war, mit der IG Metall im Jahr 2015 einen Mantel- und einen Entgeltrahmentarifvertrag abgeschlossen hatte. Dieser regelte, dass „Ansprüche aus diesem Tarifvertrag [voraus]setzen …, dass die Einführung des Tarifwerks auch arbeitsvertraglich nachvollzogen wird". Mithin wurde neben der beidseitigen Tarifbindung die zusätzliche Voraussetzung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel für die normative Geltung des Tarifvertrags konzipiert. Der Arbeitsvertrag der Klägerin enthielt keine solche Bezugnahmeklausel. Ein Angebot zum Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags, der u.a. eine entsprechende Bezugnahmeklausel vorsah, nahm die Klägerin nicht an.

Nachdem die Beklagte Leistungen nach den tariflichen Regelungen verweigerte, klagte die Klägerin auf Zahlung von Differenzentgelt auf der Grundlage der Bestimmungen des Mantel- und Entgeltrahmentarifvertrags. Das BAG hat ihr nun Recht gegeben. Danach liegt die Regelung einer solchen, zu der beidseitigen Tarifgebundenheit hinzutretenden Voraussetzung für die normative Geltung eines Tarifvertrags außerhalb der tariflichen Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien. Voraussetzung für die normative Geltung des Tarifvertrags sei gemäß § 4 Abs. 1 TVG allein die beidseitige Tarifbindung, weshalb die Klägerin schon aufgrund dieser beiderseitigen Tarifgebundenheit Ansprüche aus den Tarifverträgen zustünden. Diese könnten nicht von den vorgesehenen individualrechtlichen Umsetzungsmaßnahmen der Arbeitsvertragsparteien abhängig gemacht werden. Zudem stünde auch das durch § 4 Abs. 3 TVG geschützte Günstigkeitsprinzip einer solchen Regelung entgegen. Die tarifvertraglichen Bestimmungen, die eine „arbeitsvertragliche Nachvollziehung" verlangten, seien daher unwirksam.

III. Einschränkung der Regelungsmacht stärkt Tarifautonomie

Die Entscheidung des BAG vermeidet die Aushöhlung des Tarifsystems und ist daher zu begrüßen. Sie steht in Einklang mit dem gesetzgeberischen Ziel zur Stärkung der Tarifautonomie. Diese setzt „lediglich" voraus, dass die tarifschließenden Gewerkschaften eine ausreichende Mächtigkeit aufweisen, die sich u.a. aus der Anzahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer ergibt, um einen paritätischen interessenausgleichenden Tarifabschluss zu gewährleisten. Durch die weitere Voraussetzung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel für die Tarifwirkung wird die Tarifbindung jedoch obsolet, da die Inbezugnahme für sich schon ausreicht, eine individualvertragliche Geltung der tarifvertraglichen Regelungen herbeizuführen. Ein Anreiz für eine gewerkschaftliche Organisation der Arbeitnehmerschaft gäbe es damit nicht mehr. Zudem stellte eine solche zusätzliche individualvertragliche Voraussetzung für die Tarifgeltung eine Vermischung der arbeitsrechtlichen Regelungsebenen und eine völlige Verlagerung der Tarifgeltung auf die Arbeitsvertragsparteien dar. Denn in der Konsequenz bedeutete dies, dass ohne eine arbeitsvertragliche Bezugnahme und damit ohne eine entsprechende Willenserklärung sowohl des Arbeitnehmers als auch des Arbeitgebers eine normative Tarifgeltung ausscheiden würde. Trotz der bestehenden beiderseitigen Tarifbindung würde also allein der Arbeitsvertrag darüber entscheiden, ob die tariflichen Regelungen zur Anwendung kommen oder nicht. Damit wäre de facto die tarifvertragliche Regelungsebene aufgehoben. Die Tarifparteien würden vielmehr die Geltung des Tarifvertrags aus der Hand geben, da sie die individualvertragliche Ebene nicht beeinflussen können. Die Entscheidung des BAG trägt dafür Sorge, dass sich die Tarifparteien über den in § 4 Abs. 1 TVG geregelten gesetzgeberischen Willen der normativen Geltung tarifvertraglicher Regelungen allein aufgrund der beidseitigen Tarifbindung hinwegsetzen. Wenngleich das BAG mit seinem Urteil also die Regelungskompetenz der Tarifparteien einschränkt, dient sie letztlich deren Stärkung.

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