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EGMR – Unzulässige Sichtung privater E-Mails trotz verbotener Privatnutzung dienstlicher Kommunikationsmittel

Verbietet der Arbeitgeber die private Nutzung von Internet und E-Mail am Arbeitsplatz während der Arbeitszeit, darf er nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) grundsätzlich auch Überwachungsmaßnahmen ergreifen, um die Einhaltung des Verbots zu überprüfen. Die Voraussetzungen der rechtmäßigen Überwachung durch den Arbeitgeber hat nunmehr die Große Kammer des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Urteil vom 5. September 2017 – 61496/08 konkretisiert. Für die betriebliche Praxis ergeben sich hierdurch nochmals erhöhte Anforderungen an die Zulässigkeit der Überwachung, die künftig zu beachten sind.Verbietet der Arbeitgeber die private Nutzung von Internet und E-Mail am Arbeitsplatz während der Arbeitszeit, darf er nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) grundsätzlich auch Überwachungsmaßnahmen ergreifen, um die Einhaltung des Verbots zu überprüfen. Die Voraussetzungen der rechtmäßigen Überwachung durch den Arbeitgeber hat nunmehr die Große Kammer des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Urteil vom 5. September 2017 – 61496/08 konkretisiert. Für die betriebliche Praxis ergeben sich hierdurch nochmals erhöhte Anforderungen an die Zulässigkeit der Überwachung, die künftig zu beachten sind.

I. Die Entscheidung des EGMR

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der klagende Arbeitnehmer war bei einem privaten Unternehmen in Rumänien beschäftigt. Zu seinen Aufgaben zählte u. a., während der Arbeitszeit online Kundenanfragen über einen Instant-Messengerdienst zu beantworten. Die private Nutzung dienstlicher Kommunikationsmittel war durch interne Dienstvorschriften strikt untersagt. Dennoch chattete der Arbeitnehmer während seiner Arbeitszeit mit seinem Bruder und seiner Verlobten. Der Arbeitgeber erfuhr hiervon infolge einer neuntägigen Kontrolle der Internetaktivitäten des Arbeitnehmers. Nach Auswertung sowohl der Verkehrsdaten, d. h. der Sender, Empfänger, Dauer und des Umfangs der Kommunikation, als auch des Inhalts der Kommunikation selbst, kündigte er das Arbeitsverhältnis. Die hiergegen gerichtete Klage des Arbeitnehmers blieb vor den nationalen Gerichten in Rumänien erfolglos. Der Arbeitnehmer wandte sich daraufhin an den EGMR und rügte die Verletzung seines Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie der privaten Kommunikation nach Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) durch die Gerichte. Während die kleine Kammer des EGMR eine Verletzung von Art. 8 EMRK in ihrer Entscheidung vom 16. Januar 2016 (61496/08) noch verneinte, wurde die Entscheidung durch die Große Kammer des EGMR nunmehr aufgehoben. Der EGMR befand, dass eine Überwachung von Arbeitnehmern zwar nicht per se unzulässig sei. Der Arbeitgeber müsse jedoch – auch wenn er die Nutzung dienstlicher Kommunikationsmittel strikt verbiete und allein die Einhaltung dieses Verbots überprüfen wolle – die Rechte des Arbeitnehmers aus Art. 8 EMRK angemessen berücksichtigen. Ob dies der Fall sei, hänge davon ab, ob der Arbeitnehmer vorab über die Möglichkeit sowie das Ausmaß etwaiger Kontrollen informiert worden sei, ein legitimer Grund für die Überwachung vorliege, sowie ob Mittel der Kontrolle zur Verfügung stünden, die einen weniger einschneidenden Eingriff in das Recht auf private Kommunikationen darstellten, z. B. in Form einer allgemeinen Auswertung der Verkehrsdaten ohne Zugriff auf den Inhalt der Kommunikation selbst.

II. Auswirkungen der Entscheidung für die betriebliche Praxis

Mit der Entscheidung vom 5. September 2017 hat der EGMR die Anforderungen an eine mögliche Überwachung des Verbots der privaten Nutzung dienstlicher Kommunikationsmittel gegenüber der Rechtsprechung des BAG nochmals erhöht. Ein generelles Verbot der Nutzung dienstlicher Kommunikationsmittel zu privaten Zwecken ist zwar auch nach dem Urteil des EGMR weiterhin grundsätzlich zulässig – und regelmäßig zu empfehlen. Überdies darf der Arbeitgeber die Einhaltung dieses Verbots weiterhin überprüfen. Ob eine Überwachungsmaßnahme schlussendlich rechtmäßig ist, ist jedoch für jeden Einzelfall gesondert anhand der vom EGMR aufgestellten Kriterien zu prüfen. Mit Blick auf die Kriterien der Anlassbezogenheit und Verhältnismäßigkeit der Überwachungsmaßnahme steht die Entscheidung insoweit noch im Einklang mit der Rechtsprechung des BAG. Auch nach dessen Rechtsprechung waren bzw. sind Überwachungen „ins Blaue hinein" in der Regel unzulässig. So hat das BAG zuletzt am 27. Juli 2017 (2 AZR 681/16) entschieden, dass der Einsatz eines Software-Keyloggers, mit dem alle Tastatureingaben an einem dienstlichen Computer für eine verdeckte Überwachung und Kontrolle des Arbeitnehmers aufgezeichnet werden, unzulässig sei, wenn kein auf den Arbeitnehmer bezogener, durch konkrete Tatsachen begründeter Verdacht einer Straftat oder einer anderen schwerwiegenden Pflichtverletzung bestehe. Hierdurch erlangte Information, die ggf. sogar eine Kündigung rechtfertigen würden, unterlägen in der Folge einem Beweisbewertungsverbot. Neu ist gegenüber der bisherigen Rechtsprechung der deutschen Arbeitsgerichte demgegenüber das seitens des EGMR aufgestellte Kriterium, wonach der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vorab über Möglichkeit und Ausmaß der Überwachung informieren muss. Ob es sich hierbei um eine unverzichtbare Rechtsmäßigkeits-Voraussetzung handelt, erscheint zwar auch angesichts der Ausführungen des EGMR fraglich. Vielmehr spricht viel dafür, dass auch die Informationspflicht aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalls – etwa im Falle des Verdachts einer Straftat – entbehrlich sein kann. Schlussendlich ist jedoch zu empfehlen, die Unternehmenspraxis auf die Vereinbarkeit mit der Rechtsprechung des EGMR und des BAG zu überprüfen. Hierbei können die vom EGMR zugrundegelegten Kriterien als Checkliste herangezogen werden.

III. Checkliste

  • Wurde den Arbeitnehmern im Zusammenhang mit der Anordnung des Verbots der Privatnutzung dienstlicher Kommunikationsmittel, jedenfalls aber vor Beginn der Überwachung, klar und verständlich mitgeteilt, dass die Möglichkeit der Überwachung besteht?
  • Erfolgte eine konkrete Information über den möglichen Umfang der Überwachung (insbesondere bzgl. der Frage, ob nur die Verkehrsdaten oder auch die Inhalte der Kommunikation überwacht werden sollen, der Dauer der Überwachung etc.)?
  • Liegen legitime Gründe vor, die die Überwachung der Kommunikation rechtfertigen? Diese müssen ein besonderes hohes Gewicht haben, wenn auch der Inhalt der Kommunikation überwacht werden soll.
  • Wurden weniger einschneidende Überwachungsmaßnahmen und Methoden geprüft und deren Fehlen in geeigneter Weise dokumentiert?
  • Was sind die Folgen der Überwachung für den Arbeitnehmer und wie werden die Ergebnisse verwendet? Dienen die Informationen dem verfolgten Zweck der Maßnahme?
  • Gibt es Sicherheitsvorkehrungen gegen den unbeschränkten Zugriff auf die Kommunikation?

Für Fragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.

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