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Das Ende der 39-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst? – Der neue § 6 Abs. 1a TVöD
Am 6. April 2025 einigten sich Bund und Kommunen auf einen neuen Tarifabschluss – mit einer wichtigen Neuerung für den öffentlichen Dienst.
Ab dem 1. Januar 2026 können Beschäftigte, die unter den TVöD oder TV-V fallen, ihre wöchentliche Arbeitszeit von bisher maximal 39 auf bis zu 42 Stunden erhöhen. Möglich macht dies der neue § 6 Abs. 1a TVöD (§ 8 Abs. 1a TV-V).
§ 6 Abs. 1a TVöD ab 1. Januar 2026:
„Abweichend von Absatz 1 können Beschäftigte und Arbeitgeber im gegenseitigen Einvernehmen, frühestens nach Ablauf der Probezeit, die Erhöhung der regelmäßigen Arbeitszeit auf bis zu durchschnittlich 42 Stunden wöchentlich (ausschließlich der Pausen) in Textform vereinbaren. (…) Die Erhöhung ist auf maximal 18 Monate zu befristen. Verlängerungen sind nur befristet und nur in gegenseitigem Einvernehmen möglich. Die Verlängerungen können jeweils bis zu 18 Monate betragen. Die Vereinbarung kann aus wichtigem Grund in Textform mit einer Frist von vier Wochen zum Monatsende gekündigt werden. Soweit tarifvertraglich auf die regelmäßige durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von Vollbeschäftigten Bezug genommen wird, gilt in diesem Fall die individuell erhöhte regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit nach Satz 1. Näheres kann durch eine Betriebs- oder einvernehmliche Dienstvereinbarung geregelt werden.“
I.
Was ist erforderlich für die Erhöhung der Arbeitszeit nach § 6 Abs. 1a TVöD?
1. Antrag des/der Beschäftigten
Die Erhöhung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit setzt zunächst voraus, dass der/die Beschäftigte einen entsprechenden Antrag stellt. Diese Möglichkeit steht allen Beschäftigten zu, die unter den Geltungsbereich des TVöD/TV-V fallen – unabhängig davon, ob sie in Voll- oder Teilzeit arbeiten. Einen Antrag stellen können allerdings nur die beschäftigten Personen, die sich nicht mehr in der Probezeit befinden.
Eine Ausnahme gilt für Auszubildende und dual Studierende im Geltungsbereich des TVSöD und TVHöD, bei denen eine entsprechende Vereinbarung zur Erhöhung der Arbeitszeit auf mehr als 39 Stunden wöchentlich nicht bereits mit Beginn der Übernahme in ein Arbeitsverhältnis geschlossen werden darf.
Bei Teilzeitbeschäftigten setzt eine Erhöhung über die Grenze von 39 Stunden voraus, dass zunächst eine Aufstockung auf die regelmäßige Vollarbeitszeit erfolgt; erst darüber hinaus gehende Stunden gelten sodann als Erhöhungsstunden. In diesen Fällen sind somit zwei Schritte erforderlich.
2. Zustimmung des Arbeitgebers
Die Erhöhung der Arbeitszeit erfordert außerdem die Zustimmung des Arbeitgebers, der hierzu grundsätzlich nicht verpflichtet ist. Es gilt der Grundsatz der doppelten Freiwilligkeit – daher müssen sowohl die beschäftigte Person als auch der Arbeitgeber ihr Einverständnis erklären.
Es besteht von keiner Seite ein Rechtsanspruch auf die Erhöhung.
Vor seiner Entscheidung sollte der Arbeitgeber unter anderem prüfen, ob tatsächlich ein zusätzlicher Arbeitsbedarf besteht, der die Erhöhung der Arbeitszeit rechtfertigt. Der Arbeitgeber muss die vereinbarten Erhöhungsstunden tatsächlich anbieten, da er andernfalls in Annahmeverzug gerät. Wird der Antrag abgelehnt, bleibt es bei der bisherigen regelmäßigen Arbeitszeit von 39 Stunden pro Woche. Eine Begründung für die Ablehnung ist nicht erforderlich.
Der Arbeitgeber kann festlegen, dass in bestimmten Bereichen oder Abteilungen oder auch insgesamt keine Arbeitszeiterhöhungen zugelassen werden; auch hierfür ist keine gesonderte Begründung erforderlich.
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist jedoch stets zu beachten. Gestattet der Arbeitgeber die Arbeitszeiterhöhung in einem bestimmten Bereich oder einer Abteilung, sind die Anträge von Beschäftigten grundsätzlich gleich zu behandeln, sofern nicht sachliche Gründe ausnahmsweise eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen (z.B. Personalbedarf, Qualifikation, unverhältnismäßige Mehrkosten).
3. Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und beschäftigter Person
Die Vereinbarung über die Erhöhung der Arbeitszeit ist stets zu befristen und darf höchstens für einen Zeitraum von 18 Monaten geschlossen werden, kürzere Zeiträume sind möglich. Verlängerungen sind im gegenseitigen Einvernehmen – beliebig oft – und wiederum befristet um bis zu 18 Monate zulässig. Zudem bedarf jede Vereinbarung der Erhöhung der Arbeitszeit zu ihrer Wirksamkeit der Textform. Die Erhöhung ist nicht zwingend in vollen Stunden zu vereinbaren. Als Obergrenze gelten jedoch 42 Stunden; mehr ist nicht möglich.
Eine einvernehmliche Beendigung der Vereinbarung ist jederzeit möglich. Einseitig kann die Vereinbarung nur durch Kündigung beendet werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, die Textform gewahrt wird und die Kündigung mit vierwöchiger Frist zum Monatsende erklärt wird.
Ein wichtiger Grund liegt – entsprechend § 626 BGB – nur dann vor, wenn die Fortsetzung der Vereinbarung für eine der Parteien unzumutbar ist.
II.
Was sind die Folgen einer vereinbarten Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit?
1. Änderung der regelmäßigen Arbeitszeit
Die durch die Vereinbarung festgelegte erhöhte Wochenarbeitszeit wird zur individuellen regelmäßigen Arbeitszeit. Soweit tarifvertraglich auf die regelmäßige Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten Bezug genommen wird, gilt in diesem Fall die individuell erhöhte regelmäßige durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit.
Erhöhungsstunden sind keine Überstunden im Sinne des Tarifvertrages. Überstunden entstehen erst, wenn die tatsächlich geleistete Arbeitszeit über die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit einschließlich der Erhöhungsstunden hinausgeht.
Erhöhungsstunden sind die vereinbarten Arbeitsstunden, die über die regelmäßige durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von Vollbeschäftigten hinausgehen.
2. Vergütung
Vereinbaren Arbeitgeber und die beschäftigte Person eine Erhöhung der regelmäßigen durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit, erhält der bzw. die Beschäftigte ein entsprechend höheres Tabellenentgelt. Zusätzlich wird für jede zu leistende Erhöhungsstunde ein Zuschlag gewährt. Dieser beträgt:
25 % des Stundenanteils des Tabellenentgelts der Stufe 3 der jeweiligen Entgeltgruppe für die Entgeltgruppen 1 bis 9b;
10% des Stundenanteils des Tabellenentgelts der Stufe 3 der jeweiligen Entgeltgruppe für die Entgeltgruppen 9c bis 15.
Auch bei Entgeltfortzahlungen – etwa im Urlaub oder im Krankheitsfall – bleibt die erhöhte Arbeitszeit Grundlage der Berechnung. Das erhöhte Tabellenentgelt und die Erhöhungsstundenzulage werden bei der Berechnung der Höhe der Entgeltfortzahlung vollständig berücksichtigt. Gleiches gilt für Sonderzahlungen (z.B. Jahressonderzahlungen) oder andere vergleichbare Leistungen.
III.
Was ist in der Praxis im Zusammenhang mit Erhöhungsstunden zu beachten?
Unabhängig von der neuen Möglichkeit der Erhöhung der Wochenarbeitszeit, kann der Arbeitgeber bei kurzfristigem Mehrbedarf weiterhin einseitig die Leistung von Überstunden anordnen.
In einem solchen Fall sind die im Tarifvertrag vorgesehenen Überstundenzuschläge zu zahlen. Diese liegen jeweils 5 Prozentpunkte über den Zuschlägen, die für Erhöhungsstunden gezahlt werden (30% in den Entgeltgruppen 1 – 9b; 15 % in den Entgeltgruppen 9c – 15). Anders als bei Erhöhungsstunden werden die Überstundenzuschläge nicht pauschal auf Basis des Tabellenentgelts der Stufe 3 der jeweiligen Entgeltgruppe berechnet, sondern auf Grundlage der jeweiligen Entgeltgruppe und der individuellen Stufe des Beschäftigten, höchstens jedoch bis Stufe 4. Beschäftigte in höheren Entgeltstufen profitieren daher meist stärker von Überstundenzuschlägen, während für Beschäftigte in niedrigeren Stufen Erhöhungsstunden nebst den entsprechenden Zuschlägen finanziell vorteilhafter sein können.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Erhöhungsstundenzulage auch bei der Berechnung des Entgelts im Rahmen der Entgeltfortzahlung sowie bei Sonderzahlungen relevant ist, was für den Arbeitgeber zu einer erheblichen wirtschaftlichen Mehrbelastung führen kann.
Neben wirtschaftlichen Aspekten sollten Arbeitgeber im Einzelfall prüfen, welche Variante hinsichtlich des tatsächlichen Personalbedarfs sinnvoller ist. Die Vereinbarung einer höheren regelmäßigen Arbeitszeit empfiehlt sich insbesondere, wenn ein dauerhaft erhöhter Personalbedarf besteht oder erwartet wird. Die Anordnung von Überstunden ist hingegen vorzuziehen, wenn der Mehrbedarf nur kurzfristig oder unregelmäßig auftritt und keine dauerhafte Aufstockung der Arbeitszeit erforderlich ist.
IV.
IV. Praxishinweise
Der neue § 6 Abs. 1a TVöD bringt eine spürbare Flexibilisierung der Arbeitszeitgestaltung im öffentlichen Dienst mit sich.
Arbeitgeber und Beschäftigte können das Arbeitszeitvolumen bedarfsgerecht anpassen und damit sowohl Planbarkeit als auch Verbindlichkeit schaffen – auch im Hinblick auf das zusätzliche Entgelt. Anders als Überstunden, die eher für kürzere Zeiträume angeordnet werden, soll die Vereinbarung von Erhöhungsstunden die Arbeitskapazität längerfristig steigern.
Insgesamt zeigt sich, dass diese neue tarifliche Möglichkeit der Erhöhung der Wochenarbeitszeit für Beschäftigte und Arbeitgeber gleichermaßen Vorteile bringen kann. Dies gilt jedoch nicht in an Fällen, sodass stets im Einzelfall zu prüfen ist, ob eine entsprechende Erhöhungsvereinbarung sinnvoll ist.
Über den Autor
Julia Füllmann absolvierte ihr Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Trier und Bonn, wo sie im Jahr 2018 ihren Abschluss machte. Bereits während des Studiums arbeitete sie drei Jahre lang in einer auf Arbeitsrecht spezialisierten Boutique-Kanzlei in Bonn, bevor sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin zu einer international tätigen Großkanzlei wechselte.