„Deal“ oder „No-Deal“ – ein Ende mit Schrecken?
Zu den wenigen Gewissheiten im Brexit-Chaos gehörte bislang das auf den 29. März 2019 festgelegte Austrittsdatum. Nach dem Willen des britischen Unterhauses soll dieser Austrittszeitpunkt verschoben werden – die Zustimmung der Europäischen Union (EU) vorausgesetzt. Selbst wenn dies die politische Situation im Vereinigten Königreich nicht beruhigen wird, dürfte zumindest aus wirtschaftlicher Sicht eine Verschnaufpause eintreten. Nach dem wiederholten Scheitern des mit der EU ausgehandelten Austrittsabkommens und der Ablehnung eines zweiten nationalen Referendums, ist weiterhin unklar, ob die Unterzeichnung des Abkommens noch erfolgt. Ein ungeregelter Brexit (No-Deal Brexit) ist damit weiterhin wahrscheinlich – unklar bleibt der Zeitpunkt. Neben den nicht absehbaren wirtschaftlichen Konsequenzen eines No-Deal Brexits wird dieser erhebliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben und kann Ihr Unternehmen betreffen, wenn Sie
- britische Staatsangehörige in Deutschland beschäftigen,
- deutsche Staatsangehörige regelmäßig nach Großbritannien entsenden oder Sie dort dauerhaft deutsche Staatsangehörige beschäftigen oder
- auf einen regelmäßigen Austausch personenbezogener Daten mit einer Niederlassung in Großbritannien angewiesen sind bzw. Auftragsverarbeiter nach Art. 28 DSGVO einsetzen, die ihre Niederlassung in Großbritannien haben und dort personenbezogene Daten verarbeiten.
1. Beschäftigung von britischen Staatsbürgern in Deutschland
Europäische Staatsangehörige können grundsätzlich in jedem Land der EU leben und arbeiten (Freizügigkeit). Mit dem Austritt Großbritanniens verlieren britische Staatsangehörige den Status als Unionsbürger und werden zu sogenannten Drittstaatsangehörigen. Im Falle eines No-Deal Brexits wären britische Staatsangehörige ohne Aufenthaltstitel grundsätzlich bereits mit Ablauf des 29. März 2019 zur Ausreise verpflichtet. Um die Folgen eines ungeregelten Austritts abzufedern, hat das Bundeskabinett mehrere Gesetzesentwürfe beschlossen. Dazu gehören Übergangsregelungen im Bereich Arbeit und Sozialversicherung.
a) Übergangsperiode und Beantragung eines Aufenthaltstitels
Selbst im Fall des ungeregelten Austritts ist kein britischer Staatsangehöriger sofort zur Ausreise verpflichtet. Die Bundesregierung plant für diesen Fall die Einrichtung einer dreimonatigen Übergangsperiode per Ministerverordnung des Bundesministers des Innern bis zum 30. Juni 2019. In dieser Zeit können britische Staatsangehörige ohne Aufenthaltstitel in Deutschland leben und arbeiten wie bisher. Nach Ablauf dieses Zeitraums benötigen sie jedoch – so wie jeder Nicht-EU Bürger – einen Aufenthaltstitel, den sie bei der zuständigen Ausländerbehörde beantragen müssen. Einige Ausländerbehörden planen insoweit schon vor dem Austrittsdatum ein freiwilliges Registrierungs- und Antragsverfahren. Eine endgültige Beantragung des Aufenthaltstitels vor dem Austritt ist allerdings nicht möglich. Insoweit kann es sich lohnen, sich bereits jetzt bei der zuständigen Ausländerbehörde zu melden. Die jeweils zuständige Behörde kann auf der Website des Bundesministeriums des Inneren (BMI) ermittelt werden:
https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/faqs/DE/themen/migration/brexit/brexit-auslaenderbehoerde.html;jsessionid=E74810B99F3CB2418BDBE0A9E2DD4DBB.1_cid295
b) Möglichkeit der Einbürgerung
Neben der Beantragung eines Aufenthaltstitels ist auch die Beantragung einer deutschen Staatsangehörigkeit eine Alternative. Im Fall des No-Deal Brexits müssten Briten allerdings grundsätzlich ihre britische Staatsbürgerschaft aufgeben, wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen wollen. Nach einem aktuellen Gesetzesentwurf der Bundesregierung sollen Briten ihre britische Staatsbürgerschaft jedoch behalten dürfen, wenn sie ihren Einbürgerungsantrag vor dem 30. März 2019 gestellt haben und zu diesem Zeitpunkt die Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt waren bzw. bei Erteilung der Einbürgerung weiterhin erfüllt sind (vgl. Art. 3 des Entwurfs eines Gesetzes zu Übergangsregelungen im Bereich Arbeit, Bildung, Gesundheit, Soziales und Staatsangehörigkeit). Das entsprechende Gesetz tritt nach dessen Art. 4 nur in Kraft, wenn Großbritannien die EU ohne ein Abkommen verlässt.
https://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze/uebergangsregeleung-nach-austritt-grossbritannien-nordirland-aus-eu.html
c) Mögliche Haftungsrisiken für den Arbeitgeber – Handlungshinweise
Kommt es zu einem No-Deal Brexit und haben britische Staatsangehörige innerhalb der Übergangsperiode keinen Aufenthaltstitel beantragt, dürfen Arbeitgeber diese nicht weiter beschäftigen. Ansonsten handelt es sich um eine nicht genehmigte Beschäftigung von Ausländern, die mit Geldbußen von bis zu EUR 500.000 betraft werden kann (§ 404 SGB III). Mit einer solchen illegalen Beschäftigung gehen häufig zugleich Verstöße gegen sozialversicherungs- und steuerrechtliche Pflichten einher. Vor dem Hintergrund des am 29. März 2019 drohenden Austritts sollte daher die Möglichkeit eines No-Deal Brexits im Auge behalten und auf die Beantragung entsprechender Aufenthaltstitel durch die betroffenen Arbeitnehmer hingewirkt werden. Da die Ausländerbehörden mit einer erhöhten Antragsstellung rechnen und zudem einige Unterlagen vorzulegen sind, empfehlen wir ein frühzeitiges Tätigwerden.
2. Entsendung von Arbeitnehmern nach Großbritannien
Soweit deutsche Arbeitnehmer nach Großbritannien entsandt werden, also dort nur vorübergehend Arbeitsleistungen erbringen, profitieren sie momentan ebenfalls von der Arbeitnehmerfreizügigkeit, der EU-Entsenderichtlinie sowie europäischen Vorgaben zur Koordination sozialversicherungsrechtlicher Fragen. Im Fall eines No-Deal Brexits würden diese Privilegien entfallen. Die Entsendung von Arbeitnehmern wäre dann grundsätzlich nur mit einer entsprechenden Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis möglich. Ebenso müssten sozialversicherungs- und steuerrechtliche Fragen geklärt werden. Das britische Innenministerium teilte zwischenzeitlich mit, dass im Fall eines No-Deal Brexits alle EU-Bürger nach dem 29. März 2019 mit ihrem Personalausweis einreisen und sich für drei Monate in Großbritannien aufhalten, arbeiten oder studieren können. Wer länger als drei Monate bleiben möchte, muss einen kostenpflichtigen Antrag stellen. Wird dieser Antrag bewilligt, erhält der Antragsteller „European Temporary Leave to Remain" und somit das Recht, sich für bis zu drei Jahre in Großbritannien aufzuhalten, zu arbeiten oder zu studieren. Dieser Status ist ausdrücklich vorübergehender Natur und kann nicht über drei Jahre hinaus verlängert werden. Die Zulässigkeit eines darüber hinausgehenden längeren Aufenthalts soll sich nach dem neuen Einwanderungssystem richten, das die britische Regierung ab dem 1. Januar 2021 einführen möchte. Weitere Informationen finden sich unter dem folgenden Link:
https://www.gov.uk/guidance/european-temporary-leave-to-remain-in-the-uk
Im Gegensatz zu zukünftig entsandten Arbeitnehmern haben dauerhaft und bereits vor dem Austrittdatum am 29. März 2019 in Großbritannien lebende EU-Staatsangehörige die Möglichkeit zur Beantragung eines „settled-status" oder „pre-settled-status" im Rahmen des EU Settlement Scheme. Auf diese Weise besteht unter gewissen Voraussetzungen auch weiterhin die Möglichkeit, dauerhaft in Großbritannien zu leben und zu arbeiten. Weitere Informationen finden sich unter dem folgenden Link:
https://www.gov.uk/settled-status-eu-citizens-families
Arbeitgeber sollten sich insofern auf längere Genehmigungsverfahren und einen höheren administrativen Aufwand bei der Arbeitnehmerentsendung einstellen. Denkbar könnte es sein, innerhalb der Verträge mit Geschäftspartnern Auffangklauseln für die Übernahme von Mehrkosten für etwaige Genehmigungsverfahren zu vereinbaren.
3. Datenschutz – Transfer von Beschäftigtendaten nach dem No-Deal Brexit
Der ungeregelte Austritt Großbritanniens wird Auswirkungen auf den Transfer personenbezogener Beschäftigtendaten haben. Die Übermittlung von personenbezogenen Daten in ein Drittland – was Großbritannien nach dem Austritt sein wird – unterliegt nach der DSGVO besonderen Voraussetzungen. Sie könnte aufgrund eines sogenannten Angemessenheitsbeschlusses der EU-Kommission nach Art. 45 DSGVO zulässig sein. Darin wird festgestellt, dass ein bestimmtes Drittland ein angemessenes Schutzniveau bietet. Die EU-Kommission hat jedoch angekündigt, dass sie mit der Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Angemessenheitsbeschluss vorliegen, erst beginnen kann, wenn ein Austritt Großbritanniens erfolgt ist. Eine kurzfristige Alternative ist darin folglich nicht zu sehen. Weiterhin ist eine Datenübermittlung nach Art. 49 Abs. 1 DSGVO unter anderem dann zulässig, wenn der Betroffene seine Einwilligung in die Übermittlung gegeben hat oder die Übermittlung für die Erfüllung eines Vertrags erforderlich ist. Für einen Transfer von Beschäftigtendaten in großem Umfang wird sich diese Grundlage wegen rechtlicher Unsicherheiten und tatsächlichem administrativen Aufwand indes nicht anbieten. So ist aus Datenschutzkreisen zu vernehmen, dass diese Grundlagen einen wiederholten und dauerhaften Transfer nicht legitimieren können. Als rechtssichere Alternativen für eine Datenübermittlung nach Großbritannien stehen damit noch folgende Wege zur Verfügung:
- EU-Standardvertragsklauseln nach Art. 46 Abs. 2 lit. c DSGVO, die einen Vertrag zwischen Datenexporteur und Datenimporteur unter Verwendung der von der EU-Kommission erlassenen Standardvertragsklauseln voraussetzen.
- Verbindliche interne Datenschutzvorschriften („Binding Corporate Rules"), die jedoch vorher von der der zuständigen Aufsichtsbehörde genehmigt werden müssen und für die gesamte Unternehmensgruppe gelten. Dabei legt das Unternehmen konkrete Regelungen für den Umgang mit personenbezogenen Daten in Drittländern fest.
- Von Verbänden und Vereinigungen aufgestellte genehmigte Verhaltensregeln („Codes of Conduct"). Dabei handelt es sich um Normen, auf die sich Verantwortliche verständigt haben, um innerhalb eines bestimmten Bereichs zu klären, wie eine DSGVO-konforme Verarbeitung erfolgen soll. Auch insofern ist aber die Durchführung eines umfangreichen Verfahrens notwendig.
- Zertifizierung bestimmter Verarbeitungsvorgänge durch eine zuständige Aufsichtsbehörde oder Zertifizierungsstelle.
Soweit noch keine Vorbereitungsmaßnahmen getroffen wurden, dürfte in der Kürze der Zeit lediglich die Verwendung von Standardvertragsklauseln eine praxistaugliche und rechtssichere Vorgehensweise darstellen. Die übrigen Instrumente, insbesondere „Binding Corporate Rules" oder „Codes of Conduct", können eine Datenübermittlung erst dann legitimieren, wenn sie bereits genehmigt sind. Auf der Website des Information Commissioner („ICO") wird ein Tool mit weiteren Informationen und Hinweisen angeboten:
https://ico.org.uk/for-organisations/data-protection-and-brexit/standard-contractual-clauses-for-transfers-from-the-eea-to-the-uk-interactive-tool/
Abgesehen von der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung müssen bei der Datenübermittlung in ein Drittland auch weiterführende Informationspflichten beachtet werden. So sind die Betroffenen gerade über diese Datenübermittlung in Kenntnis zu setzen (Art. 13 und 14 Abs. 1 lit. f. DSGVO). Zudem ist der Transfer in das Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten aufzunehmen. Sowohl die unerlaubte Übermittlung der Daten in ein Drittland als auch der Verstoß gegen Informations- und Aufzeichnungspflichten löst empfindliche Haftungsrisiken für den Verantwortlichen aus, insofern ist dringender Handlungsbedarf gegeben.
4. Zusammenfassung und Checkliste
Mit Blick auf die eingangs dargestellten arbeitsrechtlichen und damit zusammenhängenden datenschutzrechtlichen Aspekte sollten insbesondere folgende Punkte Berücksichtigung finden:
- Beschäftigen Sie britische Staatsangehörige in Deutschland?
– Erstellen Sie ein Kommunikationskonzept und informieren Sie Ihre Mitarbeiter über die aktuellen und künftigen aufenthaltsrechtlichen Entwicklungen. - Entsenden Sie deutsche Staatsangehörige regelmäßig nach Großbritannien oder beschäftigen Sie dort dauerhaft deutsche Staatsangehörige?
– Behalten Sie die aktuellen Entwicklungen und Voraussetzungen für eine Antragsstellung im Auge und informieren Sie ihre Mitarbeiter.
– Kalkulieren Sie einen höheren finanziellen und administrativen Aufwand bei der Entsendung ein. - Sind Sie auf einen regelmäßigen Austausch personenbezogener Daten mit einer Niederlassung im Vereinigten Königreich angewiesen oder werden Auftragsverarbeiter nach Art. 28 DSGVO eingesetzt, die ihre Niederlassung im Vereinigten Königreich haben und dort personenbezogene Daten verarbeiten?
– Die Datenübermittlung muss ab dem ungeregelten Austritt auf eine neue Grundlage gestellt werden. Als rechtssichere und kurzfristige Möglichkeit für eine kontinuierliche Datenübermittlung kommen EU-Standartvertragsklauseln in Betracht.
– Beachten Sie die ergänzenden Informationspflichten und die Aufnahme des Transfers in das Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten.
Bitte beachten Sie, dass es sich bei den Darstellungen nur um allgemeine Hinweise handelt. Insbesondere aufgrund der politisch wie rechtlich sehr dynamischen Materie sind Änderungen der aktuellen rechtlichen Situation nicht ausgeschlossen. Soweit Sie konkrete Hilfe bei der Umsetzung einzelner arbeitsrechtlicher Themenkomplexe benötigen oder ergänzende Rückfragen im Zusammenhang mit den dargestellten Problemfeldern haben, unterstützen wir Sie gerne.
Bitte beachten Sie, dass es sich bei den Darstellungen nur um allgemeine Hinweise handelt. Insbesondere aufgrund der politisch wie rechtlich sehr dynamischen Materie sind Änderungen der aktuellen rechtlichen Situation nicht ausgeschlossen. Soweit Sie konkrete Hilfe bei der Umsetzung einzelner arbeitsrechtlicher Themenkomplexe benötigen oder ergänzende Rückfragen im Zusammenhang mit den dargestellten Problemfeldern haben, unterstützen wir Sie gerne.