Einhaltung der Konsultationspflicht, § 17 Abs. 2 KSchG
§ 17 Abs. 2 KSchG verpflichtet den Arbeitgeber, den Betriebsrat (bzw. auch anderweitig zuständige Gremien wie z.B. die Personalvertretung) hinsichtlich beabsichtigter Entlassungen rechtzeitig zweckdienliche Auskünfte zu erteilen, ihn zu unterrichten und über Möglichkeiten zur Vermeidung bzw. Einschränkung der Entlassungen und/oder Folgenmilderung zu beraten. Jede dieser Anforderungen ist in der Praxis ernst zu nehmen, weil ein Verstoß auch hier die Unwirksamkeit der Entlassungen bedeutet.
Die zu beteiligende Arbeitnehmendenvertretung und der der Zuständigkeit zugrundeliegende Betriebsbegriff folgt – anders als in § 17 Abs. 1 KSchG – nationalem Recht und damit der Kompetenzzuweisung des KSchG. Zuständig ist regelmäßig der örtliche Betriebsrat für den jeweiligen Betrieb. Liegt der Maßnahme ein einheitliches unternehmerisches Konzept zugrunde, das sich über mehrere Betriebe erstreckt und einer einheitlichen Regelung bedarf, ist jedoch der Gesamtbetriebsrat oder – sofern ein unternehmensübergreifendes Konzept in Rede steht – der Konzernbetriebsrat zuständig. Auch bei der Bestimmung des zuständigen Gremiums ist insoweit größte Sorgfalt geboten. So hat das LAG Düsseldorf in einer Entscheidung aus Oktober 2020 (Urt. v. 15.10.2020 – 11 Sa 799/19) die Unwirksamkeit der Kündigung eines Bergmanns infolge der Schließung des letzten Steinkohlebergwerks Prosper-Haniel festgestellt, nachdem das Konsultationsverfahren mit dem aus Sicht des Gerichts unzuständigen örtlichen Betriebsrat anstatt des Gesamtbetriebsrats durchgeführt worden war. In Betrieben ohne Betriebsrat oder vergleichbarer Arbeitnehmervertretung entfällt die Beteiligung ersatzlos.
Die Schwerbehindertenvertretung ist entgegen der zwischenzeitlichen Instanzrechtsprechung richtigerweise nicht zu beteiligen. Eine doppelte Repräsentation ist nicht geboten und vom Gesetzeswortlaut auch nicht gedeckt (BAG, Urt. v. 13.02.2020 – 6 AZR 146/19).
Der Inhalt der Unterrichtung ist in § 17 Abs. 2 S. 1 Nr. 1-6 KSchG normiert und umfasst insb. Entlassungsgründe, Zahl und Berufsgruppen der zu entlassenden sowie beschäftigten Arbeitnehmer*innen, den Zeitraum der Entlassungen, Auswahlkriterien und Kriterien für etwaige Abfindungsberechnungen. Regelmäßig bietet es sich an, dem Betriebsrat schon den Entwurf einer Massenentlassungsanzeige auf dem Formblatt der Agentur für Arbeit beizufügen. Zur Formwahrung genügt entgegen der Formulierung in Satz 1 „schriftlich“ die Textform (BAG, Urt. v. 22.09.2016 – 2 AZR 276/16).
Das Konsultationsverfahren kann mit den Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 111 ff. KSchG richtlinienkonform verbunden werden. Erforderlich ist aber der gleichzeitige Hinweis auf die Erfüllung der Konsultationspflichten. Diesbezüglich sollte der Betriebsrat ausdrücklich und schriftlich auf die Verbindung der Verfahren hingewiesen werden.
Die Unterrichtung hat rechtzeitig vor der Schaffung unumkehrbarer Fakten, spätestens aber zwei Wochen vor Anzeigeerstattung, zu erfolgen. In den anschließenden Beratungen sollen – wie im Rahmen der Interessenausgleich- und Sozialplanverhandlungen – Maßnahmen diskutiert werden, die die Massenentlassung vermeiden bzw. deren Folgen jedenfalls abfedern (z.B. die Überführung der Arbeitnehmer in eine Transfergesellschaft). Dabei fordert die Rechtsprechung einen ernsthaften Willen zur Einigung, sodass sich die Konsultationspflicht nicht in der Auskunftserteilung oder Anhörung erschöpfen darf. Anders als dies in der Regel beim Sozialplan der Fall ist, muss eine Einigung zwischen den Betriebsparteien aber nicht erzielt werden. Gibt der Betriebsrat innerhalb der zwei Wochen keine Stellungnahme ab, kann der Arbeitgeber gleichwohl die Massenentlassungsanzeige erstatten.
Bestehen Unsicherheit, ob die Stellungnahme des Betriebsrats den (strengen) Anforderungen des § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG genügt, kann rein vorsorglich wie bei Fehlen der Stellungnahme nach § 17 Abs. 2 S. 3 KSchG vorgegangen werden.
Nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG hat der Arbeitgeber gleichzeitig der Agentur für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten. Im Januar 2022 (Beschl. v. 27.1.2022 – 6 AZR 155/21 (A)) legte das BAG im Wege des Vorabentscheidungsverfahren dem EuGH die Frage vor, welche Sanktionen ein Verstoß gegen § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG nach sich zieht. Im zugrundeliegenden Sachverhalt erfolgte das Konsultationsverfahren ordnungsgemäß, jedoch unterblieb die Übermittlung an die Agentur für Arbeit, sodass sich dem 6. Senat die Frage stellte, ob unter richtlinienkonformer Auslegung eine solche fehlende Übermittlung zur Unwirksamkeit der Entlassungsanzeige führen kann. Die Entscheidung des EuGH hierzu steht noch aus. Gleichzeitig macht die Entwicklung einmal mehr deutlich, wie fehleranfällig die Erstellung einer Massenentlassungsanzeige sein kann.