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Entgelttransparenzrichtlinie: Vergütungssysteme objektiv und geschlechtsneutral - Faire Bezahlung durch transparente Kriterien

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In unserem nächsten Beitrag zur Blogserie: Equal Pay und Entgelttransparenz wollen wir ein weiteres Kernelement der Entgelttransparenzrichtlinie (2023/970 vom 10. Mai 2023, nachfolgend: „Richtlinie“) – die neuen Standards für faire und transparente Vergütungssysteme – beleuchten.
Ziel der Richtlinie ist es, geschlechtsbedingte Lohnunterschiede bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit zu verhindern. Sie fordert dabei objektive, geschlechtsneutrale und nachvollziehbare Entgeltstrukturen – eine Herausforderung, gerade bei historisch gewachsenen Vergütungssystemen.
Die Richtlinie muss zwar erst bis zum 7. Juni 2026 in deutsches Recht umgesetzt werden, doch gelten ihre Inhalte bereits jetzt als Mindestanforderungen. Unternehmen sollten daher frühzeitig prüfen, ob ihre Vergütungssysteme diesen Anforderungen entsprechen – auch, weil die Kriterien schon jetzt in Entgeltgleichheitsklagen eine Rolle spielen können (vgl. etwa LAG Niedersachsen, Urteil vom 10. September 2024 – 10 SLa 221/24).

Blogserie: Equal Pay und Entgelttransparenz

Lohngleichheit ist nicht länger nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern wird zur gesetzlichen Pflicht. Mit der EU-Entgelttransparenzrichtlinie kommen neue Anforderungen auf Unternehmen zu – von Berichtspflichten bis zu transparenten Vergütungsstrukturen. In unserer Blogreihe zeigen wir, was jetzt zu beachten ist und wie Sie Entgeltgerechtigkeit rechtssicher und strategisch umsetzen können.

I.

Was sind die Kriterien für diskriminierungsfreie Vergütungssysteme?

Vergütungssysteme beruhen oft auf einer Vielzahl von Faktoren wie Betriebszugehörigkeit, Ausbildungsniveau, Spezialkenntnissen oder Berufserfahrung. Manche Kriterien bergen jedoch Risiken der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.

Beispiel:

Etwa wenn Gehalt oder Sonderzahlungen stark an durchgängige Vollzeitbeschäftigung gebunden ist – tendenziell eine mittelbare Benachteiligung für Frauen, die aufgrund von Mutterschutz, Elternzeit oder Teilzeitphasen häufig weniger durchgängig im Unternehmen tätig sind als männliche Kollegen.
Die Richtlinie nennt als vier wesentliche, geschlechtsneutrale Kriterien: Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen. Diese sollen sicherstellen, dass Vergütungssysteme diskriminierungsfrei sind. Dabei wird anerkannt, dass nicht alle Faktoren für jede Position gleichermaßen relevant sind und dem Arbeitgeber die Möglichkeit zur Gewichtung eingeräumt. Gleichzeitig können und sollen auch zusätzliche Kriterien berücksichtigt werden, sofern diese für die konkrete Tätigkeit von Bedeutung sind.

Beispiel:

Beispiel: Die Kompetenz bzw. das Ausbildungsniveau muss für die konkrete Position relevant sein. So kann bspw. ein Jura-Studium nicht berücksichtigt werden, wenn es für die konkrete Tätigkeit – bspw. eines Handwerkers – keinerlei Bedeutung mehr besitzt.
Es bleibt abzuwarten, ob und wie der deutsche Gesetzgeber die Kriterien definieren wird. Die EU-Leitlinien zur geschlechtsneutralen Arbeitsbewertung bieten für eine erste Orientierung folgende – zum Überblick stark verkürzte – Definitionen:

Kompetenzen:

Wissen, Fähigkeiten, Erfahrung, Problemlösungs- und zwischenmenschliche Kompetenzen.

Belastung:

Physische, mentale und psychosoziale Anstrengungen der Tätigkeit.

Verantwortung:

Zuständigkeiten in Bereichen wie Personal, Material, Daten oder Budget.

Arbeitsbedingungen:

Umstände und Umwelteinflüsse, die die Tätigkeit prägen.
Viele Entgeltsysteme berücksichtigen heute bereits notwendige Kompetenzen und mit der Tätigkeit einhergehende Verantwortung, seltener jedoch konkrete Arbeitsbedingungen oder (objektive) Belastungen der jeweiligen Stelle. Hier besteht Nachholbedarf. Dies dürfte in der Praxis eine besondere Herausforderung für Unternehmen, Betriebsräte und Sozialpartner darstellen.

Wichtig:

Entgegen bisher regelmäßig zu lesenden Einschätzungen sehen wir in der Richtlinie keinen Anhaltspunkt dafür, dass es eine Privilegierung für Tarifverträge – wie aktuell in § 4 Abs. 5 S. 1 Entgelttransparenzgesetz vorgesehen – geben kann. Nach aktuellem Stand unterliegen daher sämtliche Kollektivvereinbarungen zur Vergütung den oben genannten Voraussetzungen.

Wegen der europarechtlich verbürgten Tarifautonomie (Art. 28 GRCh) wird man wohl jedoch in einer tariflichen Eingruppierung ein Indiz für gleichwertige Arbeit erblicken können. Welches Gewicht diesem zukommt bleibt jedoch abzuwarten.


II.

Wie funktioniert die Gewichtung der Kriterien?

Nach Festlegung der geschlechtsneutralen Kriterien und potenziellen Unterfaktoren sind diese zu gewichten.
Zunächst werden die vier Hauptkriterien – Kompetenzen, Verantwortung, Belastung und Arbeitsbedingungen – z.B. mit 40 %, 20 %, 20 % und 20 % gewichtet; weitere Kriterien können ergänzt werden. Jedem Unterfaktor wird dann ein Anteil der Hauptkriteriums-Gewichtung zugeordnet. Am Ende erhält jede Position eine Punktzahl zur Bestimmung der Gehaltsstufe. Arbeitgebern steht ein Gestaltungsspielraum zu – entscheidend ist die Transparenz.
Ein aktuelles Urteil eines Landesarbeitsgerichts verdeutlicht, dass die reine Behauptung des Arbeitgebers, er habe irgendwelche Kriterien zur Ermittlung der Vergütung herangezogen, nicht ausreichend ist. Der Arbeitgeber muss vielmehr darlegen, wie er diese Kriterien zueinander gewichtet hat (vgl. LAG Baden-Württemberg v. 19.6.2024 – 4 Sa 26/23).


III.

Fazit und Handlungsempfehlungen

Die Richtlinie verlangt objektive und geschlechtsneutrale Kriterien, die klar definiert, gewichtet und dokumentiert sind.
Auch wenn die Umsetzung in Deutschland noch aussteht, ist eine frühzeitige Analyse bestehender Vergütungssysteme und Einleitung der ersten Schritte zur potenziellen Neugestaltung ratsam, um spätere Anpassungen zu erleichtern und Diskriminierungsrisiken zu minimieren. Folgende Punkte sollten in jedem Fall beachtet werden:

„Due Diligence“ der Vergütungsstruktur:

Analyse des bestehenden Systems und Ermittlung von möglichen Schwachstellen. Überprüfung, ob bestehende Kriterien und Gewichtungen den Anforderungen der Richtlinie gerecht werden und keine diskriminierenden Stereotype enthalten.

Definition objektiver, geschlechtsneutraler Kriterien:

Erstellung von nachvollziehbaren Bewertungsmaßstäben und Transparenz über die Gewichtung der Hauptkriterien.

Einführung eines Monitoring-Systems:

Ein systematisches Monitoring kann sicherstellen, dass die Kriterien konsequent angewendet und mögliche Diskriminierungsrisiken identifiziert werden.

Gerne unterstützen wir Sie bei der Bewertung und bei möglichem Anpassungsbedarf Ihrer Vergütungssysteme.
Unser Expertenteam steht Ihnen jederzeit zur Verfügung.

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