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Sanktionen und Maßnahmen bei Verstößen gegen die Entgelttransparenzrichtlinie

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Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie (Richtlinie (EU) 2023/970, im Folgenden: ETRL) verpflichtet Unternehmen zur Herstellung und Sicherung der Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern.
Zwar steht die konkrete Umsetzung in das deutsche Recht noch aus, doch lässt sich bereits jetzt absehen: Der europäische Gesetzgeber macht ernst und hat ein umfangreiches Paket von Maßnahmen geschnürt, das staatlichen Institutionen sowie Beschäftigen zahlreiche Instrumente an die Hand geben soll, um Unternehmen zur Durchsetzung von Entgeltgleichheit zu bewegen/zwingen.

Blogserie: Equal Pay und Entgelttransparenz

Lohngleichheit ist nicht länger nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern wird zur gesetzlichen Pflicht. Mit der EU-Entgelttransparenzrichtlinie kommen neue Anforderungen auf Unternehmen zu – von Berichtspflichten bis zu transparenten Vergütungsstrukturen. In unserer Blogreihe zeigen wir, was jetzt zu beachten ist und wie Sie Entgeltgerechtigkeit rechtssicher und strategisch umsetzen können.

I.

Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche

Ein zentrales Element der Richtlinie ist der Anspruch auf vollständigen Ersatz sämtlicher erlittener Schäden bei Verstößen gegen das Prinzip des gleichen Entgelts (vgl. Art. 16 ETRL) für betroffene Beschäftigte.
Die Richtlinie sieht insoweit sowohl Schadensersatzansprüche für finanzielle Einbußen als auch Entschädigungsansprüche für immaterielle Schäden vor. Die Ansprüche sollen auf abschreckende und angemessene Art und Weise eine tatsächliche und wirksame Entschädigung darstellen.
§ 15 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) sieht bei einer Benachteiligung wegen des Geschlechts bereits jetzt Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche vor. Es ist davon auszugehen, dass entweder eine vergleichbare Regelung eingeführt wird oder § 15 AGG Änderungen erfährt.

Exkurs:

Auf die unter § 15 Abs. 4 AGG geregelte Ausschlussfrist, wonach Schadensersatzansprüche und Entschädigungsansprüche innerhalb von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden müssen, werden sich Unternehmen zukünftig wohl nicht mehr berufen können. Art. 21 der ETRL sieht insoweit ausdrücklich vor, dass die Verjährungsfrist für Ansprüche auf gleiches Entgelt nicht kürzer als drei Jahre sein darf. Mit Blick auf diese Regelung werden voraussichtlich auch derzeit verwendete vertragliche Ausschlussfristen in den Blick zu nehmen sein.
Mit Blick darauf, dass Entschädigungsregelung eine abschreckende Wirkung erzielen sollen, steht zu befürchten, dass sich neben dem zweifelhaften „Betätigungsfeld“ des sogenannten AGG- oder DSGVO-Hoppings nach der Umsetzung der Richtlinie Fälle des Entgelttransparenz-Hoppings zeigen werden.


II.

Abhilfemaßnahmen, Bußgelder und Verfahrensvorschriften

Die Richtlinie setzt nicht allein auf Individualansprüche, sondern zielt auch auf institutionelle Absicherung und Durchsetzung des Grundsatzes des gleichen Entgelts ab.
Behörden oder Gerichte sollen konkret die Unterlassung von Verletzungen oder strukturelle Abhilfemaßnahmen anordnen können (vgl. Art. 17 ETRL). Wird diesen Anordnungen nicht Folge geleistet, drohen Zwangsgelder. Flankierend stärkt Art. 20 ETRL den Zugang zu Beweismitteln. Hiernach sollen Behörden oder Gerichte anordnen können, dass Unternehmen einschlägige Beweismittel offenlegen müssen.
Um vermeintliche Opfer geschlechtsspezifischer Entgeltdiskriminierung nicht vor finanzielle Hürden zu stellen, sollen nach Art. 22 ETRL nationale Gerichte bewerten dürfen, ob in einem Verfahren wegen Entgeltdiskriminierung nicht der unterlegenen, klagenden Partei die Kosten des Verfahrens, sondern dem obsiegenden Unternehmen auferlegt werden. Dies soll dann in Betracht kommen, wenn die klagende Partei „berechtigte Gründe“ hatte, den Anspruch geltend zu machen, was insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die obsiegende Partei die in der Richtlinie festgelegten Entgelttransparenzpflichten nicht erfüllt hat. Abzuwarten bleibt, was zukünftig unter den Begriff der Verfahrenskosten fallen wird, insbesondere ob hiervon auch Anwaltskosten der klagenden Beschäftigten umfasst sind. Fest steht aber: Eine derartige Regelung würde die allgemeinen Grundsätze zur Kostentragungspflicht auf den Kopf stellen.

Exkurs:

Das deutsche Arbeitsgerichtsgesetz sieht bislang (noch) vor, dass in der ersten Instanz der obsiegenden Partei in einem Rechtsstreit kein Kostenerstattungsanspruch für Anwaltskosten gegenüber der unterlegenen Partei zustehen soll (Vgl. § 12a ArbGG). Bereits seit längerem wird insoweit die Frage diskutiert, ob dieser Grundsatz im Hinblick auf diskriminierungsrechtliche Streitigkeiten weiterhin Geltung beanspruchen kann. Diese Frage wird mit der Umsetzung der ETRL an Bedeutung gewinnen.
Schließlich sieht Art. 23 ETRL vor, dass wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionsmechanismen etabliert werden sollen, die bei Verletzung der Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts zu verhängen sind. Kernpunkt dieser Sanktionsmechanismen wird die Verhängung entsprechender Geldbußen sein. Bei den Sanktionen sollen sog. intersektionelle Benachteiligungen oder wiederholte Verletzungen von Rechten und Pflichten im Zusammenhang mit dem gleichen Entgelt besondere Berücksichtigung finden. Neben Geldbußen soll, insbesondere bei wiederholten Verletzungen, der Ausschluss von finanziellen Anreizen oder bei öffentlichen Ausschreibungen drohen.


III.

Beweislast und prozessuale Erleichterungen

Die Umsetzung der ETRL wird eine Umkehr der Beweislast in Entgeltgleichheitsverfahren normieren. Zwar sieht das deutsche Recht mit § 22 AGG bereits jetzt eine Beweislastumkehr in Diskriminierungsfällen vor.
Danach genügt es, dass Arbeitnehmer Indizien beweisen, die eine Benachteiligung vermuten lassen. Die Beweislast liegt dann beim Arbeitgeber. Eine hiermit vergleichbare Regelung sieht Art. 18 Abs. 1 ETRL vor.
Mit Blick auf Art. 18 Abs. 2 ETRL ist davon auszugehen, dass sich die Regelungen zur Beweislastumkehr sogar noch verschärfen werden. Bei bestimmten Verstößen müssen Unternehmen zukünftig voraussichtlich – unabhängig davon, ob Beschäftigte entsprechende Indizien vorgetragen haben – positiv nachweisen, dass keine Diskriminierung vorliegt.

Dies betrifft

  • die fehlende Zurverfügungstellung der geforderten Informationen für Bewerber, Fragen nach früheren Gehältern im Rahmen des Bewerbungsverfahrens und nicht geschlechtsneutralen Stellenausschreibungen, Berufsbezeichnungen sowie nicht diskriminierungsfreien Einstellungsverfahren (vgl. Art. 5 ETRL)
  • das Vorenthalten von Informationen über die einschlägigen, zwingend geschlechtsneutralen und objektiven Kriterien zur Entgeltfindung (vgl. Art. 6 Abs. 1 ETRL)
  • die nicht oder nicht fristgemäßer Erfüllung der Auskunftsrechte und Informationspflichten sowie Maßnahmen, die Arbeitnehmer daran hindern, ihr Entgelt offenzulegen (vgl. Art. 7 ETRL)
  • das Unterlassen der fristgemäßen Berichterstattung nach Maßgabe des Art. 9 ETRL
  • die Nichtvornahme einer gemeinsamen Entgeltbewertung (vgl. Art. 10 ETRL)


IV.

Fazit

Die Entgelttransparenzrichtlinie stellt einen grundlegenden Wandel im arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot dar.
Der vorgesehene Maßnahmen- und Sanktionskatalog ist gewaltig und wird zu einem erheblichen bürokratischen Mehraufwand führen, denn Ungemach droht nicht nur von Seiten der Beschäftigten, sondern auch unmittelbar vom Staat. Eine effektive Abwehr individualrechtlicher Ansprüche und eine Verteidigung gegen behördliche Anordnungen oder Sanktionen wird mit Blick auf die begleitenden Verfahrensregelungen zur Beweislast mit einem erheblichen Begründungsaufwand verbunden sein und begegnet nicht zuletzt mit Blick auf etwaige Neuregelungen zur Kostentragungspflicht erheblichen wirtschaftlichen Risiken.
Vor diesem Hintergrund sind Unternehmen gut beraten, frühzeitig ihre Entgeltstrukturen zu überprüfen und gegebenenfalls umzugestalten sowie eine entsprechende Dokumentation vorzunehmen. Auch der Bewerbungsprozess von der Stellenausschreibung bis hin zum Bewerbungsgespräch und der Einstellung ist im Hinblick auf die Transparenzrichtlinie einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

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