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In der Regel keine gute Idee: Krankmeldung nach verweigertem Urlaub

redflag
Wer sich nach einem abgelehntem Urlaubsantrag krankmeldet, muss mit Misstrauen des Arbeitgebers rechnen. Das Vorliegen einer (elektronischen) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann dann womöglich nicht genügen.
Ein aktuelles Urteil des Arbeitsgerichts Berlin (Urt. v. 19. März 2024 – 22 Ca 8667/23) zeigt, welche Maßstäbe bei der Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gelten und worauf es entscheidend ankommt.

I.

Hintergrund der Entscheidung

Die Arbeitnehmerin kündigte ihr Arbeitsverhältnis am 8. Mai 2023 zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Der Arbeitgeber bestätigte am 10. Mai 2023 die Beendigung zum 15. Juni 2023.
Kurz darauf, am 12. Mai 2023 bat die Mitarbeiterin um Urlaub zum Ende des Arbeitsverhältnisses, um ihre Familie besuchen zu können. Der Arbeitgeber lehnte dies unter dem Hinweis auf entgegenstehende betriebliche Gründe ab. Am 22. Mai 2023 meldete sich die Arbeitnehmerin krank und legte eine ärztliche Bescheinigung über eine depressive Episode vor, gültig bis zum letzten Arbeitstag am 15. Juni 2023.
Angesichts der zeitlichen Nähe zwischen Kündigung, dem abgelehnten Urlaubsantrag und der Krankschreibung zweifelte der Arbeitgeber an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit. Er verweigerte die Entgeltfortzahlung für den betreffenden Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit. Aus diesem Grund erhob die Arbeitnehmerin Klage auf Zahlung.


II.

Zentrale Frage: Ist der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert?

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zunächst ein hoher Beweiswert zu.
Arbeitgeber können diesen aber erschüttern, wenn sie konkrete Umstände darlegen, die Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit begründen. Die Rechtsprechung hat hier in den letzten 24-36 Monaten zahlreiche Fallkonstellationen entwickelt bzw. nachgeschärft. Im Fall des Arbeitsgerichts Berlin wurden mehrere solcher Anhaltspunkte geltend gemacht:
  • Die Krankschreibung beinhaltet den Zeitraum des abgelehnten Urlaubsbegehrens. ´
  • Die Bescheinigung reichte über den üblichen Zwei-Wochen-Zeitraum hinaus.
  • Die Diagnose wurde von einer Vertretungsärztin und nicht der Hausärztin der Arbeitnehmerin ausgestellt.
  • Die Arbeitnehmerin trat unmittelbar nach Ablauf der Krankschreibung am 16. Juni 2023 eine neue Stelle an.


III.

Entscheidung des Arbeitsgerichts

Das Arbeitsgericht Berlin erkannte an, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch ernsthafte Zweifel erschüttert war.
Dies führt prozessual dazu, dass die Arbeitnehmerin konkret darlegen und beweisen muss, dass die an den fraglichen Tagen arbeitsunfähig erkrankt war. Regelmäßig werden hierfür die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden. So auch hier. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt, da es aufgrund der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangte, dass die Arbeitsunfähigkeit tatsächlich vorlag.
Zur Orientierung stellt das Gericht in seinem Urteil abstrakte Leitlinien auf, welche Anforderungen an die Überzeugungsbildung bei der Vernehmung des behandelnden Arztes als Zeugen zu beachten sind.

Dabei ist insbesondere festzustellen,

  • dass eine ärztliche Untersuchung tatsächlich stattgefunden hat – wobei diese auch nur von kurzer Dauer sein darf und wenige Minuten in Anspruch nehmen kann, insbesondere angesichts der in Arztpraxen üblichen hohen Frequentierung;
  • dass der Arzt bei Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den körperlichen, geistigen und seelischen Gesundheitszustand des Patienten berücksichtigt hat. Mit anderen Worten: Der Arzt muss sich vergewissert haben, dass die attestierte Arbeitsunfähigkeit auf krankheitsbedingten Ursachen beruht und nicht aus möglicherweise falsch verstandener Gefälligkeit ein Attest ausstellt;
  • dass die Krankheit im konkreten Fall zur Arbeitsunfähigkeit in Bezug auf die ausgeübte Tätigkeit führt. Hierfür ist erforderlich, dass der Arzt sich über die berufliche Tätigkeit des Patienten informiert, etwa indem er diesen nach seiner konkreten Arbeit befragt.
Diesen Anforderungen genügte die Behandlung der Ärztin nach Überzeugung des Gerichts. Sie schilderte offenbar nachvollziehbar, dass die Klägerin persönlich bei ihr vorstellig geworden sei, unter Tränen von Sorgen und Belastungen berichtet habe und deutliche Symptome einer Erschöpfungsdepression gezeigt habe. Die Untersuchung habe mehrere Minuten in Anspruch genommen.
Zudem habe die Ärztin im Rahmen ihrer Diagnose die konkrete Tätigkeit als Reinigungskraft berücksichtigt, die insbesondere bei bestehenden Konzentrationsschwierigkeiten eine Gefahr sowohl für die Arbeitnehmerin selbst (etwa bei der Reinigung des Treppenhauses) als auch für Dritte darstellt.
Als sachgerecht bewertete das Gericht zudem die Krankschreibung bis zum letzten Arbeitstag. Bei einer diagnostizierten Erschöpfungsdepression sei eine über mehrere Wochen andauernde Arbeitsunfähigkeit nicht ungewöhnlich; im konkreten Fall war sie maßgeblich auf die Arbeitsbedingungen beim Arbeitgeber, namentlich die Tätigkeit als Reinigungskraft, zurückzuführen.


IV.

Praxishinweise

Obgleich das Arbeitsgericht der Klage der Arbeitnehmerin stattgab, setzt sich mit der Entscheidung ein aktueller Trend der Rechtsprechung fort: Aus Arbeitgebersicht ist immer häufiger ratsam, die Lohnfortzahlung bei ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers einzustellen.
Ein Beweis des Gegenteils, dass der Arbeitnehmer tatsächlich nicht krank ist, wird vom Arbeitgeber nicht verlangt. Ausreichend sind vielmehr substantiierte, ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Sofern der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert ist, liegt die Darlegungs- und Beweislast auf Seiten des Arbeitnehmers. Die Rechtsprechung hat hier hohe Anforderungen entwickelt und verlangt zum Teil eine genaue Auskunft über Krankheitsverlauf, Behandlungsmethode, Verhaltensempfehlung und Medikamentengabe. Dem wird der Prozessvortrag der Arbeitnehmerseite häufig nicht gerecht. Wurde die Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht, stellt dies grundsätzlich auch einen fristlosen Kündigungsgrund dar. Gleichwohl verdeutlicht die Entscheidung, dass selbst bei einer erfolgreichen Darlegung arbeitgeberseitiger Zweifel nicht automatisch das Verfahren gewonnen wird.
Sie möchten genauer wissen, wann sich die Erschütterung einer Arbeitsunfähigkeit lohnen kann oder welche Schritte arbeitsrechtlich zulässig sind? Unser Team berät Sie gerne.

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