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Telefonische Krankschreibung und Kinderkrankmeldung – neue Herausforderungen für Unternehmen

telefon
Am 7. Dezember 2023 beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) die Richtlinie zur Arbeitsunfähigkeit zu erweitern: Danach ist die telefonische Krankschreibung als Mittel der ärztlichen Feststellung und Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit wieder möglich.
Mitarbeitende können ohne ärztliche Untersuchung vor Ort für bis zu fünf Tage nach einer vorgehenden telefonischen Anamnese krankgeschrieben werden. Was nach der Beschlussbegründung des GBA zur Entlastung der Arztpraxen sowie der Versicherten dienen soll und nach Aussage des Bundesgesundheitsministers Prof. Lauterbach gerade in Infektionszeiten enorm wichtig sei, birgt auch ein unbestreitbares Missbrauchspotenzial. Ob den berechtigten Sorgen der Unternehmen hinreichend Rechnung getragen wurde und welche Möglichkeiten sie haben in Zweifelsfällen zu handeln, beleuchtet der nachstehende Beitrag.

I.

Die Neuregelung im Überblick

Die Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung ist kein Novum. Bereits drei Jahre (zwischen dem 9. März 2020 und dem 31. März 2023) war sie pandemiebedingt in der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie verankert. Nun soll die telefonische Krankschreibung dauerhaft als Anamnesemöglichkeit bestehen. Ausdrücklich betont wird, dass dadurch keine Krankschreibungen zweiter Klasse ausgestellt werden. Ihr Beweiswert soll – so die Vorstellung des GBA – Krankschreibungen nach persönlichen Untersuchungen gleichen. Der GBA sieht und adressiert in der Regelung die mit dem minimalen ärztlichen Kontakt einhergehenden Herausforderungen. So soll diese Möglichkeit gegenüber der persönlichen Untersuchung und insbesondere dem virtuellen Arzttermin in einer Videosprechstunde subsidiär sein.

Die Voraussetzungen in der Neufassung von § 4 Abs. 5a der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie lauten damit im Einzelnen:

  • Ist eine Patientin oder ein Patient der Arztpraxis bekannt, kann ihr oder ihm bei Erkrankungen mit leichter Symptomatik nach einer telefonischen Beratung mit der Ärztin / dem Arzt, eine Arbeitsunfähigkeit für bis zu 5 Tage bescheinigt werden. Eröffnet wird diese Möglichkeit jedoch nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Regelung erst dann, wenn eine virtuelle Sprechstunde seitens der Praxis oder des Mitarbeitenden nicht möglich ist. Für eine Folgebescheinigung muss die Praxis aufgesucht werden.
  • Ausnahmen sollen nur dann gelten, wenn die Erstbescheinigung in einer persönlichen Untersuchung ausgestellt worden ist und später lediglich telefonisch verlängert werden soll. Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ist zudem ein Einlesen der Gesundheitskarte nicht erforderlich. Bereits im System hinterlegte Daten sind für die Ausstellung der Bescheinigung ausreichend. Allerdings müssen Ärztinnen und Ärzte die Authentifizierung der oder des Versicherten sicherstellen. Genauere Vorgaben macht die Richtlinie hierzu nicht. Das schafft zunächst tatsächlich Bürokratieabbau, wirft allerdings auch wieder Fragen nach den praktischen Abläufen auf.

  • Wichtig zu betonen ist allerdings, dass Ärztinnen und Ärzte ausdrücklich frei entscheiden können, ob ihre Praxis eine telefonische Anamnese unterstützt. Ein Anspruch der Versicherten hierauf besteht nicht.

Hinweis:

Im Nachgang zur Wiedereinführung der telefonischen Krankschreibung wurde dann kurzerhand auch die telefonische Kinderkrankmeldung eingeführt. Sie ermöglicht es, ein ärztliches Zeugnis zur Betreuung eines kranken Kindes per Telefon ebenfalls für den Zeitraum von maximal fünf Tagen zu erhalten, wenn das erkrankte Kind in der Arztpraxis bekannt ist. Nach der gesetzlichen Regelung des § 45 SGB V übernimmt die Krankenversicherung das Kinderkrankengeld, soweit nicht Anspruch auf bezahlte Freistellung gegenüber dem Unternehmen besteht. Arbeitgeber sind hier gut beraten, die anderslautende Regelung des § 616 BGB arbeitsvertraglich abzubedingen.

II.

Herausforderungen für Unternehmen

Nachdem die Zahl der Krankheitsausfälle 2023 ein neues Rekordhoch erreicht hat, sehen viele Unternehmen die weitere Vereinfachung der Krankschreibung sowie die dadurch ausgelöste Entgeltfortzahlung mit Skepsis. Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die Neuregelung neben den Vorteilen in gleichem Maße auch Missbrauchsrisiken birgt, die einseitig zulasten der Unternehmen gehen.
Während die Ausstellung einer wirksamen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) in der Vergangenheit stets die ärztliche Untersuchung vor Ort voraussetzte, wurden diese Anforderung zunächst durch die Videosprechstunde und nun auch (wieder) durch die telefonische Krankschreibung abgesenkt. Offen bleibt, wie sich Ärztinnen und Ärzte dabei verlässlich von der Krankheit des Mitarbeitenden versichern können. Während in der Videosprechstunde zusätzliche visuelle Anhaltspunkte für eine Diagnose bestehen, stehen telefonisch lediglich eine Symptombefragung und akustische Hinweise zur Verfügung. Letztere können, wie der Ausschuss selbst feststellt, insbesondere durch den Umstand der technischen Übertragung beeinflusst werden. Gerade in Zeiten von hoher Auslastung kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein tatsächlicher Arztkontakt aber gar nicht stattfinden wird. Dass es lediglich zu einem Telefonat mit der Sprechstundenhilfe kommt, die sich von den Symptomen versichern muss, ist kein Einzelfall.

III.

Beweisfragen und -zweifel

Die ordnungsgemäß ausgestellte AUB ist das Mittel der Wahl zum Beweis der Arbeitsunfähigkeit, die die Entgeltfortzahlungspflicht der Unternehmen auslöst. Das entscheidende Stichwort bildet dabei die „Ordnungsgemäßheit“ der AUB. Diese wird nach der Rechtsprechung dann angenommen wird, wenn die Ausstellung der Bescheinigung den Vorgaben der sog. Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie des GBA entspricht. Wie gesehen ist davon nunmehr auch die telefonische Anamnese umfasst. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob und inwieweit Unternehmen den Beweiswert der ausgestellten AUB mit guten Gründen anzweifeln können.

Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit trotz ärztlicher Bescheinigung sind nicht neu. Wenn Mitarbeitende hierfür aber weder das Haus verlassen noch per Video mit der Arztpraxis korrespondieren müssen, sinkt die Hemmschwelle merklich. Arbeitgeber können der AUB leider nicht entnehmen, auf welchem Weg sie zustande gekommen ist. Selbst bei Kenntnis von einer telefonischen Anamnese ist anzunehmen, dass wie bei der Erschütterung jeder anderen AUB Tatsachen vorliegen müssen, die Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit begründen. Denkbar sind Aussagen und Verhalten des Mitarbeitenden: beispielsweise eindeutige und einer Erkrankung widersprechende Social-Media Inhalte oder bekanntes Freizeitverhalten. Aber auch Umstände der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst können ihren Beweiswert in Zweifel ziehen. Erst kürzlich entschied das BAG, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst und nach der unmittelbar eine neue Beschäftigung aufgenommen wird, ihren Beweiswert verliert. Aufgrund der klar formulierten subsidiären Funktion der telefonischen Krankschreibung ist zu fordern, dass die Hürden einer Beweiswerterschütterung durch Arbeitgeber jedenfalls niedriger zu setzen sind. Ob hier seitens der Gerichte eine Abstufung vorgenommen wird, bleibt abzuwarten.

Hinweis:

In der Rechtsprechung der vergangenen beiden Jahre lässt sich zumindest eine klare Tendenz erkennen, dass nicht jede noch so abenteuerliche Geschichte bei Vorlage einer AUB von Arbeitgeberseite akzeptiert werden muss. Bei erheblichen Zweifeln an dem Beweiswert einer vorgelegten AUB ist Unternehmen zu raten, die Entgeltfortzahlung einzustellen und eine plausible Begründung abzuwarten. Auch eine arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung ist – anders als bisher – viel häufiger erfolgreich zu führen.
Gelingt die Erschütterung, schließt sie jedoch nicht automatisch die Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers aus. Vielmehr bedeutet dies, dass der AUB selbst kein Beweiswert mehr zugesprochen wird, was den Mitarbeitenden wiederum verpflichtet anderweitige Beweise anzubringen, welche die Arbeitsunfähigkeit zum gegebenen Zeitpunkt belegen. Mitarbeitende komme dadurch in die volle Darlegungs- und Beweislast. Denkbar sind hier Arztberichte oder auch die Vernehmung der behandelnden Ärztin / des behandelnden Arztes als Zeugen selbst, welches bei einer lediglich telefonischen Anamnese prozessual kaum ins Gewicht fallen dürfte. Denn eine Ärztin / ein Arzt kann nur das bezeugen, was er auch selbst untersucht hat. Inwieweit eine telefonische Anamnese als ärztliche Untersuchung bewertet wird und eine Aussage, der Mitarbeitende habe sich „krank angehört“ eine überzeugende Beweisführung im arbeitsgerichtlichen Verfahren darstellt, wird von der Rechtsprechung noch zu entscheiden sein.

IV.

Fazit: Der Fokus auf die Art und Weise der Erteilung einer AUB wird zunehmen

Abzusehen ist, dass Mitarbeitende zukünftig vermehrt von den Möglichkeiten der telefonischen Krankschreibung oder der Beratung per Videotelefonie Gebrauch machen werden. Beides ist vor dem Hintergrund des Gesundheitsschutzes und der Entlastung der Arztpraxen gut nachvollziehbar. Mit der Absenkung der Anforderungen an die Ausstellung einer AUB muss auf der anderen Seite auch eine Absenkung des hohen Beweiswerts dieser einhergehen. Dies gilt erst recht, als der GBA die telefonische Krankschreibung selbst als subsidiär einstuft. Tendenzen hierzu sind in der Rechtsprechung ersichtlich, aber noch nicht konsequent umgesetzt. Sollten Unternehmen ausnahmsweise erfahren, dass die AUB per Telefon eingeholt wurde, bestehen aus unserer Sicht gute Chancen, den Beweiswert der AUB (leichter) zu erschüttern. Hierüber sollten Mitarbeitenden vorab in Kenntnis gesetzt werden.
Zentral bleibt die Forderung an den Gesetzgeber nach einer elektronisch mitgelieferten Dokumentation darüber, auf welchem Weg die AUB zustande gekommen und wer diese ausgestellt hat. Letzteres ermöglicht – wie vor der Einführung der elektronischen AUB – zumindest „schwarze Schafe“ sowie dubiose Internetangebote zu erkennen und entsprechend zu reagieren.

Wir danken für die freundliche Unterstützung unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Sarah Schmitz an diesem Beitrag.

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