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Arbeitsrecht 2024: Rückblick für die HR-Praxis

rueckblick
Das Jahr 2024 brachte im Bereich des Arbeitsrechts zahlreiche Entwicklungen und Veränderungen in Rechtsprechung und Gesetzgebung mit sich. Wir werfen einen Blick auf die zehn wichtigsten arbeitsrechtlichen Ereignisse des Jahres.


I.

Annahmeverzugslohn: BAG konkretisiert Anforderungen an gekündigte Arbeitnehmende

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 7. Februar 2024 (5 AZR 177/23) seine Rechtsprechung zum Thema des böswilligen Unterlassens anderweitigen Verdienstes sowie zu den sozialrechtlichen Mitwirkungspflichten von Arbeitnehmenden weiter konkretisiert.
Danach kommen Arbeitnehmende ihren Pflichten nach, wenn sie sich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend melden und die angebotenen Vermittlungsvorschläge berücksichtigen. Dabei wird nicht verlangt, dass unablässig nach zumutbarer Arbeit gesucht wird, insbesondere nicht in einem Umfang, der einer Vollzeitbeschäftigung entspricht.
Die Aufnahme einer Teilzeitstelle kann im Einzelfall ausreichend sein, abhängig von den jeweiligen Umständen. Eine geringfügige Beschäftigung allein genügt jedoch nicht, um den Vorwurf des böswilligen Unterlassens zu entkräften. Das Bundesarbeitsgericht sieht es außerdem als böswillig an, wenn sich Arbeitnehmende zwar formal korrekt als arbeitssuchend melden, jedoch durch eigenes Verhalten dafür sorgen, dass keine Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit unterbreitet werden.


II.

Neues zur Betriebsratsvergütung

Am 25. Juli 2024 ist das zweite Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes in Kraft getreten. Um die nach dem VW-Urteil bestehenden Rechtsunsicherheiten bei der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern zu klären, sollten die gesetzlichen Regelungen angepasst werden.
Die Neuregelung umfasst eine Änderung des § 37 Abs. 4 BetrVG und des § 78 S. 2 BetrVG. Nunmehr wird in Umsetzung der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts festgelegt, dass die Vergleichsgruppe für die Vergütung zum Zeitpunkt der Amtsübernahme des Betriebsratsmitglieds bestimmt wird. Erfreulicherweise wird weiter gesetzlich klargestellt, dass eine Neubestimmung bei sachlichem Grund möglich ist. Die Betriebsparteien können in einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmender bestimmen. Auf dieser Grundlage können durch Vereinbarung sodann konkrete Vergleichspersonen festgelegt werden. Die Vereinbarung zum Verfahren wie auch die Festlegung der Vergleichspersonen ist nur auf grobe Fehler überprüfbar und eröffnet den Betriebsparteien so einen erweiterten Beurteilungsspielraum. Eine Begünstigung oder Benachteiligung beim Arbeitsentgelt liegt nach der Neuregelung nicht vor, wenn die im Gesetz genannten Kriterien erfüllt sind. Ermessensfehlerhaft ist eine Entgeltgewährung erst dann, wenn die Betriebsparteien vernünftigerweise nicht davon ausgehen durften, eine zutreffende Bewertung vorgenommen zu haben.


III.

Präventionsverfahren bei schwerbehinderten Arbeitnehmenden während der Warte- bzw. Probezeit

Eine Kündigung innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses bedarf keiner sozialen Rechtfertigung im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes.
Eine Kündigung ist aber regelmäßig unwirksam, wenn sie gegen das Verbot der Benachteiligung von Beschäftigten wegen ihrer Behinderung verstößt. Eine Benachteiligung wegen der Behinderung wird vermutet, wenn der Arbeitgeber Vorschriften zugunsten schwerbehinderter Menschen verletzt. Das Landesarbeitsgericht Köln entschied mit Urteil vom 12. September 2024 (6 SLa 76/24) nunmehr entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass auch schon innerhalb der ersten sechs Monate eines Arbeitsverhältnisses mit einem Schwerbehinderten das Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchgeführt werden muss.
Verstößt der Arbeitgeber gegen diese Pflicht, kann die o.g. Vermutungswirkung greifen und zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Das Arbeitsgericht Freiburg hat sich dieser Auffassung bereits angeschlossen (Urteil vom 4. Juni 2024, Az. 2 Ca 51/24). Fraglich bleibt, ob das Präventionsverfahren vor dem Ausspruch der Kündigung innerhalb der ersten sechs Monate abgeschlossen sein muss. Dies wird insbesondere bei Kündigungssachverhalten, die zum Ende einer Probezeit auftreten, praktisch nicht möglich sein. Es bleibt abzuwarten, ob diese Frage in dem beim Bundesarbeitsgericht anhängigen Revisionsverfahren ebenfalls geklärt wird.


IV.

Überstunden und Teilzeit

Am 5. Dezember 2024 (8 AZR 370/20) entschied das Bundesarbeitsgericht, dass eine tarifliche Regelung, die Überstundenzuschläge nur für Vollzeitkräfte gewährt, Teilzeitbeschäftigte diskriminiert. Eine solche Regelung verstößt gegen das Teilzeit- und Befristungsgesetz sowie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, wenn keine sachliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung vorliegt.


V.

Betriebsratsschulungen: Kein grundsätzlicher Vorrang von Online- vor Präsenzschulung

Personal- und Betriebsräte haben einen Beurteilungsspielraum bei der Auswahl von Schulungsmaßnahmen. Dieser umfasst auch die Wahl des Schulungsformats (Präsenz oder Webinar). Das Bundesarbeitsgericht entschied in einem Beschluss vom 7. Februar 2024 (7 ABR 8/23), dass sich der Betriebsrat bei der gebotenen Angemessenheitsprüfung der Kostenbelastung des Arbeitgebers nicht auf eine kostengünstigere Schulung verweisen lassen muss, wenn er diese unter Berücksichtigung seines Beurteilungsspielraums als nicht gleichwertig ansehen durfte.


VI.

Urlaubsabgeltungsanspruch nach Mutterschutz und Elternzeit

Mit Urteil vom 16. April 2024 (9 AZR 165/23) entschied das Bundesarbeitsgericht, dass Arbeitgeber von der in § 17 Abs. 1 BEEG vorgesehenen Möglichkeit, den Urlaubsanspruch während der Elternzeit für jeden vollen Monat um ein Zwölftel zu kürzen, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kein Gebrauch mehr machen dürfen. Zudem stellte das BAG klar, dass der Verfall von Urlaubsansprüchen gemäß § 7 Absatz 3 Bundesurlaubsgesetz – spätestens mit Ablauf der ersten drei Monate des Folgejahres – während mutterschutzrechtlicher Beschäftigungsverbote und der Elternzeit ausgeschlossen ist.


VII.

Neues zum Beweiswert der Krankschreibung

Grundsätzlich genießen ärztliche Bescheinigungen einen hohen Beweiswert, der im Regelfall ausreicht, um die Arbeitsunfähigkeit zu belegen. Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 21. August 2024 (5 AZR 248/23) entschieden, dass eine zeitliche Koinzidenz zwischen der Kenntnis einer – möglicherweise erst noch bevorstehenden – Kündigung und einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit für die Dauer der Kündigungsfrist regelmäßig geeignet ist, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu erschüttern. Die Entscheidung reiht sich damit in die strenger werdende Rechtsprechung zum Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein.


VIII.

Flexibilität beim nachvertraglichen Wettbewerbsverbot für Geschäftsführer

Während des Arbeitsverhältnisses gilt ein Wettbewerbsverbot, das Arbeitnehmende daran hindert, ohne Zustimmung des Arbeitgebers für Konkurrenzunternehmen tätig zu werden oder solche zu betreiben. Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot kann vereinbart werden, jedoch nur unter den strengen Voraussetzungen der §§ 74 ff. HGB, d.h. unter anderem bei Zahlung einer Karenzentschädigung in der gesetzliche vorgesehen Höhe während der gesamten Laufzeit des Verbots. Für Geschäftsführer gelten flexiblere Regelungen. Der Bundesgerichtshof bestätigte in einem Urteil vom 23. April 2024 (II ZR 99/22), dass die Vereinbarung eines rückwirkenden Wegfalls der Karenzentschädigung bei einem Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot rechtens ist.


IX.

Telefonische Krankmeldung und Kinderkrankmeldung

Nach der Änderung der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie ist seit dem 7. Dezember 2023 wieder die telefonische Krankmeldung möglich. Des Weiteren können seit dem 18. Dezember 2023 auch „Kinderkrankmeldungen“ telefonisch erfolgen, d.h. die Erkrankung eines Kindes kann nach telefonischem Kontakt mit den Eltern durch eine Ärztin oder einen Arzt bescheinigt werden. Arbeitnehmende, die wegen einer leichten Erkrankung arbeitsunfähig sind, können sich für bis zu fünf Kalendertage telefonisch krankmelden. Weitere Voraussetzung ist, dass die jeweils erkrankte Person der Praxis bekannt ist. Eine Verlängerung der Krankschreibung ist hingegen telefonisch nicht möglich. Wer eine Folgebescheinigung benötigt, muss die Arztpraxis persönlich aufsuchen. Wurde die erste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung jedoch während eines Arztbesuchs ausgestellt, kann diese telefonisch verlängert werden.


X.

„Kleinerer“ Betriebsrat möglich

Wenn bei einer Betriebsratswahl weniger Arbeitnehmende für einen Betriebsratssitz kandidieren, als Mitglieder gewählt werden müssen, kann auch ein Betriebsrat gebildet werden, der nicht die gesetzlich vorgesehene Anzahl an Mitgliedern besitzt. Dass nicht genügend Bewerbende für das Betriebsratsamt zur Verfügung stehen, beeinträchtigt die Gültigkeit der Wahl nicht, wie das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 24. April 2024 (7 ABR 26/23) entschied.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass 2024 wichtige Impulse für die Arbeitswelt gesetzt wurden, die sowohl neue Möglichkeiten als auch Herausforderungen mit sich bringen. Es bleibt spannend abzuwarten, wie sich diese Änderungen langfristig auf die Praxis auswirken werden.

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