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Wiederverheiratete Chefärzte und konfessionslose Bewerber – der EuGH und das Kirchenarbeitsrecht

Die evangelische und katholische Kirche mit ihren Verbänden Diakonie und Caritas zählt zu den größten Arbeitgebern in Deutschland. Zwangsläufig treffen in diesem Bereich rechtliche Fragestellungen auf religiöse Überzeugungen. Mit dem vorliegenden Fall, in dem einem Arbeitnehmer wegen seiner erneuten Heirat gekündigt wurde, waren bereits mehrere deutsche Gerichte befasst. Nun landete er vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), der sich in diesem Jahr zum wiederholten Mal zum Selbstbestimmungsrecht der Kirche und der Reichweite der Geltung europäischer Richtlinien positioniert. Ein Urteil, das Potential hat, einen nachhaltigen Einfluss auf das deutsche Kirchenarbeitsrecht zu nehmen. 

I. Sachverhalt und bisheriger Verfahrensgang

Der katholische Kläger war Chefarzt und bei der Beklagten, einem in der Rechtsform der GmbH betriebenen katholischen Krankenhaus, angestellt. In seinem Dienstvertrag war die „Grundordnung des kirchlichen Dienstes vom 22. September 1993" für verbindlich erklärt. Danach war für katholische Mitarbeiter der Abschluss einer nach dem Verständnis der Kirche ungültigen Ehe als schwerwiegender Loyalitätsverstoß anzusehen. Dies konnte zur Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen führen. Nachdem sich der Kläger von seiner damaligen Ehefrau scheiden gelassen hatte, heiratete er im August 2008 erneut standesamtlich. Die Beklagte erfuhr davon und kündigte das Arbeitsverhältnis unter Verweis auf die „Grundordnung des kirchlichen Dienstes". Die erhobene Kündigungsschutzklage des Klägers hatte zunächst in allen Instanzen Erfolg. Auf die von der Beklagten eingelegte Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahr 2011 hob das BVerfG dieses Urteil auf und verwies die Sache zurück. Das BAG hatte sich erneut mit dem Fall zu befassen, entschied aber nicht im Sinne des BVerfG, sondern wandte sich an den EuGH.

1. Entscheidung des BAG (8. September 2011 – 2 AZR 543/10)

Das BAG stellte in seiner ersten Entscheidung aus dem Jahr 2011 zunächst fest, dass der Kläger durch die Wiederheirat gegen die „Grundordnung des kirchlichen Dienstes" verstoßen habe. Da die „Grundordnung" für katholische und sonstige Mitarbeiter unterschiedliche Loyalitätspflichten regelt, liege nach Auffassung des BAG eine Ungleichbehandlung wegen der Religion vor. Der Kläger wäre nämlich nicht gekündigt worden, wenn er nicht katholisch gewesen wäre. Diese Ungleichbehandlung sei zwar nach § 9 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wegen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gerechtfertigt. Im Rahmen einer Abwägung der beiderseitigen Interessen stellte das BAG aber fest, dass der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar und die Kündigung daher unwirksam sei. Dabei berücksichtigte das BAG, dass bei der Beklagten auch nicht-katholische Personen mit leitenden Aufgaben betraut wurden. Zudem seien in der Vergangenheit im Falle einer Wiederheirat nicht immer arbeitsrechtliche Konsequenzen gezogen worden. So wurden mehrfach Chefärzte beschäftigt, die als Geschiedene erneut geheiratet haben.

2. Entscheidung des BVerfG (22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12)

Nach Art. 140 des Grundgesetzes (GG) sind die Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung (WRV) über die Rechte der Kirchen Bestandteil unseres Grundgesetzes. Art. 137 Abs. 3 WRV bestimmt, dass die Kirche ihre inneren Angelegenheiten selbständig regeln kann. Daher geht das BVerfG davon aus, dass kirchliche Arbeitgeber grundsätzlich frei darin seien, Loyalitätsanforderungen an ihre Mitarbeiter zu stellen. Insofern haben Gerichte – nach Ansicht des BVerfG – nur zu prüfen, ob diese Loyalitätsanforderungen plausibel seien. Wenn also die Kirche in ihrer Grundordnung plausibel regelt, dass eine Wiederheirat für katholische Mitarbeiter eine Loyalitätsverletzung darstellt, haben staatliche Gerichte dies grundsätzlich zu akzeptieren. Zwar sind nach der Rechtsprechung des BVerfG die Grundrechte des Arbeitnehmers mit dem Selbstbestimmungsrecht der Kirche abzuwägen, letzterem komme aber ein besonderes Gewicht zu. Arbeitnehmer, welche in Kenntnis der kirchlichen Loyalitätspflichten ein Arbeitsverhältnis mit der Kirche eingehen, nehmen eine bewusste Beschränkung ihrer Freiheitsrechte hin. Nach diesen Grundsätzen sah das BVerfG insbesondere die vom BAG vorgenommene Interessenabwägung als „verfassungsrechtlich nicht haltbar" an. Durch eine solche Abwägung nehme ein staatliches Gericht nämlich eine Bewertung der Schwere eines Loyalitätsverstoßes vor. Dies obliege hingegen alleine der Kirche, da es Ausdruck des verfassungsrechtlich verankerten Selbstbestimmungsrechts sei. Das BVerfG hob das Urteil daher auf und verwies die Sache zurück an das BAG.

II. Vorlage des BAG und Entscheidung des EuGH laut Pressemeldung Nr. 127/18 (11. September 2018 – C 68/17)

Das BAG setzte diese Anforderungen des BVerfG nicht um, sondern leitete ein sogenanntes Vorabentscheidungsverfahren zum EuGH (Art. 267 AEUV) ein. Das Gericht stützt dies auf die europäische Antidiskriminierungsrichtlinie, die im deutschen AGG umgesetzt wurde. Das BAG griff die bereits in seinem Urteil aus dem Jahr 2011 angesprochenen Ungleichbehandlung zwischen katholischen und sonstigen Mitarbeitern bei der Beklagten auf. War es damals noch von einer Rechtfertigung nach § 9 Abs. 2 AGG ausgegangen, sei nun zu klären, ob dies auch mit Blick auf die europäische Antidiskriminierungsrichtlinie gelte. Das BAG möchte insofern vom EuGH wissen, ob die Kirche die Loyalitätsanforderungen und den Umfang ihrer Geltung völlig autonom und ohne gerichtliche Überprüfbarkeit für ihre Mitarbeiter festlegen kann (BAG, EuGH-Vorlage vom 28. Juli 2016 – 2 AZR 746/14).
Dies beantwortete nun der EuGH: Die Anforderungen, welche die Kirche an ihre Arbeitnehmer in Bezug auf ein loyales Verhalten im Sinne der Religion stellt, müssen Gegenstand einer gerichtlichen Kontrolle sein. Dabei muss das nationale Gericht prüfen, ob die Religion im Hinblick auf die beruflichen Tätigkeiten eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Ausdrücklich weist der EuGH darauf hin, dass nach seinem Verständnis für die Tätigkeit eines Chefarztes die Akzeptanz des katholischen Eheverständnisses keine wesentliche berufliche Anforderung darstelle. Dies gelte bereits deshalb, weil ähnliche Stellen bei der Beklagten von Personen ausgeübt werden, die nicht katholischer Konfession sind. Weiterhin betont der EuGH erneut, dass nationale Rechtsvorschriften (hier das AGG) unanwendbar bleiben müssten, wenn sie nicht im Einklang mit europäischen Richtlinien ausgelegt werden könnten.

III. Folgen und Ausblick

Nach der Entscheidung zum „konfessionslosen Bewerber" ist innerhalb weniger Monate die zweite Entscheidung des EuGH ergangen, welche die Befugnisse und Selbstbestimmungsrechte der Kirchen merklich begrenzt. Die Anforderungen der Kirche an ein loyales Verhalten ihrer Mitarbeiter unterliegen einer stärkeren Kontrolle. Je weiter sich eine Tätigkeit dabei von der Verkündung des Glaubens entfernt, desto schwieriger wird es sein, die Beachtung kirchlicher Loyalitätspflichten nachvollziehbar zu begründen. In Bezug auf einen Chefarzt, der bei einem privatrechtlich organisierten Krankenhaus angestellt ist, hat der EuGH erhebliche Zweifel geäußert. Mittlerweile hat die katholische Kirche ihre „Grundordnung" angepasst und das Eingehen einer kirchenrechtlich unzulässigen Ehe nur dann als kündigungsrelevant eingestuft, wenn es geeignet sei, „erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft" zu erregen. Dennoch bleiben die Einzelheiten spannend. So stellt sich etwa die Frage, wie die Kirche mit einer gleichgeschlechtlichen Ehe umgeht und für welche Tätigkeiten welche Loyalitätsanforderungen gelten können. Zudem deutet sich ein Konflikt zwischen dem BVerfG und dem EuGH an, scheint letzterer dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht doch einen geringeren Stellenwert beizumessen.
Im Nachgang zu der – ebenfalls in diesem Blog besprochenen – Entscheidung des EuGH vom April 2018 ist für den 25. Oktober 2018 die mündliche Verhandlung beim BAG terminiert (8 AZR 501/14). Es ist zu erwarten, dass sich das BAG insbesondere zur Frage positioniert, wann eine Religionszugehörigkeit mit Blick auf die konkreten Tätigkeiten notwendig, objektiv geboten und erforderlich sein kann. Daraus werden sich konkretere Leitlinien ableiten lassen. Es bleibt also spannend im Kirchenarbeitsrecht.

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