Kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Kündigung einer Direktversicherung
Mit Urteil vom 26. April 2018 (3 AZR 586/16) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Kündigung einer Direktversicherung hat, die zum Zwecke der Durchführung einer Entgeltumwandlung geschlossen wurde. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer mit dem Rückkaufswert der Versicherung Verbindlichkeiten tilgen will.
I. Die Entscheidung des BAG vom 26.04.2018
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Arbeitnehmer war seit 1986 in einem Unternehmen beschäftigt. Im Jahr 2001 vereinbarte er mit seinem Arbeitgeber, einen Teil der Vergütung in einen Anspruch auf Verschaffung eines Versicherungsschutzes umzuwandeln. Der Arbeitgeber verpflichtete sich, den umgewandelten Betrag in eine Direktversicherung bei einer Versicherungsgesellschaft einzuzahlen. Dem Arbeitnehmer bzw. seinen Hinterbliebenen wurde ein unwiderrufliches Bezugsrecht auf die Versicherungsleistung, einschließlich der Überschussanteile, eingeräumt.
In der Folge wurde die Versicherungsnehmereigenschaft einer vom Arbeitnehmer zuvor bereits abgeschlossenen Lebensversicherung auf den Arbeitgeber übertragen. Der Arbeitnehmer ist seitdem Versicherter. Im Todesfall erhält seine Ehefrau die Versicherungsleistung. Im Dezember 2015 betrug der Vertragswert knapp EUR 7.000,00. Im Jahr 2013 kündigte der Arbeitnehmer den Versicherungsvertrag. Der Arbeitgeber weigerte sich, der Kündigung zuzustimmen oder den Vertrag selbst zu kündigen.
Der Arbeitnehmer macht geltend, er befinde sich in einer finanziellen Notlage, da er mit der Rückführung seines Baudarlehens knapp EUR 2.000,00 im Rückstand sei. Er benötige das Geld aus der Direktversicherung, um zu verhindern, dass die Bank seinen Baudarlehensvertrag kündige und die Zwangsvollstreckung in seine Immobilie einleite. Der Arbeitgeber habe seine wirtschaftlichen Schwierigkeiten mitverursacht. Er habe Entgeltfortzahlungsansprüche erst nach gerichtlicher Geltendmachung geleistet.
Die Klage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg.
Jede Partei in einem Schuldverhältnis sei – so das BAG – zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers erfasse allerdings nicht ausschließlich private Vermögensinteressen des Arbeitnehmers. Danach habe der Arbeitnehmer kein schützenswertes Interesse an der Auflösung des Versicherungsvertrages. Der Arbeitgeber dürfe bei seiner Entscheidung nämlich auch sozialpolitische Erwägungen einbeziehen. Die betriebliche Altersversorgung diene nicht nur dem staatlichen Interesse, dass Arbeitnehmer im Alter nicht dem Staat zur Last fallen. Vielmehr liege es auch im Interesse des einzelnen Arbeitnehmers, seine betriebliche Altersversorgung aufrecht zu erhalten. Durch das Betriebsrentenrecht solle verhindert werden, dass unverfallbare Anwartschaften vor Eintritt des Versorgungsfalles ausgezahlt und für die Vermögensbildung, den Ausgleich von Schulden oder den Konsum statt für die vorgesehene Versorgung verwendet werden. Bei Entgeltumwandlung im Durchführungsweg der Direktversicherung sei dem Arbeitnehmer sofort ein unwiderrufliches Bezugsrecht einzuräumen. Damit sei jedoch nicht die Möglichkeit verbunden, vor Eintritt des Versorgungsfalles über das angesammelte Kapital zu verfügen.
Ein schutzwürdiges Interesse des Arbeitnehmers an einer vorzeitigen Auszahlung sei vor diesem Hintergrund nicht erkennbar. Dies könne möglicherweise anders zu beurteilen sein, wenn eine Zwangsvollstreckung des selbst genutzten Hauses unmittelbar bevorstehe und der Rückkaufswert zur Abwendung benötigt werde.
II. Bewertung der Entscheidung
Die Entscheidung überrascht nicht. Das gesamte Betriebsrentenrecht ist von dem Bestreben geprägt, die Versorgung des Arbeitnehmers im Versorgungsfall zu sichern und ihn notfalls auch „vor sich selbst" zu schützen. Diesem Zweck dient auch das Abfindungsverbot des § 3 BetrAVG, wonach die Abfindung von Betriebsrentenanwartschaften nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig ist.
Die vorliegende Entscheidung hat nun noch einmal in den Fokus gerückt, dass auch im Falle von Entgeltumwandlung kein Wahlrecht des Arbeitnehmers bezogen auf den Auszahlungszeitpunkt besteht. Obwohl es sich der Sache nach um „eigenes Geld" handelt, muss der Arbeitnehmer – dem Zweck der betrieblichen Altersversorgung entsprechend – den Versorgungsfall abwarten.
Das BAG hat offengelassen, ob in extremen Fällen etwas anderes gelten kann. Als Beispiel wird der konkrete drohende Verlust von Wohneigentum genannt. Zudem müsste die Versicherungssumme einerseits das letzte Mittel sein, um die Zwangsvollstreckung abzuwenden, anderseits muss die Summe aber auch ausreichend sein, um dieses Ziel zu erreichen. Derartige Fälle werden in der Praxis außerordentlich selten sein. Im vorliegenden Fall war dem BAG der Hinweis auf eine drohende Zwangsvollstreckung und ein behauptetes „Mitverschulden" des Arbeitgebers an der Notlage im Übrigen viel zu unkonkret.
III. Empfehlung für die Praxis
Arbeitgeber sind gut beraten, nach den Maßgaben dieser Entscheidung zu handeln. Wirkt der Arbeitgeber an der Auflösung der Direktversicherung mit, ohne hierzu verpflichtet zu sein, so können sich zahlreiche ungelöste Folgefragen stellen. Die Vorinstanz hatte noch das mögliche Haftungsrisiko des Arbeitgebers sowie die Rückabwicklung in steuerlicher und sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht als Aspekte der Interessenabwägung genannt. Wenn der Arbeitgeber Anwartschaften an den Arbeitnehmer auszahlt, obwohl die (restriktiven) Voraussetzungen des § 3 BetrAVG nicht vorliegen, so läuft er Gefahr, „doppelt zu zahlen". Vergleichbare Risiken sind auch bei der Auflösung einer Direktversicherung vorstellbar. In eine solche Situation sollte sich kein Arbeitgeber ohne Not bringen.
Die betriebliche Altersversorgung ist nach der gesetzlichen Konzeption kein Sparguthaben des Arbeitnehmers, auf das er im Bedarfsfall zugreifen kann. Es käme ja auch niemand auf den Gedanken, im Fall einer finanziellen Notlage die gesetzlichen Rentenanwartschaften bei der Deutschen Rentenversicherung angreifen zu wollen.